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20.05.00 Das historische Kalenderblatt: 18. Mai 1848

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Mai 2000


Das historische Kalenderblatt: 18. Mai 1848 
Wurzel der deutschen Nation
Mit der Frankfurter Nationalversammlung trat erstmals ein gesamtdeutsches Parlament zusammen
Von PHILIPP HÖTENSLEBEN

Der 18. Mai 1848 ist ein heute zu Unrecht wenig beachtetes und fast vergessenes Datum. Blickt man jedoch in die Vergangenheit zurück, so zeigt sich, daß hier im Jahre 1848 ein besonderes Kapitel der deutschen Geschichte aufgeschlagen wird. Zum ersten Mal tritt ein gesamtdeutsches Parlament mit dem Auftrag, eine Verfassung zu erarbeiten, in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Unter Glockengeläut, Kanonendonner und in erhebendem Gefühle, wie ein zeitgenössischer Chronist diese Szene beschreibt, finden sich am 18. Mai 1848 feierlich 585 Abgeordnete, überwiegend aus dem gebildeten Bürgertum, wie Richter, höhere Beamte und Professoren, also kein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung, in der Frankfurter Paulskirche zur ersten Sitzung der deutschen Nationalversammlung ein. Aus ihrer Mitte wählen sie den hessischen Liberalen und Mitbegründer der deutschen Burschenschaft, Heinrich Reichs-freiherr von Gagern, zum Präsidenten.

Die Ursachen für die Einberufung der Nationalversammlung sind in der Französischen Revolution zu suchen. Nach der 1806 erfolgten Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation springt der revolutionäre Funke auf die Staaten des Deutschen Bundes über. Unüberhörbar erschallt auch in Österreich und Preußen der Ruf nach Reformen und mehr Bürgerrechten. Auf Versammlungen und Demonstrationen werden Forderungen nach Presse- und Vereinsfreiheit und der Einberufung eines bundesweiten Parlaments gestellt. In Wien kommt es zu Straßenkämpfen, und in Berlin gerät am 18. März 1848 eine Großkundgebung außer Kontrolle. Die blutigen Barrikadenkämpfe führen zu 254 Toten, den sogenannten Märzgefallenen. Als Ergebnis dieser "Märzrevolution" stimmen die Regierenden in Österreich, Preußen und in den kleineren Staaten des Deutschen Bundes der Einberufung eines gesamtdeutschen Parlaments in Frankfurt zu.

Die spürbare Aufbruch- und Umbruchstimmung spiegelt sich in den hitzig geführten Debatten des "Professorenparlaments" wider. Getrennt nach ihren politischen Ansichten und Richtungen – Parteien existieren zu dieser Zeit noch nicht – wird die Sitzordnung im Parlament vorgenommen. So ergibt sich, daß die Konservativen rechts, die Liberalen in der Mitte und die Demokraten links gruppiert werden. Nicht nur diese Sitzordnung machen sich die späteren Parteien zu eigen, sondern auch das Begriffspaar "links – rechts", stellvertretend für die politische Gesinnung, hat sich in unserem Sprachgebrauch eingebürgert.

Die einzelnen politischen "Fraktionen" der Paulskirche benennen sich nach den von ihnen besuchten Versammlungslokalen, in denen bei Wein und Bier in rauchgeschwängerten Räumen heftig und leidenschaftlich über eine Verfassung und den zu schaffenden geeinten deutschen Nationalstaat debattiert wird. Die Konservativen, die innerhalb des beabsichtigten Einheitsstaates die einzelstaatlichen Rechte gewahrt wissen wollen, tagen im "Café Milani", die Liberalen, unter denen sich Anhänger einer starken Zentralgewalt, aber auch Befürworter einer parlamentarischen Monarchie befinden, tagen unter anderem im "Württemberger Hof". Eine großdeutsche Lösung, also einen deutschen Nationalstaat unter Einschluß Österreichs und die Errichtung einer Republik, haben die im "Deutschen und Nürnberger Hof" tagenden Demokraten auf ihre Fahnen geschrieben.

