19.04.2024

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06.05.00 Gedanken zur Zeit:

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Mai 2000


Gedanken zur Zeit:
Weg vom Westzentrismus: Prag und Wien bilden die Mitte Europas
Von Wilfried Böhm

Das Wehgeschrei über die Talfahrt des Euro ist groß. Es kommt neuerdings auch aus den Reihen der CDU, die diesen Euro im Verein mit sogenannten "Chefvolkswirten" der Großbanken und mit Hilfe einer millionenschweren Medienkampagne den Deutschen aufgeschwatzt hat, allerdings im Verein mit der vereinigten Front der Bundestagsparteien, die dem Euro-Kanzler Kohl folgten, der bekanntlich viel vom Geld verstand.

Wenn CDU-Politiker jetzt erklären, verantwortlich für die Euro-Schwäche und deren Folgen sei die sozialistische Wirtschafts- und Finanzpolitik in wichtigen Ländern der Europäischen Union, offenbaren sie damit den bodenlosen Leichtsinn, mit dem sie selbst die D-Mark abgeschafft haben. Mußte doch jeder vernünftige Mensch davon ausgehen, daß bei einem demokratisch-parlamentarischen System früher oder später auch Sozialisten die Schalthebel der Wirtschafts- und Finanzpolitik bedienen würden. An den Weltmärkten steht der supranationale Euro nicht für politische Stabilität, im Gegenteil, er gerät in den Verdacht "sozialismustauglich" im Sinne staatlicher Interventionspolitik zu sein. Der Euro ist auch nicht geeignet, "Europa" herbeizuzwingen. Es war ein gefährliches Abenteuer, ihn ohne vollendete politische Einheit einzuführen. Bestand doch der Erfolg der deutschen Reichsmark vor 130 Jahren gerade darin, daß sie kurz nach der Reichsgründung 1871 und nicht vorher eingeführt wurde. Die Entwicklung des Euro, der Streit um die Aufnahme Griechenlands in den Euro-Verbund und die Erweiterung der Europäischen Union (EU) erzwingen ein Nachdenken über die Zukunft der politischen Organisation Europas ebenso wie die unsägliche Einmischung der EU-Mitgliedstaaten in die inneren Angelegenheiten des demokratischen Nationalstaates Österreich unter rassistischer Begleitmusik, die darin zum Ausdruck kommt, daß Österreicher abgewählt werden und ihnen die Begrüßung verweigert wird, "nur weil sie Österreicher sind".

Das Nachdenken über Europa hat davon auszugehen, daß unser Kontinent größer ist als sein "Westen", so wie dieser zur Zeit des kalten Krieges zu Recht gesehen wurde und sich selbst verstand. Diese Selbstverständlichkeit ist noch lange nicht in die Köpfe aller politisch Verantwortlichen, geschweige denn in deren Handeln eingegangen. Ein Jahrzehnt nach der Implosion der Sowjetunion und des Warschauer Paktes hält der Westen an Strukturen fest, die den Erfordernissen des kalten Krieges entsprachen, aber nicht denen eines Europa, das sich nicht mehr in ideologischen Blöcken militärisch hochgerüstet gegenübersteht. Statt die EU dem großen Europa anzupassen, versucht sie, ihre Struktur dem großen Europa aufzuzwingen, obwohl das nicht nur zu einer räumlichen Überdehnung, sondern mehr noch zu ihrer finanziellen Überforderung führen muß. Diese würde unter den Bedingungen des gegenwärtigen Finanzsystems in erster Linie zu Lasten der Deutschen gehen, die heute schon in der EU die höchsten finanziellen Leistungen erbringen, obwohl ihre Sprache hinter den westlichen Sprachen Französisch und Englisch zurückzustehen hat.

Der einseitige Westzentrismus der Europapolitik und deren ideologische Westbindung ist ohne wirkliche historische Wurzeln und nur eine künstliche Konstruktion für den Teil Europas, der in Jalta dem kommunistischen Zugriff nicht direkt ausgeliefert worden war und sich später nicht zuletzt dank des deutschen Beitrages gegen den Kommunismus erfolgreich verteidigte.

Betrachtet man ganz Europa und die ganze europäische Geschichte, dann wird offensichtlich, daß seine eng verbundenen Zentren die alten Metropolen und Kulturstädte Prag und Wien sein werden. Das neue Europa kann nicht von seinem Rand her, also von Brüssel aus begründet werden. Die beiden Städte Prag und Wien hingegen, nur 250 Kilometer voneinander entfernt, sind die Mitte Europas und stehen für das historische Eigengewicht europäischer Kultur. Sie haben zudem an der Schiene Berlin–Budapest eine große ökonomische Zukunft. Weltweiter Kolonialismus und dessen Folgen sind ihnen fremd, eine gute Voraussetzung künftiger globaler Akzeptanz und Repräsentation. Wer von Freiheit und Demokratie in einer europäischen Friedensordnung für den ganzen Kontinent ausgeht, für den sind demokratische Nationalstaaten Horte des Pluralismus und damit gelebter Freiheit. Zentralistische Systeme stehen dem entgegen und widersprechen europäischem Geist und seiner Kultur. Es wird Zeit, darüber in Europa zu sprechen.