28.03.2024

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22.01.00 Gespräch mit dem ehemaligen französischen Kulturminister Jacques Toubon

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Januar 2000


Sprachenschutz:
"Englische Texte habe ich abgelehnt"
Gespräch mit dem ehemaligen französischen Kulturminister Jacques Toubon

 

Herr Minister, welchen Eindruck haben sie beim Treffen des "Vereins zur Wahrung der deutschen Sprache" in Hannover gewonnen?

Toubon: Ich muß unterstreichen, daß ich außerordentlich freundlich empfangen worden bin. Ich habe mich auf eine Einladung nach Hannover begeben, um unter Beteiligung des "Institut Français" in dieser Stadt vor der genannten Vereinigung zu sprechen. Die Organisatoren dieses Forums wollten, daß die Zuhörer erfahren, wie der Autor des französischen "Gesetzes zur Verteidigung der französische Sprache" von 1994 über die Verteidigung der deutschen Sprache denkt. Der "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache" ist eine Initiative von Hochschullehrern und Akademikern aus Hannover, Göttingen und auch aus Düsseldorf, die sich entschlossen haben, gegen die schrittweise Ersetzung der deutschen Sprache durch die amerikanische seit der Periode der Besatzung zu kämpfen. Deutschland ist ohne Zweifel das Land in Europa, das die amerikanische Dominierung am weitestgehenden akzeptiert hat. Ich habe meine Rede auf französisch gehalten, nachdem ich eine deutsche Übersetzung an die Teilnehmer habe verteilen lassen.

Glauben Sie, daß das französische "Toubon-Gesetz" auf deutsche Verhältnisse übertragbar ist?

Ich glaube, man erlebt in Deutschland zur Zeit zwei Entwicklungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik mit. Auf der einen Seite vertritt Bundeskanzler Schröder die Ansicht, daß Deutschland aus der Vergangenheit heraustreten müsse. Auf der anderen Seite gibt es akademische und universitäre Kreise, in denen man glaubt, daß Deutschland seine kulturelle Souveränität auch ausüben müsse. Es ist durchaus möglich, daß Deutschland sich in derselben Weise auf der parlamentarischen Schiene engagiert, wie dies in Frankreich mit dem "Toubon-Gesetz" geschehen ist. Der Schutz der Muttersprachen ist ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Verschiedenheiten der Nationen in Europa. Die Sprache ist ein unverzichtbarer kultureller Eckpfeiler. Es steht ganz außer Frage, daß, während natürlich die Sprachen historische Momente des Lebens der Völker und der Nationen ausdrücken, die wichtigen Schriften doch gleichzeitig stets in ein amerikanisches Idiom übertragen werden. Versuchen wir also, in drei Sprachen zu sprechen: in unserer Muttersprache, in einer anderen Sprache und in Englisch als Trägerin der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen.

Was ist in diesem Geiste von den gegenwärtigen Bemühungen der deutschen Regierung zu halten, in den Sitzungen der EU eine Parität zwischen einerseits der deutschen Sprache und andererseits englisch und französisch herzustellen?

Die Dreisprachigkeit scheint mir notwendig. Als ich Mitglied des Rates der europäischen Kulturminister war, 1993 sogar als Präsident dieses Gremiums, habe ich stets auf der Wichtigkeit der nationalen Sprachen bestanden. Im Jahre 1993 schienen mir die Deutschen nicht sehr um den Gebrauch ihrer Sprache bekümmert zu sein. Ich für meinen Teil habe es stets abgelehnt, mit englisch verfaßten Texten zu arbeiten. Ich bin davon überzeugt, daß die deutsche Sprache mit der englischen und der französischen gleichrangig sein muß. Die italienische und die spanische Sprache sollte ebenfalls mit der englischen und französischen gleichrangig behandelt werden.

Welche Bilanz ziehen sie aus der Anwendung des Gesetzes zum Schutz der französischen Sprache, das Sie zur Abstimmung gebracht hatten?

