20.04.2024

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04.03.00 Nach der Theiß-Tragödie: An allem ist der Regen schuld

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. März 2000


Nach der Theiß-Tragödie: An allem ist der Regen schuld
Viktor Orbáns Rumänienreise steht unter schlechten Vorzeichen
Von Martin Schmidt

Ungünstiger könnte die Ausgangslage für den im April geplanten ersten offiziellen Rumänien-Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán kaum sein.

Die auf die Schlamperei in einer Gold- und Silbermine im nordrumänischen Neustadt (rumän.: Baia Mare, ungar.: Nagybánya) zurückgehende Zyanid-Verseuchung der Theiß hat in Ungarn wütende Proteste gegen den ohnehin nicht beliebten Nachbarn sowie gegen die australische Mutterfirma Esmeralda Ltd. hervorgerufen. Empörte Bürger zertrümmerten in Budapest die Fenster der rumänischen Botschaft und bewarfen das rumänische Konsulat in Szegedin mit toten Fischen.

Ungarn ist mit seinem über 200 Kilometer langen Theiß-Abschnitt sowie dem ebenfalls stark vergifteten Zufluß Samosch am stärksten

Tonnen toter Fische

von der Katastrophe betroffen. Erste Schätzungen besagen, daß 80 Prozent der Fauna des zweitgrößten Flusses in diesem mitteleuropäischen Land zerstört sind.

Einige der mehr als 60 in der Theiß vorkommenden Fischarten dürften für längere Zeit ausgelöscht sein. Die Konsequenzen für die Vogelwelt der Region stehen noch in den Sternen. Insbesondere die seltenen Flußadler sind hochgradig gefährdet.

Fachleute gehen davon aus, daß eine völlige ökologische Erholung erst in zehn bis 15 Jahren erreicht werden kann. Aber auch dies ist keinesfalls sicher, da die langfristigen Schäden durch eine mögliche Ablagerung von Schwermetallen noch nicht zu ermessen sind.

Hunderte Tonnen toter Fische wurden bislang geborgen. Der wirtschaftliche Ruin zahlloser Fischer wird kaum zu verhindern sein. Der zum Sonderbeauftragten der Regierung für die Koordinierung der staatlichen Hilfen ernannte Fischereiexperte János Gönczy kann allenfalls Schadensbegrenzung betreiben.

Die rumänische Regierung, die auch Teilinhaberin der für die Katastrophe vom 30. Januar direkt verantwortlichen Aurul AG ist, verfolgt bisher eine Verharmlosungsstrategie, die vielen Ungarn die Zornesröte ins Gesicht treibt. Statt sich Gedanken über allzu laxe Umweltstandards zu machen, verweist man in Bukarest auf starke Regenfälle, die das Unglück erst ermöglicht hätten.

Natürlich ist hier viel Taktik im Spiel, will man doch den naheliegenden Zweifeln an einer umweltpolitischen EU-Tauglichkeit Rumäniens sowie den ungarischen Schadensersatzforderungen die Spitze nehmen.

Neben einer zivilrechtlichen Klage gegen die Verursacherfirma und deren Mutterunternehmen in Australien steht auch ein juristischen Vorgehen gegen Rumänien vor dem Europäischen Gerichtshof im Raum. Zur Planung der einzelnen rechtlichen Schritte wurde eigens ein Fachgremium gebildet, als dessen Leiter der Kölner Uni-Gastdozent und ehemalige ungarische Verfassungsgerichtspräsident Prof. Lászlo Sólyom amtiert.

Bei der hoch verschuldeten Aurul AG dürfte nach Sólyoms Worten allerdings nicht viel zu holen sein. Auch Brüssel hat sich bislang hinsichtlich möglicher EU-Sonderhilfen bedeckt gehalten.

Eine internationale Expertenrunde soll zunächst die genauen Ursachen der Flußvergiftung ergründen und die Schäden beziffern. Erst danach sei an die Umschichtung von Geldern aus den Fonds für die EU-Vorbereitung der Beitrittskandidaten zu denken, äußerte die für Umweltfragen zuständige schwedische EU-Kommissarin Wallström nach einem Lokaltermin.

Viel dürfte für die Ungarn aus Brüssel wohl nicht zu erwarten sein, zumal andernfalls gleich mehrere ostmitteleuropäische Staaten auf der Matte ständen, die ebenfalls mit der Bewältigung kostspieliger Umweltschäden zu kämpfen haben. Erst kürzlich wurden in Estland zum Beispiel die Ergebnisse einer Untersuchungskommission veröffentlicht, die das gewaltige Ausmaß der durch die sowjetische Besatzungsarmee verursachten Umweltverschmutzungen aufzeigt.

Nach Angaben der Zeitung "Postimees" vom 23. Februar belaufen sich die Beseitigungskosten für die in den einstigen Basen der Roten Armee in den Boden gesickerten Motoren-Kraftstoffe und Chemikalien auf ungefähr 56 Milliarden Kronen (gut 7 Milliarden Mark). In einigen Regionen ist auch die Wasserversorgung betroffen.

Die auf 800 Orte verteilten sowjetischen Militärstützpunkte bedeckten vor der Unabhängigkeit immerhin 87 147 Hektar Land, das entspricht rund zwei Prozent des gesamten estnischen Territoriums. In der Zeit zwischen 1992 und 1998 konnten von der Baltenrepublik lediglich 39,4 Millionen Kronen für die notwendigen Reinigungsmaßnahmen aufgebracht werden.

Gegenüber Magyar Rádió betonte Ministerpräsident Viktor Orbán, daß die anvisierten Schadensersatzprozesse gegen Rumänien "natürlich die bilateralen Beziehungen beeinträchtigen", aber für einen entstandenen Schaden müsse eben der Verursacher aufkommen. Mit Freundschaft oder Feindschaft habe dies nichts zu tun, so Orbán.

Andererseits hat sich der Chef der Mitte-Rechts-Koalition in Budapest für seinen Rumänien-Besuch im April einiges vorgenommmen, was mit vergrätzten rumänischen Gesprächspartnern sicherlich nicht umzusetzen ist.

So soll die Zustimmung zur Eröffnung eines ungarischen Generalkonsulates in Csikszereda im Zentrum des Siedlungsgebietes der Szekler erreicht werden. Denn außer in Bukarest gibt es bis dato nur ein Generalkonsulat in Klausenburg (rumän.: Cluj, ungar.: Kolozsvár). Beide Vertretungen liegen jedoch ziemlich weit entfernt vom Szeklerland im Nordosten Siebenbürgens. Dort leben etwa 700 000 Angehörige des sich zum Ungarntum bekennenden Stammes.

Des weiteren strebt die Republik Ungarn eine Vereinbarung über eine Wirtschaftsvertretung in Klausenburg sowie ein Konsulat in Konstanza an. Nördlich dieses Schwarzmeerhafens haben die zyanidverseuchten Gewässer aus der Theiß inzwischen das Öko-Paradies des Donaudeltas erreicht. Wenigstens können sie dort aufgrund der starken Verdünnung des Gifts keinen Schaden mehr anrichten.