29.03.2024

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19.02.00 Zitate · Zitate

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Februar 2000


Zitate · Zitate

"Die Wahrheit ist doch folgende: Wir erleben in Österreich den Zusammenbruch eines Systems. Jetzt kann man sagen, um Gottes willen, ein System bricht zusammen. Es bricht ein System zusammen, das im besten Fall ein vordemokratisches war, in vielen Bereichen ein undemokratisches und in jedem Fall ein mit der modernen Welt überhaupt nicht vernetzbares ...

Ich kann die Weltuntergangsrhetorik nicht nachvollziehen. Ich sehe auch den Untergang. Nur sehe ich ihn mit Freude. Um klarzustellen: Ich sehe nicht den Aufstieg Haiders mit Freude oder einen Kanzler Haider, sondern ich sehe mit Freude, daß die Implosion des Proporz- und Sozialpartnerschaftsstaates, die 50 Jahre währende Aufteilung des Staates auf die Würdenträger zweier Parteien, zu Ende ist. Und daß der Untergang dieses Systems die Möglichkeit für demokratiepolitische Fortschritte gibt, für die Wiederherstellung des Politischen ...

Sowohl SPÖ als auch ÖVP und FPÖ hätten jeweils gute Gründe, das Wahlrecht zu ändern. In dem Augenblick, in dem es der Bevölkerung möglich ist, eine Regierung zu wählen und auch wieder abzuwählen, in dem Augenblick wäre der Horror, die Panikmache vor Haider, vorbei. Warum löst Haider im In- und Ausland so eine Panik aus? Alle glauben, wegen drei anrüchiger Äußerungen. Stimmt nicht. Deswegen ist er eher als unzuverlässig zu bezeichnen, was international viel bedrohlicher ist als irgendeine blöde Rede vor SS-Veteranen. Nein, die Panik, die Haider auslöst, hat nur einen Grund: In dem Augenblick, in dem er an die Macht kommt, muß man auf Grund der österreichischen Verhältnisse davon ausgehen, daß er mindestens 20, 25 Jahre an der Macht bleibt. Es wird nicht so lange sein wie Kaiser Franz Joseph, aber es wird sich irgendwo in der Mitte einpendeln zwischen den 50 Jahren, die die Sozialpartner ohne verfassungsmäßige Legitimation miteinander regiert haben, und den 30 Jahren, die die Sozialdemokraten den Kanzler gestellt haben. In Wahrheit hat ja Österreich seit fast 20 Jahren keinen Kanzler mehr gewählt. Das waren Hofübergaben. Der Kreisky hat zum Sinowatz gesagt, Fredl mach’s du. Dann hat der Sinowatz gesagt: Franzl, du bist dran. Und dann hat der Vranitzky gesagt, Vickerl, i mag nimma, mach du weiter. Keiner von denen ist als Kanzlerkandidat in eine Wahl gegangen. Dieser Kreis ist jetzt nachhaltig durchbrochen worden ...

Eine hundsnormale Transformationskrise, wie sie in allen Gesellschaften stattfindet. Mit einer Verfassungs- und Wahlrechtsreform wäre sie bereinigt, und alles kann seinen demokratischen Gang nehmen. Das Land ist stabil. Das Land ist eingebunden in die EU. Das Land hat Erfahrungen mit schweren Transformationskrisen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Wir haben dort stets Beifall geklatscht, wenn eine Systemimplosion zu einem demokratiepolitischen Fortschritt geführt hat. Und wir sind trotzdem in Länder auf Urlaub gefahren, wo kurze Rückschläge passiert sind. Wir sind nach Italien gefahren, obwohl Berlusconi regiert hat. Wo ist jetzt das Problem? Ab jetzt kann alles nur noch demokratischer werden. Auch dann, wenn eine Regierung entsteht, die ich absolut nicht haben will, aber bisher hatte ich eine Regierung, die ich, wenn ich sie nicht haben wollte, nicht abwählen konnte ...

Was war denn bisher? Wir hatten einen sozialdemokratischen Kanzler in einer Koalition, die ihm kaum noch Möglichkeit gab, sozialdemokratische Politik zu machen. Demgegenüber stand eine starke rechte Opposition. Jetzt bekommen wir eine konservative Regierung, die von einer starken linken Opposition kontrolliert wird. Welche Welt soll da untergehen? Auch was die Kunst betrifft, plädiere ich für Gelassenheit. Ich hab’ noch nie gehört, daß produktive Kunst vom Erdball verschwunden ist, wenn Rechte regiert haben. Ein Künstler macht seine Kunst, da kann regieren, wer will." Hubert Menasse

Wiener Schriftsteller, Staatspreisträger

in einem Interview mit "Kleine Zeitung" vom 28. Januar 2000