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29.04.00 Chance oder Schrecken: Die Menschheit auf dem Weg zur "Weltregierung"? (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. April 2000


Globalisierung: Nationale Antworten
Chance oder Schrecken: Die Menschheit auf dem Weg zur "Weltregierung"? (Teil II)
Von Edmund Sawall

Wir leben in der Schlußphase eines Systems der hegemonialen Weltherrschaft, gewissermaßen kurz vor seiner Vollendung. Es ist das System einer die Welt beherrschenden Macht, die heute von den USA wahrgenommen wird. Aber auch dieses System ist nicht eindeutig entwickelt, denn immerhin existieren neben den USA noch mindestens zwei bis drei weitere Weltmächte, wie China und Rußland sowie als Wirtschaftsmächte im Weltmaßstab Europa/Deutschland und Japan. Dazu entwickeln sich neue Großmächte wie Indien und Brasilien. Die gegenwärtige Weltordnung ist auch die Übergangsphase zu einem neuen System. Noch ist aber nicht ausgemacht, wie dieses neue System mit der Macht und Herrschaft über die Welt umgehen wird.

Der Globalismus ist die Ideologie einer "Neuen Weltordnung". Die Vorstellungen des Globalismus beruhen auf der monistischen Einheitslehre, nach der die Wirklichkeit einheitlich von einer Grundbeschaffenheit ist. Er folgt dem Axiom, daß nur die Demokratie eine friedliche internationale Ordnung gewährleisten kann und daß die weltweit durchzusetzenden universalen Menschenrechte das entscheidende Fundament für Demokratie, Freiheit und Frieden bilden. Globalismus bedeutet somit die Vision von der "Einen Welt" mit einer Weltgesellschaft, einer Weltzivilisation, einer Weltelite, einer Weltethik, einem Weltmarkt, einem Weltstaat und einer Weltregierung. Globalismus erstrebt die mehrdimensionale Bestimmungsgewalt in einer hierarchischen Weltrepublik. Dieser staatstheoretische Globalismus, der sich für einen homogenen Weltstaat einsetzt, verlangt letztlich die staatsrechtliche Kompetenz auf allen Politikfeldern in Legislative, Exekutive und Judikative.

Die in den Jahrhunderten seit der Aufklärung und der französischen Revolution entwickelten Ideen eines globalen Herrschaftssystems lassen sich auf zwei Ebenen nachvollziehen. Einmal auf der geistigen (inhaltlichen) Ebene der Ziele, die angestrebt werden, und zweitens auf der Ebene der Wege sowie der materiellen (organisatorischen) Mittel, mit deren Hilfe die Weltherrschaft erreicht und gefestigt werden soll. Das System funktioniert auf beiden Ebenen durch einen systemimmanenten Zusammenhang. Auf der inhaltlichen Ebene stehen der Liberalismus und der Sozialismus in einer unauflöslichen Symbiose zum Demokratismus, wobei alle gemeinsam den Internationalismus erstreben. Auf der materiellen Ebene stehen in einem adäquaten Verhältnis die Wirtschafts- und Finanzwelt mit der die öffentliche Meinung prägenden Kommunikationswelt, die gemeinsam wieder den administrativen Leitungsapparat (global governance) bestimmen. Dies sind die Stützpfeiler der angestrebten globalen Zukunft.

Der Liberalismus und der Sozialismus sind die beiden aus der Aufklärung hervorgegangenen und bis heute überlebenden Ideologien. Nach dem Zusammenbruch des real in Europa existierenden Sozialismus glaubte der Liberalismus bereits an seinen Endsieg und das Ende der Geschichte (Fukuyama). Das Credo der Liberalextremisten lautet: Globalisierung durch Deregulierung, Privatisierung und Denationalisierung. Der Sozialismus, in China real existent und in vielen Ländern als Ideologie latent wirksam (beispielsweise in Deutschland derzeit in der Regenerationsphase), findet in der Welt nach wie vor als geläuterter, sozialer Interessevertreter der unterprivilegierten Massen starken Zuspruch. Sein Credo ist: Globalisierung durch internationale Standardisierung, d. h. Regulierung der sozialen, wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Standards.

