28.03.2024

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08.04.00 Der Traum der 68er von der wertneutralen Gesellschaft und ihr Feindbild Ehe und Familie (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. April 2000


Einblicke: Lustprinzip gegen Leistungsprinzip
Der Traum der 68er von der wertneutralen Gesellschaft und ihr Feindbild Ehe und Familie (Teil II)
Von RUDOLF WILLEKE

Der verzweifelte Zustand der Gesellschaft wird am Subjekt deutlich. Die Vertreter der "Frankfurter Schule" stellen dem "alten" bürgerlichen Menschen mit seiner Menschenwürde, der in Familien zu einem gewissensorientierten moralischen Verhalten erzogen wurde, den "neuen", ganz anderen Verhaltenstypus gegenüber. Dieser soll in "alternativen" Institutionen mit neuen wissenschaftlichen Methoden und nach neuen Leitbildern (Lebensentwürfen) erzogen werden. Deshalb kritisieren sie den "alten" Menschen als kapitalistisch deformiert und psychisch krank, während sie den "neuen" als Ideal entwerfen.

Nur diesem "neuen" Menschen mit den kollektiven Ich-Strukturen trauen die Frankfurter die Rebellion gegen das Bestehende, die Veränderung der von ihnen gehaßten gesellschaftlichen Strukturen und ein Leben unter sozialistischen Bedingungen zu.

Die Kritische Theorie hat insgesamt ein negatives Verhältnis zum Individuum. Der Mensch der bürgerlichen Epoche sei, so heißt es, das Ergebnis kapitalistischer Produktions- und patriarchalischer Gewaltverhältnisse. "Das Über-Ich (Gewissen; d. Verf.), im eigenen Hause ohnmächtig, wird zum Henker in der Gesellschaft."

Die Kritik ist bei Adorno besonders schrill, empört und radikal, wenn er etwa formuliert: Das Subjekt ist die Lüge; die Menschen, keiner ausgeschlossen, sind überhaupt noch nicht sie selbst. Sein Fazit: Der Mensch ist ein Raubtier.

Das Individuum sei dem Idol "Herrschaft" geopfert worden und damit verschwunden. Das "Ich" des bürgerlichen Typus sei nichts anderes als die Verinnerlichung von Herrschaft und Unterdrückung; durch das Gewissen habe der Mensch Herrschaft über sich selbst errichtet. "Das Gewissen ist das Schandmal einer unfreien Gesellschaft."

Die Grundidee, das Leitbild des "neuen" Menschen, ist bei Marcuse der orphisch-narzißtische Mensch. Marcuse wählt dieses Bild aus der griechischen Mythologie mit Bedacht, um es mit dem Gegenbild von König Ödipus zu konfrontieren.

Im sogenannten ödipalen Konflikt mit der Vater-Autorität verschafft sich der heranwachsende Mensch nach Freud eine eigene Geschlechtsidentität, ein frei bejahtes Gewissen, eine positive Einstellung zur zeugenden Sexualität.

Orpheus und Narziß dagegen stehen für vorödipale, infantil-anarchische Sexualität: Orpheus ist der Sänger, der – befreit vom Druck der Zeit und Arbeit – nur noch singt. Und Narziß ist der in seine eigene Schönheit verliebte Jüngling, der sich selbst im Spiegel des Sees zu ergreifen versucht und dabei ertrinkt. Orpheus und Narziß sind für Adorno Urbilder der "Großen Weigerung": der Verweigerung des ödipalen Konfliktes, der Verweigerung des Leistungsprinzips, der Verweigerung zeugender Sexualität.

Marcuse fordert nichts weniger als die Regression, pointierter noch, die Retrogression des Menschen zur frühkindlichen (strukturlosen, polymorph-perversen) Sexualität. Das Ziel ist die Zerstörung des Leistungsprinzips: Das wäre dann der "erlöste" Mensch, der auch vom Ich erlöst ist und in dem alle Transzendenz den Ruhepunkt erreicht hat.

Marcuse strebt deshalb die Freigabe der Perversionen an; geschlechtliche Perversionen sind für ihn Urbilder völliger Freiheit und Erfüllung. Wilhelm Reich und er versprechen den Intellektuellen die "Erlösung" durch die sexuelle Revolution.