Die Bilanz ist unterschied-lich. Er-stens: es ist unbezweifelbar, daß seit fünf Jahren eine Sensibilisierung für alles, was mit der französischen Sprache zusammenhängt, stattgefunden hat. Zweitens: das Gesetz wird allgemein in den großen Medien angewendet, seien es Druckmedien oder audiovisuelle. Umgekehrt, und das ist der dritte Teil meiner Antwort, die Wirtschaft und die Werbeleute kennen das Gesetz in der Regel nicht. Die bevollmächtigten Organisationen müssen ihrer Aufgabe gerecht werden und die Justiz anrufen. Ich erwähne die Gesellschaft "Avenir de la langue française" (Zukunft der französischen Sprache), die ein Wörterbuch mit achttausend Wörtern herausgegeben hat, in denen anglisiertes Französisch (wir nennen das "Franglais") in französische Wendungen übersetzt wurde. Alles in allem glaube ich, daß das Gesetz von 1994 sein Ziel gegenüber dem Verbraucher erfüllt hat. An je-des Pro-dukt, das in den Verkauf kommt, muß jetzt eine französischsprachige Beschreibung angebracht werden.

Was halten Sie von dem, was man in Frankreich "Exception culturel- le" (kulturelle Ausnahmeregelung) nennt?

Ich bin einer der Erfinder dieses Begriffes. Als Kulturminister, der für die Francophonie (Französischsprachigkeit) zuständig ist, habe ich ein System kultureller Ausnahmeregelungen mit den europäischen und amerikanischen Vertretern anläßlich der GATT-Konferenz (Welthandelsabkommen) im Jahre 1993 ausgehandelt. Die kulturelle Ausnahmeregelung muß bei den Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation (WTO) beibehalten werden, weil sie die Verfolgung einer Politik kultureller Gestaltung der Bürger erlaubt, die unabdingbare Voraussetzung für die kulturelle Entwicklung der Nationen ist. Ich hoffe daher, daß sich die "kulturelle Ausnahme- regelung" innerhalb der Welt- handelsorganisation durchsetzen wird.

Sind Sie der Ansicht, daß es bei der Europäischen Kommission in Brüssel eine Art "Europäischen Kulturbeauftragten" geben müßte?

Zwischen 1993 und 1994, als ich Kulturminister für die Francophonie gewesen bin, hatte Frankreich ein System von "missi dominici" – Beauftragte zum Schutz der französischen Kultur – eingerichtet. Es wäre jetzt hilfreich, wenn Herr Pascal Lamy, der Europäische Kommissar für internationale Wirtschaftsbeziehungen, einen Sonderbeauftragten für kulturelle Fragen hinzuziehen würde. Dieser europäische Sonderbeauftragte wäre geeignet, die kulturellen Gesichtspunkte bei den Verhandlungen über die Liberalisierung des internationalen Handels anzusprechen. Dieser Sonderbeauftragte der Brüsseler Kommission sollte seine Aufgabe aber auf kulturelle Fragen beschränken.

Das Lateinische war einst die Sprache der Geistlichkeit und der Wissenschaften, das Französische die Sprache der gebildeten Schicht. Welche Sprachpolitik würden Sie sich vor diesem Hintergrund für das Französische wünschen?

Zunächst müssen wir unsere Sprache in unserem Land verteidigen. Wir müssen verhindern, daß das Englische alles überrent. Man kann in der Tat keine französische Sprachpolitik betreiben ohne eine Verteidigung der französischen Sprache in Frankreich selbst. Zweitens: Frankreich muß den Austausch mit dem Ausland entwickeln, um eine aktive Sprachpolitik zu betreiben. Wir müssen vor allen Dingen mehr ausländische Studenten aufnehmen und ausländische Studenten durch ein für sie günstiges Stipendiensystem gewinnen. Schließlich müssen wir die internationale Gemeinschaft der französischsprachigen Länder auf diplomatischem und kulturellem Gebiet entwickeln. Wir müssen uns finanziell stärker am Leben der französischsprachigen Staaten beteiligen. Ebenso muß unsere Aufmerksamkeit auf die Zweisprachigkeit zusammen mit dem Französischen in diesen Ländern gerichtet sein. Ohne natürlich die Präsenz der französischen Sprache in den internationalen Organisationen, vor allem in den Vereinten Nationen und der UNESCO zu vergessen.

Werden Sie also voraussichtlich nach Deutschland zurückkehren, um an weiteren Treffen für die Förderung der europäischen Kultur teilzunehmen?

Ich pflege die Kontakte mit deutschen Verbänden und hoffe diese zu befruchten.