Es kam eben nicht zu einem absoluten Sieg des Liberalismus über den Sozialismus. Es kommt im Gegenteil zu einer sich zunehmend verschärfenden Konfrontation über die Form und den Weg der Globalisierung. Worin sie völlig übereinstimmen, ist die Denationalisierung und Demokratisierung der Welt, wobei es über den Inhalt und die Form einer Weltdemokratie durchaus erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt.

Dabei bleibt die Demokratie auf der Strecke. Es gilt überwiegend, was schon der frühere EU-Kommissions-Präsident Jacques Delors über die Entstehung des Maastricht-Vertrages sowie der Änderungsverträge von Amsterdam ausführte: "Der Aufbau Europas wurde lange Zeit in nahezu geheimer Diplomatie vorangetrieben, abgeschottet von der öffentlichen Meinung in den Mitgliedsstaaten. Die Methode der Gründerväter der Gemeinschaft war eine Art aufgeklärtes Despotentum. Kompetenz und geistige Unabhängigkeit wurde als ausreichende Legitimation zum Han- deln, die Zustimmung der Bevölkerung im nachhinein als ausreichend betrachtet."

Auf die Zustimmung der Bevölkerung hat man weitgehend verzichtet. Dafür wurde eine "Brüsseler Eurokratie" ohne demokratische Legitimation geschaffen, die die Mitgliedsstaaten mit einem Netz von Verordnungen und gesetzlichen Vorschriften überzieht, welches nationales Recht bricht und aushöhlt. Die EU ist der erste reale Feldversuch auf dem Wege zu einer Weltrepublik.

Wirtschaft, Finanzen und Medien sind die Transmissionsriemen der Globalisierung, die mit ihren Forderungen, Meinungsbildungsprozessen und technischen Möglichkeiten die Politik bestimmen. Die Wirtschafts- und Industriestrukturen der Welt befinden sich in einem säkularen Wandel. Das erklärte Ziel ist die schrittweise Auflösung nationaler Strukturen, um auf dem Fundament einer globalisierten Ökonomie zu einer einheitlichen Weltordnung zu kommen. Das Informations- und Kommunikationswesen hat längst ein internationales Verbundnetz aufgebaut, welches den Medien unbegrenzte Macht gewährt, die sich jeder Kontrolle entzieht.

Die politisierte Administration reflektiert und trägt ihrerseits den Globalismus wie die Globalisierung. "Global Government" beruht auf verschiedenen Formen und Ebenen der internationalen Koordination, Kooperation und kollektiven Entscheidungsfindung. Internationale Organisationen übernehmen diese Koordinationsfunktion und tragen zur Herausbildung globaler Sichtweisen bei. Regime übersetzen den Willen zur Kooperation in verbindliche Regelwerke. Aus den Flickwerken sektoraler Ansätze könnte sich schrittweise ein verwobener Flickenteppich von kooperativen Strukturen entwickeln. (Globale Trends 2000.)

Die Begriffe Globalismus und Globalisierung als Prozeß kennzeichnen ein weit verzweigtes und trotzdem intensiv vernetztes globales System, welches man nicht verstehen kann, wenn man neben der Klärung der Ziele, Aufgaben und Organisationsformen nicht auch die eigentlichen Interessen und Motive der auf internationaler Bühne agierenden Globalisten (Personen und Institutionen) analysiert. Das gesamte Institutionengeflecht und seine Funktionsweise wird nur in Verbindung mit den dahinter stehenden und handelnden Meinungsbildungs- und Entscheidungsträgern deutlich.

Globalisten sind die Träger der Ideologie des Globalismus und des Globalisierungsprozesses. Globalisten bilden ein globales System vielschichtiger Interessen. Dabei werden "Verschwörungstheorien" und "Geheimgesellschaften" zunehmend obsolet. Globalisten sind "Weltbürger" (global citizens), deren Sprache Englisch die Weltsprache ist. Nationale Bindungen bedeuten ihnen wenig oder nichts. Sie bilden eine internationale Gemeinschaft, die nach Hunderttausenden, wenn nicht gar nach Millionen zählt. Globalisten – aus Überzeugung, Karrierismus oder Opportunismus – haben ein ausgeprägtes Machtbedürfnis, Herrschaftsverlangen und Profitstreben. Ihr Sendungsbewußtsein wird geprägt von der Vorstellung der absoluten Gleichheit der gesamten Menschheit. Ihr Bestreben nach Macht und Herrschaft entspricht dem menschlichen Verlangen, sich besondere Privilegien, sprich Vorteile und Ausnahmeregelungen, zur Befriedigung individueller oder gemeinschaftlicher Bedürfnisse zu verschaffen. Diese sind auch immer mit Gewaltanwendung, Machtbesitz und Herrschaftsübung verbunden. Dazu bedarf es, insbesondere im Weltmaßstab, einer bestimmten Methodik, deren konsequente Langzeitanwendung zu einer neuen Herrschaftsklasse führt.