Von diesem Plädoyer (1966) über die ministeriellen Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen (ab 1972) und die grundlegende Veränderung des deutschen Sexualstrafrechts (ab 1976) bis zur gesetzlichen Gleichstellung der homosexuellen Beziehungen mit den heterosexuellen Ehepaaren im BGB (1999) dauerte der "mühsame Marsch durch die Institutionen".

Das tiefgehend gewandelte Rechts- und Sittlichkeitsbewußtsein der Deutschen – massenhafte Abtreibung, verbreitete Kinderschändung, Pornographie in allen Medien und "Verschweinung der Gesellschaft" – sind Ursache bzw. Folge dieses beispiellosen Erfolges.

Das Bild, das Habermas vom "neuen" sozialistischen Menschen zeichnet, läßt sich mit folgenden wichtigen Elementen darstellen: kollektive Ich-Strukturen, reziprokes "demokratisches" Verhalten, kommunikative Ethik. Dieser "neue" Mensch wäre ein Homo communicativus: Der verdankt seine Ich-Identität nicht mehr seiner Familie, identifiziert sich nicht mit Vater und Mutter, sondern mit Gesprächspartnern in der Kindertagesstätte, in der Ganztagsschule, im gruppendynamischen Labor oder in der peer-group.

Der Homo communicativus verdankt sich ganz dem gesellschaftlichen Kollektiv; er ist alles durch die Gesellschaft und alles für die Gesellschaft.

Er bindet sich nicht mehr an bestimmte Glaubensinhalte oder Werte, auch nicht an Moral- oder Gesetzesnormen wie etwa die Zehn Gebote oder die Bestimmungen des Strafgesetzbuches, sondern folgt nur noch den Verhaltenserwartungen des Kommunikationspartners. Von allen Bindungen und Verbindlichkeiten hat er sich erfolgreich distanziert und emanzipiert (befreit).

Darüber hinaus hat der Homo communicativus die christlichen Verhaltensnormen der Zehn Gebote ebenso wie die der Bergpredigt und die goldene Regel "Was du nicht willst, daß man es dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu" als repressiv "durchschaut" und hinter sich gelassen.

Für den Kantschen Kategorischen Imperativ vernunftgeleiteten Verhaltens ("Handle stets so, daß die Maxime deines Handelns ein allgemeines Gesetz werden könnte") kann der "neue" Mensch nur noch ein müdes Lächeln aufbringen, denn alle diese Normen unterdrücken die menschlichen Bedürfnisse oder lassen weniger Bedürfnisse zur Befriedigung zu als unterdrückt werden müssen.

Was bleibt, ist eine einzige als verbindlich anerkannte Verhaltensregel: "Ich verhalte mich stets so, wie der andere es von mir erwartet, weil auch der andere (der jeweilige Kommunikationspartner) sich stets so verhält, wie ich es von ihm erwarte", d. h. vollständig reziprok ("demokratisch"). Habermas nennt diese neue kommunikative Moral auch "universalistische Moral", weil sie sich in der ganzen Welt als verbindlich durchsetzen soll.

Während sich Bürger und Christen an ihr Gewissen binden und sich selbst "bestrafen", wenn sie dessen Forderungen nicht nachgekommen sind, orientiert sich der Homo communicativus an den Erwartungen des Außenstehenden. Das gewissensgesteuerte – theonome – Verhalten wird gegen ein gesellschafts- bzw. kollektivgesteuertes – heteronomes – Verhalten ausgewechselt. Für autonomes Verhalten, d. h. eines, das Freiheit erzeugt, ist dann kein Platz mehr.

Habermas ist es gelungen, eine Ethik zu formulieren und zu propagieren, die von "erlösungsreligiösen Grundlagen entkoppelt" ist. Man kann sie als kommunikative oder auch "hedonistische" Moral bezeichnen, weil sie erlaubt, was den beiden Partnern nutzt bzw. Vergnügen bereitet. Absolut Böses gibt es danach nicht.

