25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.02.00 Laßt uns doch unsere Lieder

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Februar 2000


Laßt uns doch unsere Lieder
"Zogen einst fünf wilde Schwäne" als nichtssagender Schlager

Wir Ostpreußen sind ja so einiges gewohnt, vor allem, was Geschichte und Geographie betrifft. Mit diesen Irrungen und Wirrungen könnte man Bände füllen. Neuerdings gibt es auch so etwas wie "Kulturknitterung". Von manchen Künstlern wird schamvoll verschwiegen, wo ihre Wiege stand oder ihre Laufbahn begann, Schauplätze bekannter Romane werden rigoros in andere Regionen verlegt, und auch vor unserm Liedgut macht die Verfälschung nicht halt. Das betrifft vor allem unser "Ännchen von Tharau", die brave Pfarrerstochter aus dem Natangschen, der Simon Dach eines der schönsten aller deutschen Liebeslieder gewidmet hat, ein Hochzeitscarmen in samländischem Platt.

Was hat sich das gute Anke alles gefallen lassen müssen! Veroperettet à la "Lindenwirtin, du junge", verkitscht als armes, schwer darbendes Fischermädchen, dem der Dichter Simon Dach in entsagungsvoller Liebe verfällt, als Flüchtlingswaise mit dem Bündel in der Hand – eigentlich wartet man nur noch auf ein Musical, in dem das gute Ännchen restlos verpopt wird. Selbst der sehr geschätzte Günter Wewel hat das Ännchen nicht in seiner Heimat belassen – er hat es wenigstens etwas östlich transferiert, nach Pommern, wo es in einer seiner "Kein schöner Land"-Sendungen erklang.

Aber was ich da kürzlich hören mußte, als ich eine WDR-Musiksendung einschaltete, trieb mich wie Hefeteig hoch: "Zogen einst fünf wilde Schwäne" erklang da, präsentiert von der noch immer trällernden Margot Eskens in "Cindy, oh Cindy"-Manier. Und brachte mich das schon auf die Palme, dann erst recht der Text, denn die fünf jungen Mädchen wuchsen nicht am Memelstrand, sondern am Elbestrand und die jungen Burschen zogen auch nicht zum Kampf, sondern in die weite Welt hinaus, wahrscheinlich mit einem Überseedampfer von Hamburg. Und daß die Mädchen nicht ihren Brautkranz winden konnten, wurde von der Eskens mit einer leichten Handbewegung abgetan: Sing, sing, was geschah …

Was da geschah, ist leicht zu erklären. Ein Lied aus Ostpreußen wäre heute Anachronismus, wo fließt denn überhaupt, bitte schön, die Memel? Und daß junge Männer zum Kampf ziehen, darf in einem deutschen Lied nicht sein, das wäre ja Kriegsverherrlichung.

Dabei ist dieses alte, schöne Lied aus unserer Heimat gerade ein Antikriegslied. Denn weil die jungen Burschen in den Kampf ziehen mußten, konnten die Mädchen nicht den Brautkranz winden. Es ist die Trauer der Mädchen um die nicht heimgekehrten Liebsten, die in diesem Lied aufklingt. Und auch die Klage um die nie in Blüten gestandenen Birken, um die nie mehr gesehenen Schwäne – spricht es nicht von der großen Zerstörung, dem Orlog, der alles Leben vernichtet hat? Es ist dem ostpreußischen Volkskundler Professor Karl Plenzat zu verdanken, daß er dieses alte Lied bewahrt hat. In seiner Heimat im östlichen Teil unseres Landes. Sein Vater, der Präzentor Plenzat aus Eydzuhnen, hat es aufgezeichnet. Im litauischen Urtext, denn die Siedler von jenseits der nahen Grenze haben es mitgebracht, oder es entstand hier irgendwann im Laufe der Jahrhunderte, denn die Litauer bewahrten auch in Preußen ihre Sprache und Sangesfreudigkeit. Plenzat übersetzte den litauischen Urtext ins Deutsche, wobei er sich streng an die Urfassung hielt, und brachte es in seine große Volksliedersammlung "Der Liederschrein" ein.

Ostpreußen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts die wohl liederreichste Provinz Deutschlands. Hier wurden deutsche Spinnstubenlieder aufgezeichnet, die anderswo schon längst verklungen waren. Hinzu kamen die bis dahin noch nicht gesammelten masurischen und ergänzenden litauischen Lieder, die den schwermütigen Klang der "Dainos", der litauischen Volksgesänge, haben. Auch das Lied von den fünf jungen Schwänen …

Und dann wird es so in einer Unterhaltungsmasche dahingeträllert, leicht und seicht und nichtssagend … Nein, o bitte nein! Laßt uns doch wenigstens unsere Lieder! R. G.