Globalisten sind:

Einzelpersönlichkeiten mit herausragendem Einfluß (z. B. Wissenschaftler, Wirtschaftler, Journalisten, Politiker, u. ä.);

Gemeinschaften (beispielsweise Freimaurer, "Council on Foreign Relations", "Trilaterale Commission", Illuminaten, Bilderberger, Rotary- und Lions-Club, insbesondere auch die drei monotheistischen Religionen, u. v. a.);

Nichtstaatliche Organisationen (NGOs = Non Governmental Organizations, von denen Hunderte bei der Uno registriert sind), die ein dichtes und wirksames Netz internationaler Einflußnahme und Regelwerke bilden;

Wirtschaftsunternehmen (aller Branchen und nationalen Ursprungs), die bestrebt sind, den Weltmarkt zu bedienen und soweit möglich auch zu beherrschen.

Supranationale Organisationen (wie Uno mit einer großen Zahl von Untergliederungen, WTO, IWF, Weltbank, BIZ, EU, Nafta, Asean, OECD, OSZE, Nato usw. usf.), die laufend für globale Regulierungen sowie deren Kodifizierung sorgen.

Alljährlich zum Jahresanfang treffen sich zur besten Skisaison im mondänen Davos etwa eintausend führende "global players" aus Politik, Hochfinanz und Wirtschaft zum internationalistischen Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Dabei geht es ihnen um nicht weniger als eine neue globalisierte Weltordnung. Alles, was in der internationalen Führungsklasse Rang und Namen hat, ist anzutreffen.

Während Uno-Generalsekretär Kofi Annan die Weltelite zu einem ethischen Verhaltenskodex auffordert und der katholische Theologe Prof. Küng ein Weltethos kreiert, hat diese Elite nur das Bestreben, durch gegenseitige Kooperationen, Großfusionen und Beherrschungsinstrumente immer größer und mächtiger zu werden. Der internationale Gigantismus strebt ins Grenzenlose. So entstehen Bankenriesen, Automobilgiganten, Chemiegoliathe in täglicher Folge. Dabei werden die Gefahren für die nationalen Binnenmärkte durch die weltweite Konkurrenz der Arbeitsplätze, den unkontrollierten Technologietransfer und eine deregulierte Weltfinanzordnung übersehen.

Bei der enthusiastisch angekündigten Tagung zur Vorbereitung einer neuen Runde der Welthandelsorganisation (WTO) Anfang Dezember 1999 in Seattle gab es unerwarteten Krach. Nicht zur Kenntnis genommen oder unterschätzt hatte man die im politischen Vorfeld agierenden NGOs, die ihren Protestaufmarsch monatelang generalstabmäßig international auch im Internet vorbereitet hatten. Der Widerstand, der sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der offiziellen Tagung formiert hatte, war ein Aufstand der sozialistischen Globalisten gegen die liberalextremen Freihandelsvertreter.

Die WTO-Gegner einigte ein breites Spektrum unterschiedlichster Anliegen. So zum Beispiel: Menschenrechte sowie Umwelt- und Verbraucherschutz gehen vor Wirtschaftsinteressen, bzw. die Wirtschaft der reichen Länder muß die Anpassungskosten der Entwicklungsländer auf das Niveau ihrer Lebensqualität ausgleichen. Gewerkschaftsvertreter hingegen wollten die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder am Standort gesichert wissen – übrigens eine Forderung, die in Deutschland von Linken bereits als Standortfaschismus diskriminiert wird.

