25.04.2024

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01.04.00 Kants Schädel-Abguß aufgefunden

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. April 2000


Kants Schädel-Abguß aufgefunden
Staatsbibliothek Berlin zeigt ihn gemeinsam mit der Totenmaske in einer Ausstellung

Nach der Wiederentdeckung der Totenmaske im vorigen Jahr (OB F6/1999) wurde jetzt auch der Schädelabguß Kants in der Sammlung des Instituts für Anatomie der Berliner Charité aufgefunden. Das Inventarverzeichnis verbrannte zwar im Zweiten Weltkrieg, doch muß es sich um einen Abguß aus der Form handeln, die 1880 vom Schädel des Philosophen anläßlich der Umbettung seiner Gebeine in einen Metallsarg abgenommen worden ist.

Die Form des "sehr gut erhaltenen" Schädels fertigte Stukkateurmeister Meyke in der anatomischen Anstalt, und der Erstabguß war zuletzt im Kantmuseum ausgestellt. Eine kleine Abbildung im Führer "Das Kantzimmer. Verzeichnis der Kant-Andenken im Stadtgeschichtlichen Museum der Stadt Königsberg" (1936) zeigt Direktor Eduard Anderson mit einem Gast aus Japan bei der Betrachtung des Schädelabgusses. Wie die Anatomen Carl Kupffer und Fritz Bessel-Hagen in der Publikation "Der Schädel Immanuel Kants" im 13. Band des Archivs für Anthropologie (1881) anmerkten, konnten "Abgüsse dieser Form in Gips oder Elfenbeinmasse durch die Buch- und Kunsthandlung von Hübner und Matz in Königsberg bezogen werden". Um einen solchen Abguß wird es sich bei dem gipsernen Exemplar in Berlin handeln. Der Unterkiefer ist zwar durch die Bombardierung des Instituts bis auf ein Gelenkfragment verlorengegangen, doch ist der bisher unbekannte Schädelabguß nach der Zerstörung der Königsberger Sammlungen offenbar der einzige noch erhaltene. Da "Königsberg" in der DDR bekanntlich ein Tabuthema war, tauchte der Abguß erst jetzt bei der Neuordnung der Anatomischen Sammlung auf.

Der Schädel Kants wurde abgeformt, um "zunächst ein möglichst getreues Abbild des Schädels weiteren Kreisen vorlegen zu können und um vor allem noch fernere Forschungen möglich zu machen". Des Philosophen Totenmaske und Schädelabguß spielten wie die Schädel anderer "Männer von anerkannt großen Talenten" – Goethe, Schiller oder Napoleon – in der Schädellehre (Kranioskopie) des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Der Mediziner Franz Joseph Gall hatte Ende des 18. Jahrhunderts in Wien seine "Schädelorganen-Lehre" begründet und die These vertreten, man könne aus spezifischen Formen des Schädels auf bestimmte geistig-seelische Fähigkeiten und moralische Eigenschaften eines Menschen schließen.

Jedoch schon Kant selbst scheint von der 1802 in Deutschland wegen ihres "Materialismus" verbotenen Hirn- und Schädellehre weniger gehalten zu haben. Auf einem der zahlreichen zum unvollendeten "Opus postumum" gehörenden Zettelchen findet sich die Notiz: "Die Schädellehre in Wien eine Philosophie."

Wie dieses einzig im Original erhaltene Werkmanuskript des Königsberger Philosophen der Aufklärung sind die Totenmaske und der Schädelabguß noch bis zum 13. Mai in der Ausstellung "Kant und die Berliner Aufklärung" in der Staatsbibliothek Berlin, Potsdamer Straße, zu sehen. Heinrich Lange