Ab-Gründe / Von Hans HeckelDie jüngsten Enthüllungen um
eine gute Million Mark, die entgegen dem Parteiengesetz von der CDU/CSU-Fraktion an die
CDU-Parteikasse geflossen sein soll, muten angesichts der Gesamtdimension des sich
abzeichnenden deutsch-französischen Finanzskandals fast wie Ablenkungsmanöver an.
Wer noch nicht irre geworden ist angesichts von Parteispenden-Affäre, Leuna-Skandal
und dubiosen Panzergeschäften oder "Liechtenstein-Connections" und
merkwürdigen Beraterhonoraren, der ahnt einen gewaltigen Sumpf, von dem wir zur Zeit
höchstens einige Ufer gesichtet haben. Die in Rede stehenden Summen übersteigen die zwei
oder drei Millionen, die in der Öffentlichkeit immer wieder genannt werden, bei weitem,
der Abgrund scheint erheblich tiefer zu sein, als bisher klar erkennbar ist.
Ist es wirklich allein das "Ehrenwort eines Ehrenmannes", das den Ex-Kanzler
und einstigen CDU-Chef Kohl so beharrlich schweigen läßt? Oder fürchtet er vielmehr,
die Büchse der Pandora zu öffnen, wenn er auch nur einen Namen preisgibt?
Der Verdacht drängt sich auf, daß die Nennung der Namen weit schlimmere Folgen für
Kohl und die CDU haben dürften als alles, was jetzt und später auf die Union wegen des
eisernen Schweigens niedergeht. Und das wird in der CDU-Basis bereits als verheerend
empfunden. Zunehmende Austritte und ein tiefes Zerwürfnis über das Verhalten des
einstigen Partei-Patriarchen erschüttern die Christdemokraten bis ins Mark. Kohl, der
kühl abwägende Machtmensch, sieht das alles genau. Wenn er dennoch den Mund fest
verschlossen hält, muß er sehr, sehr gravierende Gründe haben ...
Paradox: Trotz alledem kann der Pfälzer erst einmal aufatmen. Die Einleitung des
Ermittlungsverfahrens durch die Bonner Staatsanwaltschaft nimmt sich auf den ersten Blick
zwar wie eine dramatische, für Kohl hoch gefährliche Zuspitzung aus. Doch die
unmittelbaren Folgen gehen in die entgegengesetzte Richtung: Vor dem
Bundestags-Untersuchungsausschuß kann der CDU-Ehrenvorsitzende bis auf weiteres jede
Aussage ab sofort mit dem Hinweis auf ein schwebendes Verfahren verweigern. Der
Ausschußvorsitzende Neumann (SPD), der vor kurzem noch raunte, man könne Kohl sogar in
Beugehaft nehmen, wenn er weiter schwiege, steht jetzt mit leeren Händen da.