Was also bedeutet Globalisierung wirklich? Welche Ziele, Aufgaben und Organisationsformen verbergen sich dahinter? Wie wirkt sich Globalisierung auf die Menschen sowie ihre sozialen und politischen Strukturen aus? Entspricht sie einer einheitlichen Idee oder verbirgt sich dahinter eine Vielzahl unterschiedlicher, kontroverser Ideen und Interessen? Kann dies die Antwort auf eine Weltordnung im Wandel bedeuten? Ist der Prozeß der Deregulierung der Gesellschaft, der totalen Liberalisierung der Wirtschaft, der Globalisierung der politischen Herrschaftssysteme der Weg in die Zukunft?

Der Begriff Globalisierung verdankt seine Entstehung der globalen ökonomischen Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzmärkte. Die global agierende Wirtschafts- und Finanzwelt ist aber lediglich ein herausragender Bestandteil einer hegemonialen Weltpolitik. Globalisierung ist somit der Realisierungsprozeß der Zielvorstellungen des Globalismus. Dieser Prozeß muß verstanden werden als die Fähigkeit, weltumspannend handlungsfähig zu sein, und zwar aus jedem beliebigen Anlaß, an jedem beliebigen Ort und zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Globalisierung ist ein Prozeß, den politische und wirtschaftliche Eliten willentlich in Gang gesetzt haben, insbesondere amerikanische – und aufrechterhalten. Globalisierung darf nicht monokausal auf die ökonomischen Entwicklungen eingeengt werden. Sie findet überall dort statt, wo eine transnationale Veränderung politischer, technisch-ökonomischer, sozialer, ökologischer und ethnisch-kultureller Bereiche bewußt eingeleitet und vollzogen wird.

Die Bewältigung der Zukunft war seit Beginn der Menschheit die eigentliche Triebfeder ihrer Entwicklung. Mit ihr ist die Evolution der gesamten Natur und insbesondere des mit Vernunft begabten Wesens "Mensch" verbunden, denn in der Zukunft ruht der Rest des Daseins. Aus der Erfahrung der Vergangenheit versucht der Mensch, zweckmäßige Entscheidungen für die Zukunft abzuleiten. Zweckmäßige Entscheidungen setzen zutreffende Vorstellung über die Zukunft voraus. Dies ist nicht durch reine Extrapolation der Gegenwart möglich, sondern erfordert einen schwierigen Analyse- und Zielsetzungsprozeß. So stellt der ehemalige US-Sicherheitsberater Brzezinski fest: "Wie beim Schach müssen Amerikas globale Strategen etliche Züge im voraus durchdenken und mögliche Züge des Gegners vorwegnehmen. Eine konsequente Geostrategie muß daher zwischen kurzfristiger Perspektive (grob gesagt für die nächsten fünf Jahre), einer mittelfristigen (bis zu zwanzig Jahren in etwa) und einer langfristigen (über zwanzig Jahre hinaus) Perspektive unterscheiden. Zudem dürfen diese Zeitabschnitte nicht als in sich abgeschlossen betrachtet werden, sondern als Teil eines Kontinuums."

Dies wird besonders deutlich bei meist kurz- bis mittelfristigen Wirtschaftsprognosen, bei denen sich Fehlprognosen durch materielle Verluste und die richtige Vorausschau durch finanzielle Erfolge auszahlen können. Zutreffende Vorstellung über die Zukunft sind aber auch immer mit einer Zielsetzung verbunden, die einen bewußten Einfluß auf die Gestaltung der Zukunft ausüben will.

Das ganzheitliche Weltbild war seit jeher das Fundament unseres Bewußtseins. Damit ist die Vergangenheit sehr stark statisch geprägt; langfristiges Denken und Planen bestimmten den Rhythmus in Politik und Wirtschaft. Nun müssen wir zunehmend erkennen, daß der Verlauf der Entwicklung wesentlich dynamischer geworden ist. Mit der Beschleunigung der Veränderungen schrumpft die Entscheidungsspanne, und die Verläßlichkeit der Entscheidungsparameter nimmt ab. Dabei handelt es sich um tiefgreifende Veränderungen, die in ihrem fundamentalen Zusammenwirken zu einer säkularen Megaveränderung führen. Die Amerikaner Wacker, Taylor und Means sprechen in diesem Zusammenhang von der "Konvergenz der Veränderungen" und bestimmen drei "Elemente dieser Konvergenz:

