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27.05.00 DAG-Vorstand: 200 000 Arbeitsplätze sind bedroht

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Mai 2000


Banken: Der Fusionspoker läuft weiter
DAG-Vorstand: 200 000 Arbeitsplätze sind bedroht
Von RUDOLF DORNER

Zahlreich und schillernd waren die Schlagworte bei Bekanntwerden des Scheiterns der "Mega-Fusion" Deutsche und Dresdner Bank: Fiasko, Debakel, Eklat, Fehlschlag, Schlappe, Trauerspiel, Tragödie, Blamage, ja selbst Super-GAU. Die Nuancen reichten von Überraschung, Entsetzen und Ratlosigkeit, von Spott und Schadenfreude bis zum Bedauern über die mißglückte deutsche Bankenheirat.

Wie bei Mißerfolgen üblich, begann sofort die Suche nach den Schuldigen. Endlich wieder ein aufregendes Thema, nachdem das Interesse an den Spendenskandalen merklich abgeflaut war. Zudem war die Sache noch brandaktuell. Lag doch zwischen Ankündigung und Absage der Hochzeit nur ein Monat. Sorgte schon das Aufgebot für weltweites Aufsehen, tat es die alsbaldige Entlobung nicht weniger. Neunmalkluge, die den Schiffbruch ahnten, voraussahen, waren gleich mit besserwisserischen Schuldzuweisungen zur Stelle: Dilettantismus, kein durchdachtes Konzept, mangelnde Vorbereitung, konfuse Vorstellung über die Durchführung, mangelnde Kommunikation, kurz: Unprofessionalität auf der ganzen Linie.

Nachdem sich der Pulverdampf der schweren Artillerie verzogen hat und diverse Stellungnahmen der Beschuldigten vorliegen, erscheint eine Lagebeurteilung möglich. Eine vordergründige Betrachtung der geplanten Fusion unter dem Aspekt "größenwahnsinnige Fusionitis" führt zwangsläufig zu einem Fehlurteil. Denn bei einem so komplexen Vorgang liefe eine derart verengte Beurteilung weitgehend ins Leere.

Durch die Übernahme von Bankers Trust wuchs die Deutsche Bank – gemessen an der Bilanzsumme – zum weltweit größten Kreditinstitut. Die bislang übliche Rangordnung der Banken nach Höhe der Bilanzsumme ist aber überholt. Bestimmender Maßstab ist heutzutage der Börsenwert. Unternehmen mit geringem Börsenwert laufen Gefahr, von anderen übernommen zu werden. Die deutschen Universalgroßbanken gelten wegen ihres kostenträchtigen Filialnetzes und der relativ niedrigen Gewinnmargen ihrer traditionellen Geschäftssparten im internationalen Vergleich nicht als besonders renditestark. Dementsprechend sind ihre Aktien für renditebewußte Anleger weniger attraktiv und der Börsenwert relativ gering. Unter dem Zwang der Steigerung des "shareholder value" wird daher eine Umstrukturierung des Bankengeschäftes auf die lukrativeren Geschäftsfelder des Investmentbanking, der Vermögensverwaltung angestrebt.

Die Deutsche Bank hat hier in den vergangenen Jahren durch den Ausbau dieser gewinnträchtigen Bereiche in Deutschland sowie durch den Erwerb der britischen Investmentbank "Morgan Grenfell" und der US-amerikanischen Großbank "Ban-kers Trust" eine weltweit gewichtige Position erlangt. Was ihr aber nicht gelang, war der vorwiegend angestrebte Erwerb einer erstrangigen amerikanischen Investmentbank, wie Goldman Sachs, Merril Lynch, Morgan Stanley, Dean Witter oder J P Morgan, um ein wirklich führender "global player" auf den internationalen Finanzmärkten zu werden. Bankers Trust war zuvor nicht der ersehnte Wunschpartner, sondern eher eine Ersatzlösung, um auf dem amerikanischen Markt eine stärkere Position zu gewinnen.

