Sensationeller Fund in Königsberg
Objekte des Prussia-Museums in verschütteten Gewölben wiederentdeckt
von Hans B. v. Sothen Die Geschichte der ostpreußischen Kunstsammlungen hat ihre
Sensation. In verschütteten Gewölben in Königsberg wurden jetzt etwa 15 000 Objekte des
"Landeskundlichen Provinzial-Museums", auch Prussia-Museum genannt,
wiederentdeckt (Das Ostpreußenblatt berichtete).
Bisher war man, so auch das neueste "Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Ost-
und Westpreußen", davon ausgegangen, daß große Teile der Prussia-Sammlung im
Schloß unwiederbringlich verloren und zerstört seien. Kleine Teile der Sammlung, soweit
sie in den südlichen Teil Ostpreußens ausgelagert waren, befinden sich, so der
Dehio-Führer, heute im Museum in Heilsberg. Ein Konvolut des Königsberger
Prussia-Museums, darunter Keramik und Goldschmuck, ist im "Museum für Ermland und
Masuren" in Allenstein untergebracht. Weitere "Prussia"-Bestände wurden
nach 1945 in Kisten gefunden, die polnische Historiker nach Warschau verbrachten und über
deren Inhalt wissenschaftlich bislang so gut wie nichts veröffentlicht wurde.
Das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte erhielt auf langen und verworrenen
Wegen ebenfalls Gegenstände aus der legendären "Prussia"-Sammlung. In Berlin
befinden sich keine Keramiken, dafür aber aufschlußreiche und unersetzliche Archivalien
des Museums. Wichtig sind vor allem Ausgrabungsfunde der wikingerzeitlichen Hügelgräber
von Wiskiauten (Kreis Samland).
Die Odyssee der Berliner "Prussia"-Bestände läßt sich nach langen
Nachforschungen inzwischen ungefähr nachvollziehen: Ein Großteil der Studiensammlung und
das gesamte "Prussia"-Fundarchiv wurden schon 1943 von Königsberg nach Carlshof
bei Rastenburg ausgelagert. Von dort wurden sie 1944/45 ins vorpommersche Demmin
transportiert und in einem nahegelegenen Gutshof untergebracht. Der Demminer Bürger
Lothar Diemer, so berichtete kürzlich die "Berliner Zeitung", bewahrte die
wertvolle Sammlung vor Plünderungen. Russische Soldaten brachten die Kisten 1954 nach
Ost-Berlin und übergaben sie dort der Akademie der Künste. Bis zur Wende lagerte der
rätselhafte Schatz im Akademiegebäude in Berlin-Mitte. Erst im Jahr 1992 gelangte der
Berliner Teil der "Prussia"-Sammlung in das dortige "Museum für Vor- und
Frühgeschichte", wo sie zur Zeit restauriert wird.
Das Königsberger Prussia-Museum hat eine lange Geschichte. Seine vorgeschichtliche
Abteilung wurde durch die bereits 1844 von Ernst August Hagen, Professor für
Kunstgeschichte, begründete "Prussiagesellschaft" ins Leben gerufen. Diese
wurde 1972 in Duisburg wiedergegründet. Hagens Königsberger Lehrstuhl war übrigens, als
er 1830 eingerichtet wurde, der erste seiner Art in ganz Preußen. Die Bedeutung Hagens
für die Anfänge der ostpreußischen Kunstgeschichte war überragend.
Sein wichtigstes Werk, das Prussia-Museum, hatte seinen Sitz zuerst im Königshaus,
später im Erdgeschoß des Südflügels des Königsberger Schlosses. Am Eingang stand vor
dem Krieg der Mannke-steen, das mächtige Granitbild eines Gottes. Im Inneren befanden
sich zunächst die vorgeschichtlichen, später auch die landes- und volkskundlichen
Sammlungen.
Seit etwa 1888 wurde der inhaltliche Schwerpunkt des Museums auf die
Deutschordensgeschichte ausgedehnt. Im Jahre 1924 wurde dann der eindrucksvolle
Moskowitersaal (siehe unser Foto) in das Museum mit einbezogen. Hier war beispielsweise
der Schlitten zu sehen, mit dem der Große Kurfürst im Winter 1679 über das Eis der
Haffe geeilt war. Daneben auch die Fahnen der preußischen Regimenter, ihre Uniformen, die
Pfeilspitze des Ordensmarschalls Erasmus v. Reitzenstein, die dieser jahrelang in seinem
Kopf trug und vieles andere.