1. Der Übergang von einer Logik, die auf der Vernunft begründet ist, zu einer Logik, die das Chaos zur Grundlage hat.

2. Das Zersplittern der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ordnung.

3. Der Zusammenbruch der vom Hersteller kontrollierten Verbrauchermärkte."

Die Entwicklung an der Schwelle in das dritte Jahrtausend führt zu einer zunehmenden Komplexität des Lebens: Es wird alles fragmentarischer, vielfältiger, chaotischer und damit komplexer. Gewohnt in einer geordneten, national organisierten Welt zu leben, fällt es schwer, die Orientierung in der Phase der Auflösung der alten Ordnung und des Überganges in eine neue Ordnung zu behalten. Man wehrt sich dagegen, daß diese Welt immer desorganisierter und chaotischer wird. Nichts ist mehr, wie es gestern war und morgen schon wieder anders sein wird. Und doch wird keine Macht der Welt eine Entwicklung aufhalten oder umkehren können, die sich durch die Freiheit des Denkens und der Technik mit ihren wirtschaftlichen Folgen durchsetzen wird.

Drei Faktoren werden die Entwicklung bestimmen. Einmal die Auflösung der bisherigen Fundamente einer Werteordnung, die bestimmt war durch eine steuernde logische Kraft und den Übergang in eine neue Epoche, in der Einstellungen und Verhaltensweisen bestimmt werden durch kurzfristige, individuelle Interessen in permanent wechselnden Gemeinschaften. Die Prinzipien, denen die Veränderungen folgen werden, beruhen nicht mehr in der logischen Vernunft, sondern in einem chaotischen, zufälligen Zusammentreffen zeitbegrenzter Interessengleichheiten. Zweitens nimmt die Geschwindigkeit der Veränderungen exponentiell zu, d. h., die Zeiteinheiten, in denen sich Veränderungen vollziehen, werden immer kleiner und die Veränderungen selbst in der Qualität ihrer Wirksamkeit immer größer. Und drittens werden die Veränderungen nicht mehr nur lokal verursacht und reflektiert, sondern erreichen globale Dimensionen, gefördert durch ein technisches Instrumentarium mit globalen Einsatzmöglichkeiten.

Unter Globalität hat man einen Zustand zu verstehen, der entweder unveränderlich durch die Natur unserer Erde vorgegeben ist, etwa die geographische Globalität in ihrer unveränderlichen Endlichkeit oder als funktionale Globalität, womit vor allem die weltweite gesellschaftspolitische Organisation der menschlichen Gemeinschaft, die in souveräner Selbstbestimmung geschaffen wird, angesprochen wird. Sie entspricht somit dem Zustand der weltweit umfassenden und allgemeinen Gemeinsamkeiten. Globalität drückt den die ganze Erde betreffenden Grad der Integration aus, also die globale Lösung politischer, ökonomischer, sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Probleme sowie die Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen. Zwischen Globalität und Nationalität entstehen Spannungen, beispielsweise durch die Regulierungsformen des globalen Raumes und der Konkurrenz der Standorte. Der Prozeß der Globalisierung mündet somit in einen Zustand der gesellschaftlichen Globalität ein, sprich in einer dynamischen Gesellschaft muß sich der Zustand ständig durch strukturelle Veränderungen anpassen. Sind der Globalisierung Grenzen gesetzt, kann sie nicht bis zum Zustand der Globalität vorangetrieben werden, d. h., Globalität ist nicht erreichbar.

Eine Betrachtung bereits eingetretener meßbarer Veränderungen lassen sich in immer kürzeren Zeitabschnitten nachvollziehen. Dies trifft auf alle Lebensbereiche unseres menschlichen Daseins zu, wie zum Beispiel:

Sozialer Wandel, Auflösung der Familie und Übergang in eine "Single"-Gesellschaft, Auflösung nationaler Selbstbestimmung, Ende einer Identifikation in definierten staatlichen Grenzen u. v. m.;

Entwicklung der Weltbevölkerung, demographischer Wandel, Veränderung der Altersstruktur, multikulturelle Verschmelzungen usw.;

Technische Entwicklung einer Steigerung der Leistungen und Kapazitäten bei gleichzeitiger Miniaturisierung und Herstellkostenreduzierung der Produkte, Automatisierung und Rationalisierung der Produktionsabläufe, technische Ausrüstung der Haushalte, Informationswesen usw.;

Veränderung der Beschäftigungsstrukturen, Recht auf Arbeit, Arbeitsethik, Veränderung der Berufsinhalte u. ä.