Dieser "neue" Mensch mit den kollektiven Ich-Strukturen, der kommunikativen Moral und dem wechselseitigen Verhaltensmuster wird seit den 60er Jahren millionenfach in sogenannten Rollenspielen und gruppendynamischen Labors erzeugt.

In hohem Maße aggressiv ist auch Max Horkheimers Kritik an Ehe und Familie, die der Christ als "Kirche im Kleinen" und der Bürger als "Zelle des Staates" betrachtet. Die Ehe ist geschichtlich überholt und verliert immer mehr an Bedeutung, meint er. Auch räume in ihr die Lust das Feld vor der Pflicht; so sei in der gegenwärtigen Gesellschaft die Lust in die Zote und in die Prostitution verbannt.

Diese Kritik versteigt sich zu der These Horkheimers, die Familie könne als die massenpsychologische Grundlage des Faschismus verstanden werden. In ihr werde nämlich mit Autorität erzogen, und aus dieser autoritätsbezogenen Erziehung gehe der "autoritäre Charakter", der Typus des Untertanen und Undemokraten hervor, der schon in der Familie gelernt habe, nach "oben" zu katzbuckeln und nach "unten" zu treten.

Gegen diesen "autoritären Charakter" fordert Marcuse die Erziehung des antiautoritären Charakters, eines Menschentypus also, der sich allen Erwartungen und Verpflichtungen der Gesellschaft verweigert und nur seinen eigenen Bedürfnissen nachgeht.

Lustprinzip gegen Leistungsprinzip heißt die Erziehungsdevise der Frankfurter. Deshalb fordern sie die Erziehungsdiktatur.

Die Familie ist nach Horkheimer nur "kultureller Kitt" – Klebstoff also, mit dem das an sich längst brüchig gewordene kapitalistische System notdürftig zusammengehalten und vor dem überfälligen und endgültigen Einsturz bewahrt werde.

Horkheimer hat ganz im Gegensatz zu unseren heutigen Familienpolitikern erkannt, daß die Familie tatsächlich den Kern der bürgerlichen Gesellschaft bzw. die Mitte des Christentums und der Kultur darstellt. Richtig ist auch, daß diese christlich-bürgerliche Kultur und Gesellschaft, die bewußt als unmoralisch und inhuman diffamiert werden, zusammenbrechen müssen, wenn ihnen die Familie entzogen wird. Den Beweis dafür hat die chinesische Kulturrevolution nach 1949 erbracht.

Der heutige theologische und politische Feminismus wird von Habermas als (vorerst) letzter Versuch angesehen, der Familie das Leben in der Gesellschaft zu erschweren und die Kulturrevolution zu vollenden.

Zu den familienfeindlichen und antiautoritären Tendenzen in Gesellschaft und Staat, in Schule und Kirche können hier nur einige Stichpunkte genannt werden, die eigentlich in ihrem ideenpolitischen Zusammenhang dargestellt werden müßten: Das Scheidungsrecht berücksichtigt die Schuldfrage nicht mehr.

Fast jede dritte Ehe wird mittlerweile geschieden, und die Zahl der Eheschließungen geht immer noch zurück, während die der Alleinerziehenden weiter steigt. Die Zahl der Kinder je Ehe ist auf einen Durchschnitt von nur noch gut einem geschrumpft. Demgegenüber wächst die Zahl der Scheidungswaisen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das Mehrwertsteuerrecht benachteiligt Familien mit Kindern, die steuerrechtlich in den vergangenen zwei Jahrzehnten sowieso schon genug benachteiligt wurden. Nicht zuletzt müßten die explosionsartigen Wachstumsraten bei der Kinder- und Jugendkriminalität alarmierend wirken.

Die immer häufigeren Scheidungen, das parallel dazu schon fast zur Selbstverständlichkeit gewordene Zusammenleben von Männern und Frauen in nicht legalisierten Gemeinschaften sowie die steigende Zahl von homosexuellen Partnern zeigt die zunehmende Abkehr der jungen Generation von der Institution Ehe/Familie. Zugleich bedeutet dies die Distanzierung von allen hiermit zusammenhängenden Werten und Normen – angefangen von der ehelichen Treue über die lebenslängliche Monogamie bis hin zum Homosexualitätsverdikt. Fortsetzung folgt