28.03.2024

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11.03.00 Bulgarien ist noch längst nicht EU-reif

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. März 2000


Bulgarien ist noch längst nicht EU-reif: Gefahren der Balkanisierung
Sofias latente Probleme mit der türkischen Minderheit / Von Martin Schmidt

Bulgarien wird es schwer haben, die Hürden für den EU-Beitritt in absehbarer Zeit zu nehmen. Daß dieses Balkankernland überhaupt zu jenen sechs Staaten der zweiten Erweiterungsrunde gehört, mit denen seit kurzem offizielle Gespräche laufen, ist schon ein Erfolg und läßt sich vor allem auf die Fürsprache Frankreichs zurückführen.

Der Vergleich einiger Schlüsseldaten mit anderen Ländern im östlichen Europa zeigt den enormen Rückstand. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 1998 im ökonomisch ebenfalls schwächelnden Rumänien bei 5300 Dollar lag, in Ungarn bei 7400 und in Slowenien sogar bei 10 000, belief es sich in Bulgarien auf nur 4100 Dollar.

Hinsichtlich der monatlichen Durchschnittslöhne sieht es ebenfalls mau aus: In Bulgarien liegen sie gegenwärtig bei rund 110 US-Dollar, in Rumänien bei 153, in Tschechien bei 360 und in Slowenien bei über 900. Dafür waren die 8,2 Millionen Bürger Bulgariens im vorletzten Jahr in Sachen Arbeitslosigkeit mit 14 Prozent "spitze", gefolgt von den Ungarn mit 9 Prozent, den Rumänen mit 8,8 und den Slowenen mit 7,1 Prozent.

Die Europäische Kommission hatte bereits im Herbst 1999 anläßlich ihrer Empfehlung an die Staats- und Regierungschefs in der EU zur Erweiterung des Kandidatenkreises verlauten lassen, daß Rumänien und Bulgarien den weitesten Weg vor sich hätten.

Während in Rumänien bei den Ende Oktober oder Anfang November anstehenden Parlaments- bzw. Präsidentschaftswahlen ein Linksrutsch und erhebliche innere Erschütterungen drohen, bewegt sich die bulgarische Politik und Wirtschaft in ruhigeren Fahrwassern. Der Europarat konstatiert deutliche Fortschritte und beschloß am 26. Januar – sieben Jahre nach der vorläufigen Aufnahme Bulgariens – die Einstellung des Überwachungsverfahrens.

Zur Begründung wurde u. a. auf die Abschaffung der Todesstrafe sowie die Reform des Gerichtswesens und des Strafrechts hingewiesen. Darüber hinaus gab es in Straßburg Lob für die Unterzeichnung der Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, das allerdings durch den Verweis auf den noch immer unzureichenden muttersprachlichen Schulunterricht für diese Bevölkerungsgruppen eingeschränkt wird.

Hauptkritikpunkte sind Mängel bei der Gewaltenteilung, die sich im fortbestehenden Einfluß der seit 1997 amtierenden bürgerlichen Regierung auf die Besetzung des Obersten Gerichtshofes und der Position des Generalstaatsanwalts niederschlagen sowie in den weitgehenden Lenkungsmöglichkeiten bei den Medien.

Die deutsche Botschafterin in Sofia, Ursula Seiler-Albring, fügte im Dezember in einem Interview mit dem "Bulgarischen Wirtschaftsblatt" weitere Problemfelder hinzu. In der gebotenen diplomatischen Zurückhaltung wies sie auf die Rechtsunsicherheit und die mangelnde Durchschaubarkeit von Verwaltungsentscheidungen hin, die Investoren zu schaffen machen.

"Es kommt nicht nur auf die Formulierung guter Gesetze an", betont sie, "sondern die Gesetze müssen dann eben auch durch entsprechendes Verwaltungshandeln umgesetzt werden."

Trotz der aus hiesiger Sicht vorteilhaften traditionellen Deutschfreundlichkeit der Bulgaren ist festzuhalten, daß eine verantwortungsbewußte europäische Politik zu äußerster Vorsicht mahnt, wenn es darum geht, die Gemeinschaft um Staaten zu erweitern, deren Wirtschaftskraft und Lebensstandard auf absehbare Zeit weit unter dem der zur Zeit ärmsten Mitgliedsländer liegt. Hinzu kommt das Kapitel möglicher ethnischer Konflikte, die in die Union importiert werden könnten.

Nicht nur in Rumänien, auch in Bulgarien liegt diese Gefahr auf der Hand. Insbesondere die Abneigung gegenüber der türkischen Minderheit gibt Anlaß zur Sorge.

Das Verhältnis zum großen Nachbarn im Südosten ist historisch stark belastet, da Bulgarien seit der Unterwerfung 1393 bis zum russisch-türkischen Krieg von 1877/78 über viele Jahrhunderte eine unfreie osmanische Provinz war und erst 1908 die volle Unabhängigkeit erringen konnte. Diese Negativ-Erfahrung wirkt sich nicht zuletzt auf die Haltung des Staatsvolkes gegenüber den heute fast 900 000 Angehörigen der türkischen Volksgruppe aus.

