20.04.2024

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19.02.00 Wann knallt’s?

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Februar 2000


Wann knallt’s?
von Hans Heckel

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt ging in Halle an der Saale vergangenen Sonntag die erste Wahl unter dem Eindruck der Parteispenden- und Flugaffären über die politische Bühne. Die Hallenser waren aufgerufen, einen neuen Oberbürgermeister zu wählen.

Das Ergebnis ist niederschmetternd. Nur noch 37,6 der Wahlbererechtigten gingen zu den Urnen. Bei der letzten Wahl waren es noch 60,3 Prozent gewesen. Die SPD-Kandidatin Ingrid Häußler erhielt 44,8 Prozent, PDS-Mann Uwe-Jens Rössel 18,8 und für den CDU-Mitbewerber Detlef Schubert mochten sich gerade noch 16,3 Prozent erwärmen.

Kein Zweifel: Den Menschen östlich der Werra steckt die Enttäuschung über das, was sie in den vergangenen Wochen mit ansehen mußten, doppelt schwer in den Knochen. Ausgerechnet Helmut Kohl, dem sie zugejubelt, als ihren Kanzler der lang ersehnten Einheit frenetisch gefeiert hatten, zeigt ihnen ein Gesicht, das selbst hartgesottene westdeutsche Politzyniker schaudern läßt.

Schlimmer noch: Der "ganze Laden" mutet einer offenbar rapide wachsenden Zahl von Menschen korrupt und verlogen an. Wo ist der Bundespräsident, der doch jetzt seine ganze moralische Autorität entfalten müßte? Steckt bis zum Hals in eigenen Affären, war über Jahrzehnte Mitglied eines "IC72" genannten Kungelclubs gewichtiger Leute in Nordrhein-Westfalen, der das Land und dessen Landesbank fest im Griff hatte. Und die Grünen? Wer sie einst schätzte wegen hypermoralischer "Ideale", mußte nun hören, daß über Jahre für die Abgeordnetenarbeit gedachte Steuergelder in die Parteikasse umgeschaufelt wurden. Jetzt stützen die Grünen an Rhein und Ruhr als Koalitionspartner eine WestLB-affärenbeschmuddelte SPD in der Koalition. (Übrigens, ohne dafür unter denselben Mediendruck zu geraten wie die hessische FDP in einem ganz ähnlich gelagerten Fall, was schon Stoff für einen ganz eigenen Kommentar abgäbe ...)

Indes ist die Frustration der Bürger natürlich kein ausschließlich mitteldeutsches Phänomen, wenngleich sie auch hier besonders drastisch auszufallen scheint.

Das Kölner "rheingold"-Institut ging einer Frage nach, die in den Kolumnen mancher Zeitungen bereits emsig diskutiert wird: Warum demonstriert eigentlich niemand? Der "rheingold"-Wissenschaftler Stephan Grünewald kam zu der ernüchternden Bilanz: "Trotz einer tiefgreifenden Vertrauenskrise schließen viele Wähler ein Stillhalteabkommen mit der Politik. Sie sind zwar tief erschüttert von den Partei-Affären, ziehen aber kaum persönliche bzw. politische Konsequenzen. Um den Status quo, die persönlichen Besitzstände und das eigene politische Trägheitsprinzip nicht zu gefährden, verschließt man vor dem Ausmaß der Krise die Augen ..."

Grünewald geht daher davon aus, daß die Krise zunächst abflaut. Lediglich einige Bauernopfer würden verlangt und die CDU bei Wahlen symbolisch abgestraft. Die Menschen zögen sich noch stärker von der Politik zurück, die Verdrossenheit werde unterschwellig wachsen.

Echte Veränderungen brächten die befragten Bürger mit Rechtsradikalismus zusammen, und davor fürchteten sie sich. Außerdem wird mit "tiefgreifenden Reformen" offenbar die Angst verbunden, daß auch persönliche Besitzstände in Frage gestellt werden könnten. Und zwar sowohl bei CDU- wie bei SPD-Wählern, die Diplom-Psychologe Grünewald in zweistündigen Tiefeninterviews befragte.

Auf Dauer jedoch erscheint Grünewald diese eigentümliche Allianz brüchig: "Langfristig Auftrieb werden politische Führungsgestalten haben, die einerseits versprechen, mit Ungerechtigkeiten aufzuräumen; von Filz und Undurchschaubarem zu befreien, klare und einfache Strukturen herzustellen, die aber andererseits auch garantieren, daß die vertrauten Besitzstände erhalten bleiben und man sich nicht selber engagieren muß."

Mit anderen Worten: 50 Jahre Bonner Republik haben ein Volk hinterlassen, daß die Politik am liebsten den anderen überlassen, nur seine Ruhe haben und seine Pfründen retten will: "Solange das Bier nicht mehr als drei Mark kostet, gehe ich nicht auf die Barrikaden", zitiert Grünewald einen Befragten.

Hier werden die Schattenseiten eines Systems, das die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Volkes (Volksabstimmungen, Direktwahl von politischen Repräsentanten etc.) auf ein Minimum begrenzt hat, unübersehbar: Der alles überwuchernde Parteienstaat hat die Deutschen der Politik derart entwöhnt, daß sie ihnen fast egal geworden ist. Wehe einer solchen Republik, wenn sie wirklich einmal in eine Existenzkrise gerät und den Beistand eines solchermaßen ermatteten Volkes bitter benötigt.