Vernetzung internationaler Wirtschafts- und Finanzinteressen, global organisierte Kriminalität usw.;

Diffusion des Glaubens und Fragmentierung religiöser Gemeinschaften. Hat Gott noch einen Mittelpunkt in einer chaotischen Welt? Wie bestimmt sich ein globales Ethos in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik?

Als der "Club of Rome" 1972 seinen mit großem internationalen wissenschaftlichen Einsatz erarbeiteten ersten Bericht über die "Lage der Menschheit" und die "Grenzen des Wachstums" vorlegte, kam er zu der Schlußfolgerung, daß die quantitativen Grenzen unseres Lebensraumes durch die exponentielle Zunahme der Bevölkerung und den Verbrauch an Ressourcen zwangsläufig mit einer exponentiellen Abnahme der materiellen Lebensgrundlagen und einer Zerstörung der ökologischen Lebensbedingungen einhergehen werde. Damit verkürze sich der Zeitraum bis zur materiellen und ökologischen Erschöpfung unseres Globus dramatisch, wenn nicht rechtzeitig Maßnahmen zur Herstellung eines Lebensgleichgewichtes zwischen Mensch und Natur durchgeführt würden.

Was wir heute in Ergänzung zu den Ergebnissen des Club of Rome feststellen müssen, ist, daß die geistige und metaphysische Entfaltung der Menschheit weit hinter der technisch-materiellen Entwicklung zurückhängt und daher immer weniger in der Lage ist, die Menschheitsprobleme zu bewältigen. Wir haben zwar enorme Fortschritte in den Möglichkeiten, jedoch keine adäquaten Fortschritte in ihrer Nutzung zu verzeichnen. Die Freiheit, aus einer exponentiell steigenden Informationsflut unser Wissen zu erweitern sowie die Möglichkeiten einer exponentiell zunehmenden Mobilität für eine Erweiterung unseres Weltbildes und unserer Bildung zu nutzen und das zu tun, was unsere geistige und metaphysische Evolution fördert, bleibt der überwältigenden Mehrheit der Menschheit versagt und wird auch von Minderheiten nur mit großer zeitlicher Verzögerung angenommen.

Die ideologische Verkrampfung in der politischen Entwicklung seit der Aufklärung und Säkularisierung mit der Entladung ihres überdimensionalen Gewaltpoten- tials im 20. Jahrhundert verhindert die Lösung der exponentiell wachsenden Menschheitsprobleme und führt zwangsläufig in ein exponentiell zunehmendes Chaos.

Unser natürliches Verlangen nach Ordnung macht uns gleichzeitig Angst vor den technischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen in einer globalisierten Gemeinschaft, verbunden mit dem Verlust bisher tragender geistiger Fundamente und Hoffnungen. Die stabilen Beziehungen in berechenbaren Strukturen gehen verloren.

Globalismus und Globalisierung bilden mit ihren Vorstellungen und Zielsetzungen die entscheidende Weichenstellung für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung befindet sich im wesentlichen noch in einem Anfangsstadium, obwohl beides bereits eine lange historische Entwicklung hinter sich hat. Es hätte für die gesamte Menschheit fatale Folgen, wenn sie sich von unkontrollierbaren Entwicklungen überrollen ließe. Es ist daher zu begrüßen, daß der Deutsche Bundestag "zur Vorbereitung parlamentarischer Entscheidungen über mögliche Antworten und Maßnahmen zur Globalisierung auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene ... eine Enquete-Kommission ..." eingesetzt hat. Es ist zu wünschen, daß die Diskussionen im Parlament von einer breiten Öffentlichkeit begleitet und beeinflußt werden, denn die Globalisierung erfordert nationale Antworten. (Schluß)