Letzter Museumsdirektor war der 1958 in Hannover gestorbene berühmte Doyen der
ostpreußischen Urgeschichte, Wilhelm Otto Gaerte, der die Leitung seit 1925 innehatte. Er
war es vor allem, der den Wandel des Prussia-Museums von einer schwerpunktmäßig
vorgeschichtlichen Einrichtung in eines der führenden landeskundlichen Museen
Ostdeutschlands vornahm. Er baute die volkskundliche Abteilung auf und bestimmte auch die
Einrichtung des Moskowitersaales. An den Saal schlossen sich unter seiner Ägide mehrere
Räume an, die der ostpreußische Landesgeschichte gewidmet waren. Von 1925 bis 1945 war
Gaerte unter anderem Herausgeber der Zeitschrift "Prussia" und zugleich
Vorsitzender der Altertumsgesellschaft "Prussia".
Von den ursprünglich insgesamt 240 000 Exponaten des Prussia-Museums sind nun also 15
000 in Königsberg wieder aufgetaucht. Bereits seit Monaten hatte man auf dem Gelände der
Festung "Friedrich III." archäologische Grabungen ausgeführt. Schon früher
hatte man, wenn auch vergeblich, an dieser Stelle nach dem Bernsteinzimmer gesucht. Erst
1998 hatten russische Truppen das Festungsgelände endgültig verlassen.
Bei den aktuellen Funden handele es sich, so der wissenschaftliche Mitarbeiter des
Koordinierungszentrums zur Suche kultureller Schätze im Königsberger Gebiet, Awenir
Owsejanow, um eine "kulturhistorische Sensation von europäischer Bedeutung".
Der historische Wert sei unschätzbar, der materielle zur Zeit noch gar nicht zu
beziffern. Der Fund soll so bald wie möglich öffentlich gezeigt werden. Owsejanow:
"Ich kann noch nicht genau sagen, wann eine Ausstellung möglich sein wird, aber
Kunstliebhaber werden die Gelegenheit bekommen, die Objekte im Königsberger ,Museum für
Kunst und Geschichte zu sehen."
Kontakte zu Fachkollegen aus der Bundesrepublik und Polen sollen sobald wie möglich
geknüpft werden. Owsejanow sprach in diesem Zusammenhang von der "Erfüllung seines
Lebenswerkes". Seit zwanzig Jahren hätten er und seine Kollegen nach den
verschollenen Schätzen des Prussia-Museums gesucht. Unter den sichergestellten Stücken
befänden sich, so Owsejanow, Gegenstände aus der Steinzeit, Schmuckstücke aus Gold,
Silber, Bronze, Bernstein, eine Anzahl von Silbermünzen, die sehr wahrscheinlich aus dem
Besitz des Deutschen Ritterordens stammten, sowie andere Kunstgegenstände.
Im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, in dem der größte bisher bekannte
Teil der "Prussia"-Bestände lagerte, war man erst vor kurzem von polnischen
Kollegen über die Grabungen der Russen in Königsberg informiert worden. Man habe
allerdings nicht geahnt, wie kurz vor dem Ziel man dort bereits gewesen sei, so Wilfried
Menghin vom Berliner Museum. Auch Klaus Dieter Lehmann, Präsident der in der deutschen
Hauptstadt ansässigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz, nannte den Königsberger Fund
ein "außerordentliches Ereignis im Rahmen der Nachkriegsforschungen nach
verschollenen Kulturschätzen". Inzwischen hat Menghin es als sehr wichtig und
wertvoll bezeichnet, daß man in Königsberg offenbar eine Ausstellung des Fundes plane
und mit den deutschen Kollegen zusammenarbeiten wolle. Er erinnerte in diesem Zusammenhang
auch an wertvolle vor- und frühgeschichtliche Objekte aus Ostdeutschland, die noch immer
in den Geheimdepots von Moskau und St. Petersburg lagerten. Es wird wohl auch in Zukunft
viel Arbeit für die ostpreußische Landesgeschichtsforschung und die Politik
geben.