16.04.2024

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27.05.00 Für weite Kreise unseres Volks findet keine Erziehung im üblichen Sinne mehr statt

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Mai 2000


Pädagogik: Wenn nur noch das Handwerker-Milieu trägt ...
Für weite Kreise unseres Volks findet keine Erziehung im üblichen Sinne mehr statt

Viele Handwerksmeister, die Lehrlinge ausbilden, schimpfen auf die Schule. Sie werfen insbesondere den Hauptschullehrern vor, ihren Schülern nicht ordentlich Rechnen, Lesen und Schreiben und vor allem kein ordentliches Benehmen beizubringen. Diese Handwerksmeister leben zum größten Teil in bürgerlichen Verhältnissen, in denen die alten Erziehungsprinzipien wie Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit, ja und auch Gehorsam noch etwas gelten. Viele dieser Schulkritiker können sich offensichtlich gar nicht vorstellen, wie weitgehend in vielen Schichten unserer Bevölkerung die Eltern vor der Erziehungsaufgabe kapituliert haben.

Das hat mit der 68er-Studentenrevolution begonnen, wo man meinte, kleine Kinder in absoluter "Freiheit" und "Selbstbestimmung" aufwachsen lassen zu müssen. Obgleich die 68er-Bewegung sich längst totgelaufen hat, haben sich jene verrückten Erziehungsideale gerade in die Köpfe schlichter Menschen eingeschlichen.

Es ist ja zunächst viel leichter, sich mit dem Kind nicht täglich auseinandersetzen zu müssen, sondern ihm seinen Willen zu lassen. Es ist auch bequemer, die Kinder vor die "Glotze" zu setzen, nur damit man ihr Quengeln nicht ertragen muß. Selbstverständlich kontrolliert man dabei auch nicht, was die Kleinen sich da während ihrer Kindheit und Jugend so alles "hineinziehen". Obendrauf setzt man dann noch auf die große Nachgiebigkeit bei allen Konsumwünschen des Nachwuchses. Man selbst konsumiert auch mit Lust. Da ist es doch logisch, wenn man den anspruchsvollen Zöglingen möglichst viele Wünsche erfüllt, und seien sie noch so inhaltsleer, von Werbung und Medien den unkritischen kindlichen Gemütern als wahre Bedürfnisse vorgegaukelt.

Erziehung im klassischen Sinne findet in weiten Teilen unserer Bevölkerung nicht mehr statt. Anders ausgedrückt, der Nachwuchs wird nicht mehr darauf trainiert, sich in ein soziales Umfeld einzupassen, seine eigenen Bedürfnisse nur in dem Rahmen verwirklichen zu können, in dem die Interessen der anderen nicht verletzt werden. Junge Mütter diskutieren gegenwärtig bereits darüber, ob sie ihre Drei- bis Vierjährigen in bestimmte Kindergärten geben sollen. Die Kleinen seien dort bereits so gewalttätig, daß die Kindergärtnerinnen mit ihnen nicht mehr fertig würden. Grundschullehrerinnen beklagen sich massenweise, daß Erstkläßler ohne jede Zurückhaltung in der Klasse herumtoben, nicht zu bändigen sind und die ungeduldig werdende Lehrerin mit "Fo..." titulieren. Selbstverständlich gibt es für derartiges Verhalten keine Strafen mehr, sondern nur die Weisung der (vom 68er-Geist geprägten?) Kultusverwaltung, solche Entgleisungen "pädagogisch" abzufangen.

In der Hauptschule sammeln sich zu einem großen Teil die nicht erzogenen und kaum noch erziehbaren Kinder. Sie werden von den doch angeblich auf dem modernsten pädagogischen Stand befindlichen Gesamtschulen nicht aufgenommen, weil sie nicht mehr "integrierbar" sind. Wie sollten sich Hauptschullehrer, die keinerlei ernsthafte Gegenmaßnahmen gegen die Ausfälle ihrer Schüler mehr treffen dürfen, gegen die dauernden massiven Störungen durchsetzen? Wie sollen Sie in ihren Klassen ernsthafte Lerndisziplin durchsetzen?

Natürlich sind nicht alle Hauptschüler in einer derartig unbeherrschbaren Verfassung. Aber die starke Minderheit, die fast in jeder Hauptschulklasse anzutreffen ist, diktiert mit ihren dauernden Störungen des Unterrichts das Geschehen im Klassenraum. Wenn die nicht mehr erziehbaren jungen Leute die Schule verlassen, haben Sie selbstverständlich die Kulturtechniken nicht mitbekommen. Sie sind Frustrierte, die für sich in der Leistungsgesellschaft keine Chance sehen.

Zum Glück finden viele junge Menschen, denen die Hauptschule die elterlichen Erziehungsdefizite nicht ausgleichen konnte, ihren Weg in die handwerkliche Berufsausbildung. Dort herrscht noch Zucht und Ordnung. Dies bekommt gerade auch den sozialen "Wackelkandidaten" hervorragend. Noch mehr: Viele fühlen sich das erste Mal in ihrem Leben ernst genommen und menschlich eingebunden. Die kleinbetriebliche Kameradschaft trägt sie, sie fühlen sich wohl. Insofern leistet das Handwerk für einen Teil seiner Lehrlinge sehr wirksame Sozialarbeit. Die Frage ist jedoch: Können wir die Eltern wieder dazu bringen, ihre Kinder nach vernünftigen Wertmaßstäben zu erziehen? Bei den sozial anfälligen Schichten unserer Bevölkerung führt sicher oft die Berufstätigkeit beider Eltern zur Vernachlässigung der Kinder. Man kann andererseits in dieser Konsumgesellschaft gerade den Familien, die am unteren Rand der Einkommensskala stehen, nicht verdenken, daß sie versuchen, durch die Arbeit beider Elternteile sich ihren Teil aus dem Kuchen herauszuschneiden.

Es scheint, daß es an der Zeit ist, die Hauptschule nicht einfach wegen ihrer schlechten Lernergebnisse zu beschimpfen, sondern sie als echte Auffangstation für sozial angeschlagene Kinder neu zu organisieren. Gerade das Handwerk mit seinen vielfältigen positiven Erfahrungen, die es auch mit gescheiterten Hauptschülern gemacht hat, könnte hier Anregungen geben und zeigen, wie man die jungen Menschen auch in heutigen Zeiten noch "packen" kann. Peter Kober