20.04.2024

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04.03.00 Frauengruppe erstritt für Betroffene endlich Kriegsopferrente

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. März 2000


Vertreibungsfolgen: Vergewaltigungen geächtet
Frauengruppe erstritt für Betroffene endlich Kriegsopferrente

Ein Krieg ist nicht zu Ende, wenn der einen Seite das Pulver ausgegangen und die andere das gegnerische Land überrannt hat. Es wirkt der Tod der Väter, Söhne und Brüder in den Familien fort, es bleiben die schrecklichen Verwundungen, der Verlust von Gliedmaßen und die selten wägbaren seelischen Schmerzen, die als traumatische Erfahrungen oft über zwei, drei Generationen gegenwärtig bleiben.

Eine besondere Geißel der Kriege sind die Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen durch Soldaten. Hier sollen, insbesondere bei Raubkriegen, Soldaten durch die Verheißung auf Beute bei ihrem blutigen Gewerbe zum Durchhalten und zu besonderem Haß angestiftet oder aber, wie bei den Vergewaltigungen, dem Gegner besondere Demütigungen zugefügt werden. Es gehört neben den barbarischen Bombenangriffen auf die Zivilbevölkerung zu den furchtbarsten Folgen des Zweiten Weltkrieges, daß über 240 000 Frauen allein durch Vergewaltigungen zu Tode gekommen sind, während die Zahl der Vergewaltigungen in die Millionen gehen dürfte. Räumlich beschränkten sich diese Gewalttaten im wesentlichen auf Ostdeutschland, aber auch im badischen Raum sind durch den französischen Einsatz von afrikanischen Kolonialtruppen insbesondere nach gezieltem Alkoholausschank Übergriffe in namhafter Zahl bekanntgeworden.

Während im deutschen Südwesten die Vergewaltigungen weithin durch Willkür einzelner französischer Kommandeure erfolgen, die Haager Konvention von 1907 ächtet die Vergewaltigung als unentschuldbares Verbrechen, erfolgen sie im deutschen Osten nach einem von Moskau gebilligten offiziellen Programm, das glücklicherweise durch eine Vielzahl von Offizieren und Soldaten unterlaufen wurde, wie dies die Werke von Alexander Solschenizyn und Lew Kopelew bezeugen.

Stalins sogenannter "Fackelmännerbefehl" von 1941, der die Ermordung und Brandschatzung der eigenen sowjetischen Bevölkerung und Ländereien durch in Wehrmachts- und Waffen-SS-Uniform gekleidete sowjetische Spezialeinheiten zu blutiger Praxis werden ließ, ist erst jüngst durch das russische Sicherheitskomitee (siehe OB 5/00, S. 2) bestätigt worden und fand am Kriegsende seine kriminelle Entsprechung durch Aufrufe Ilja Ehrenburgs. Der Sowjetpropagandist rief nicht nur zum "Töte!" auf, sondern stachelte mit seiner Forderung "Nehmt der deutschen Frau den Hochmut ..." die niedersten Instinkte der ihm propagandistisch millionenfach anvertrauten Soldaten mit den bekannten Folgen an.

Viele der Betroffenen litten und leiden in der Folge für ihr sexuelles Leben an gestörter Bindungsfähigkeit zum anderen Geschlecht sowie an der Stigmatisierung des Geschehens. Fachkreise urteilen, daß "das Erlittene das ganze Leben überschattet" habe. Viele flüchteten sich überstark in berufliche Aktivitäten, um das Traumatische des Geschehens, das mitunter sogar im Beisein von Kindern geschah und zudem oft noch von Erschießungen, Plünderungen und dem generellen Verlust von Heimat begleitet war, zu verdrängen.

Als in der Folge des gegenwärtigen Balkankrieges von der Kieler Fachberatungsstelle "Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen" aus Anlaß der dortigen Vergewaltigungen zu Spenden aufgerufen wurde, meldeten sich gehäuft ostdeutsche Frauen, die selbst während des Weltkrieges Gewaltopfer gewesen waren. Bei dieser Gelegenheit wurde das Schweigen über dieses Thema gebrochen, das neben der moralischen Tabuisierung auch eine politische aufwies. Mord, Vergewaltigung und Gebietsraub paßten wenig in die Konzeption von Siegern, die sich selbst gern moralisch hochrüsten und als "Befreier" empfehlen und feiern lassen. Und natürlich auch nicht in die Konzepte von Bundespolitikern, die weder den Konflikt mit den Siegern suchen noch geschichtlicher Wahrheit beistehen möchten.

Für die Kieler Hilfsorganisation galt aber nur das faktische individuelle Geschehen an Frauen und die Tatsache, daß diese Verbrechen noch immer keine materielle Anerkennung in Form von Kriegsopferentschädigungsrenten gefunden hatte. Erwartungsgemäß sperrte sich zunächst das Sozialamt Schleswig-Holsteins, obschon der erste Prozeß beim Landessozialgericht Schleswig gewonnen wurde. Inzwischen ist das Bundessozialgericht in Kassel mit Erfolg angerufen worden. Eine sehr späte Genugtuung für die Opfer, die sich nun auf diesen Musterprozeß (Aktenzeichen: AZ L 4 V 27/94) berufen können. (Auskunft: "Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen e. V. Kiel. Ruf: 04 31/9 11 44.) Peter Fischer