Die Alternative einer großdeutschen oder kleindeutschen Lösung ist das zentrale Problem, dem sich die Frankfurter Nationalversammlung bei der Frage der zukünftigen Gestaltung des neuen Reiches zu stellen hat. Kann sich die Nationalversammlung überhaupt gegenüber den Macht- und Sonderinteressen der beiden Großmächte Preußen und Österreich behaupten? Bis zur Verabschiedung einer Reichsverfassung hat man als provisorische Zentralgewalt den österreichischen Erzherzog Johann als sogenannten Reichsverweser eingesetzt. Politisch und militärisch bleibt man jedoch auf die beiden Großmächte angewiesen und ist ihnen praktisch ausgeliefert.

Während Preußen und Österreich nach den Revolutionswirren langsam wieder an Stärke und Selbstvertrauen gewinnen, kommen die Beratungen der Parlamentarier in der Frankfurter Paulskirche nur sehr schleppend voran. Die Zeit spielt gegen sie. Zwar kann am 27. Dezember 1848 ein für die damalige Zeit sehr fortschrittlicher Grundrechtskatalog, der die Eigentums-, Presse- und Meinungsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz und die Abschaffung des Adels vorsieht, verabschiedet werden, aber für deren Durchsetzung fehlen dem Parlament die Machtmittel. Nach endlosen Debatten ringt man sich schließlich zu einer kleindeutschen Lösung durch. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnt seine Wahl zum Kaiser dieses neuen Reichs jedoch am 3. April 1849 mit den Worten ab, es fehle das "freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten, und Freien Städte".

Preußen und Österreich lehnen auch die von der Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung ab, die damit nur ein politisches Absichtsprogramm bleibt. Dies ist das Ende aller Träume der deutschen Nationalversammlung. Am 30. Mai 1849 zieht das von Auflösung bedrohte Parlament von Frankfurt nach Stuttgart um, wo am 18. Juni 1849 das Rumpfparlament der verbliebenen Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung auf Weisung der württembergischen Regierung vom Militär gewaltsam aufgelöst wird. Damit hat die Reaktion zunächst gesiegt.

Die Frankfurter Nationalversammlung stellt den ersten – wenn auch letzten gescheiterten – Versuch dar, ein neues, geeintes Deutschland zu schaffen. Fortan können die Ideen der Freiheitsbewegungen nicht mehr auf Dauer ignoriert werden. Auch die Grundrechte der Paulskirchenverfassung haben einen entscheidenden Einfluß auf die Grundrechte der Weimarer Verfassung und damit mittelbar auch auf unsere heutige Verfassung. Somit kann man mit Fug und Recht behaupten, daß die Frankfurter Nationalversammlung zu den Wurzeln der deutschen Nation gehört und der 18. Mai 1848 ein erinnerungswürdiges Datum der deutschen Geschichte darstellt.

Die Paulskirche selbst trägt nur noch den Namen "Kirche", sie ist es längst nicht mehr. Im März 1944 brennt das Gebäude völlig aus. Beim Wiederaufbau 1948 verzichtet man auf eine originalgetreue Rekonstruktion. Ende der 80er Jahre wird die Kirche für ihren heutigen Bestimmungszweck erneut umgebaut. Fortan dient sie als geeigneter Ort mit Symbolgehalt für feierliche Veranstaltungen. Lediglich der Plenarsaal erinnert heute noch an die einstige Bedeutung, in ihm hängen die Bundesflagge und die Flaggen aller deutschen Bundesländer. Gleichwohl gehen mit Ausnahme der Touristen heute die meisten Menschen mehr oder minder achtlos an der Frankfurter Paulskirche, diesem Baudenkmal des deutschen Klassizismus, vorbei.