Konzerne im Kaufrausch
In Europa hat das Fusionsfieber einen neuen Höhepunkt erreichtSpätestens beim
aktuellen Übernahme-Spektakel um den Düsseldorfer Mannesmann-Konzern durch den
englischen Mobilfunkanbieter Vodafone Airtouch schlug das expansive Fusionsfieber der
internationalen Märkte mit aller Wucht auch in das deutsche Bewußtsein. Einstige
Insignien und Symbole heimischer Wirtschaftsmacht sind heute teils nur noch bloße
Kaufobjekte in einem Haifischbecken namens "global market".
Das Fusionsfieber greift um sich. Und wie jetzt eine Untersuchung des
Informationsdienstes Thomson Financial Securities Data zeigt, besonders in Europa. Im
vergangenen Jahr wurde hier mit einem Volumen von 1200 Milliarden US-Dollar ver- und
gekauft, das ist fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Ebenso sind die Kaufpreise in
schwindelerregende Höhen gestiegen. Für den Kauf von Mannesmann bietet Vodafone den
weltweit höchsten Betrag auf, der je für ein Unternehmen gezahlt wurde: 148 Milliarden
US-Dollar. Für 127 Milliarden Dollar ging noch der US-Telefonnetzbetreiber Sprint Corp.
im letzten Jahr an MCI World Corp. Schwerstarbeit auch für die Brüsseler
Wettbewerbshüter. Die EU muß Übernahmen ab einem bestimmten Kaufpreis absegnen und
hatte bereits im Oktober 1999 mit 232 Fällen das Vorjahresniveau erreicht. Für die
Philosophie des "shareholder value", einer Denkweise, die nur die finanziellen
Interessen der Eigner im Auge hat, gibt es offenbar kein Bremsen.
Dieser aktuelle Höhepunkt eines von Übernahmen und Käufen geprägten globalen
Marktes wirft indes zunehmend Fragen auf. Und die sind nicht immer nur psychologischer und
politischer Natur wie beim Mannesmann-Vodafone-Übernahme-Kampf. In diesem prägnanten
Fall, der wohl nicht zufällig zwischen einem englischen und deutschen Unternehmen
aufgetreten ist, zeigt sich die problematische Möglichkeit der sogenannten feindlichen
Übernahme, also des Unternehmenskaufes durch Erringung einer Aktienmehrheit, ohne daß
dies von dem Gekauften gewollt ist. So könnte Mannesmann in die Hände englischer Manager
fallen, die zwar wenig von der Tradition und der Kultur des Unternehmens wissen, dafür
aber mehr Kapital aufzubringen vermochten.
Genau dies ist auch der Knackpunkt, an dem die Kaufeuphorie, die das ausklingende
Jahrhundert der wirtschaftlichen Expansion prägt, ihre Grenzen finden könnte. Die
Kultur, Identität und Strategie eines großen Unternehmens sind nur sehr schwer
"einzukaufen". Eher besteht die Gefahr, daß diese wichtigen
Unternehmensfaktoren dabei verlorengehen. Bereits heute hört man zunehmend Analysten, die
darin einen der Hauptrisikofaktoren der Kaufwelle sehen. Größe ist nicht immer alles.
Gefahren erwachsen auch aus den strukturellen Problemen, die die Konzentrierung auf
wenige "global players" mit sich bringt. Wer soll die gigantischen Finanz- und
Wirtschaftsmächte eigentlich noch kontrollieren? Kann ein Wirtschaftssystem, das keine
gewachsenen Verantwortlichkeiten mehr kennt, ohne Schäden eine "internationale
Volkswirtschaft" betreiben? Der Verfall der Binnenmarkt-Strukturen, vor allem die des
Arbeitsmarktes, lassen zweifeln. Aber das Fusionsfieber wird weiter anhalten. Immerhin:
Die Deutschen sind auch als Käufer dabei. Michael Oelmann