Nachdem die Zahl der Türken 1920 noch bei 520 000 (gegenüber 4,8 Millionen Bulgaren) gelegen hatte, war sie bis 1944 dank einer hohen Geburtenrate auf ca. 800 000 gestiegen. Der kommunistische bulgarische Staat reagierte mit Repressionen, die dazu führten, daß allein zwischen 1948 und 1952 ungefähr 150 000 Türken nach Kleinasien übersiedelten.

Nach einer Entspannungsphase in den 60er Jahren fanden die Minderheiten in der Verfassung von 1971 plötzlich keine Erwähnung mehr. Die kommunistische Regierung reagierte auf die trotz Massenauswanderung stetig wachsende Zahl von Türken mit großer Nervosität. Die Geburtenrate der Minderheit war landesweit mit Abstand die höchste und kontrastierte die Entwicklung der Titularnation zur Ein-Kind-Familie.

Die meist in ländlichen Gegenden geschlossen siedelnden Türken mit ihrer anderen Religion hatten sich kulturell und sprachlich als nicht assimilierbar erwiesen. Drastischere Maßnahmen folgten: 1974 wurde der türkische Sprachunterricht an Schulen abgeschafft, und ab 1975 verzichtete man auf die Eintragung der Nationalität in den Personalausweisen. Der Höhepunkt an staatlicher Repression gegenüber der Volksgruppe war Ende 1984 bzw. Anfang 1985 erreicht. Es begann damit, daß – zumeist in der Nacht – Sondereinheiten der Polizei ganze Dörfer umstellten und sich die türkischen Bewohner mit vorgehaltener Waffe aufgefordert sahen, aus einem Verzeichnis einen neuen, bulgarischen Namen zu wählen.

Ferner kam es zur Schließung von Schulen und Klassenzügen für die Minderheit, zum Verbot des öffentlichen Gebrauchs der türkischen Sprache, zur Behinderung der Religionsausübung und zur Abschaffung türkischsprachiger Radio- und Zeitungsbeiträge. Gleichzeitig gab es in der Türkei über Monate hinweg anti-bulgarische Proteste. Durch die türkischen Medien geisterte damals die Zahl von "1,5 Millionen verfolgten Landsleuten", wobei die bulgarischstämmigen und in der Türkenzeit islamisierten Pomaken kurzerhand mit eingerechnet wurden. Die türkischen Behörden gewährten ihren etwa 300 000 in dieser Zeit geflüchteten Landsleuten allerdings nur ein befristetes Bleiberecht, so daß die Hälfte von ihnen nach dem Sturz des korrupten Schiwkow-Regimes 1989 in die Heimat zurückkehrte.

Nach dem Umbruch in Bulgarien wurde der Druck auf die Türken und andere Minderheiten wie die Makedonier, Pomaken, Armenier oder Aromunen schwächer. Im November 1990 beschloß Sofia Änderungen beim Namensgesetz, und die Festlegung auf die Endungen "ow" und "ew" gehörte ebenso der Vergangenheit an wie die Unterbindung des Schulunterrichts in der türkischen Muttersprache.

Allgemein kam den Türken zugute, daß Sofia wegen ausbleibender Kredite aus den USA, West- und Mitteleuropa auf eine enge Zusammenarbeit mit Ankara angewiesen war. Die Türkei zählt neben dem seit 1989 größten ausländischen Investor Deutschland sowie Griechenland zu den wichtigsten Handelspartnern. Dabei sind klare Schwerpunkte in den Wohngebieten der türkischen Volksgruppe und der Pomaken auszumachen.

Im Dezember 1992 fand eine Volkszählung statt, bei der die ethnische Identität, die Muttersprache und die Religion abgefragt wurden. Von den damals 8,5 Millionen Bürgern Bulgariens bezeichneten sich 822 000 als Türken, 288 000 als Roma und 65 5000 als Pomaken.

Die bulgarischen EU-Ambitionen stärken die Position der Minderheitenvertreter. Diese beklagen sich bis heute über etliche Mißstände. Achmed Dogan, der Vorsitzende der Türkenpartei DPS, kritisierte Ende Januar auf einem Parteikongreß in Anwesenheit des früheren albanischen UCK-Führers Thaci zum wiederholten Male die Verfassung. Sie zeige noch immer das Selbstverständnis Bulgariens als eines "mononationalen Staates".

Symbolisch für die minderheitenpolitische Lage des Balkanlandes zwischen dem Erwartungungsdruck aus Brüssel einerseits und dem tiefen Mißtrauen gegenüber den Türken andererseits ist das am 20. Februar vom Staatsfernsehen begonnene türkischsprachige Programm. Die mit ausländischen Geldern finanzierte Sendung beschränkt sich auf 20 Minuten pro Woche und ist bis auf weiteres nur im Raum Sofia zu empfangen.