Daß sich die Deutsche Bank damit nicht begnügen würde und ihr Ziel auch nicht auf notwendigen Umwegen aus den Augen verlor, war vorhersehbar. Da bot sich plötzlich eine neue Chance. Die Allianz-Versicherung, die im vergangenen Jahr noch eine Teilfusion der Dresdner Bank mit der Deutschen Bank durch Zusammenlegung des Retailgeschäftes in der "Deutsche Bank 24" verhindert hatte, erklärte ihre Bereitschaft zur Abgabe ihres Dresdner Bank-Paketes von 21,7 Prozent. Sie verlangte dafür einen sehr hohen Preis: die Bank 24 sowie für den Absatz ihrer standardisierten Versicherungsprodukte die Versicherungsgesellschaft "Deutscher Herold" und obendrein die Fondsgesellschaft "DWS", die mit einem verwalteten Vermögen von rund 170 Milliarden Mark und einem Marktanteil von 23 Prozent die größte deutsche und auch europäische Investmentgesellschaft ist.

Die Allianz wäre damit von Platz sechs auf Platz zwei der weltgrößten Vermögensverwaltungsgesellschaften gerückt. Kein Zweifel: die Allianz wäre der Hauptgewinner der Fusion gewesen, nun ist sie Hauptverlierer.

Der Vorteil der fusionierten Banken hätte darin gelegen, sich von ihrem unrentablen Mengengeschäft und dem Großteil ihrer kostspieligen Filialen trennen und sich fortan auf das Geschäft mit Großkunden konzentrieren zu können. Die fusionierte Deutsche Bank hätte dann mit einer gut gefüllten Kriegskasse, die mit 66 Milliarden Mark beziffert wurde, für die weitere Expansion in der Weltliga einen gewichtigen Part spielen können und wäre ein unbestrittener "global player" geworden. Nicht zuletzt wäre dadurch auch der Finanzplatz Deutschland gestärkt worden.

Wie zu erwarten gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen, was zum Scheitern geführt habe und wer dafür verantwortlich sei. Überwiegend wird der Hauptgrund für das Mißlingen in dem von der Deutschen Bank entgegen den Zusagen ihres Sprechers und Verhandlungsführers Breuer geforderten Verkauf der Investmentgesellschaft "Dresdner Kleinwort Benson (DKB)" gesehen. Der Vorstand der Dresdner Bank erhob deshalb den Vorwurf, die Deutsche Bank habe sich nicht an die Absprache "Fusion unter Gleichen" gehalten und durch ihr Verhalten dem Ganzen die Vertrauensbasis entzogen.

In der Tat ging es um Macht, Prestige und Posten. Im Hause der Deutschen  Bank konnte  Sprecher Breuer dem Vorstand, der über die späte  Unterrichtung seiner Verhandlungen,  aber auch über die Zugeständnisse an die Allianz  verärgert war, gerade noch die Zustimmung zur Fusion abringen. Er scheiterte jedoch mit seiner Zusage über die Integration der DKB an der unnachgiebigen Haltung seiner Investmentbanker, angeführt von seinem Kollegen und möglichen Nachfolger Ackermann und Edson Mitchel, Chef der Sektion "global markets" (Handel mit internationalen Anleihen) in London. Angesichts der starken Machtstellung der Investmentbanker im Deutsche Bank-Konzern – sie erwirtschaften, gemessen an der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit, gut 70 Prozent des Konzerngewinns vor Steuern – konnte sich Breuer nicht durchsetzen und mußte einen peinlichen Rückzieher machen. Dieser Handlungsablauf offenbart ein im Vorstand der Deutschen Bank bislang unübliches Vorgehen. Leitlinie war stets der Konsens im Gesamtvorstand. Die Frage stellt sich, ob Breuer zu selbstherrlich war und die Fusion ungeschmälert als seinen persönlichen Verhandlungserfolg verbuchen wollte oder ob das persönliche Mißtrauen im heutigen Vorstand stärker ist als die gemeinsame Freude und der Stolz am Erfolg eines Vorhabens, das schließlich im Interesse der Aktionäre und Kunden und nicht zum Eigennutz durchgeführt wird.

Hier scheint sich die alte Erfahrung zu bewahrheiten, daß es häufig nicht sachliche Gründe sind, die ein Vorhaben zum Scheitern bringen, sondern Allzumenschliches: Rivalitäten, Selbstherrlichkeit, Statusdenken, Kompetenzgerangel, Arroganz sowie Betriebsblindheit und Realitätsverlust.

Ungeachtet dieser Schwächen gab es aber eine Reihe von nicht stimmigen Faktoren, wie Überschneidungen im Investmentgeschäft, im Filial- und Zweigstellennetz und im sogenannten "back office"-Bereich (Sachbearbeitung und EDV). Nach Ansicht der Finanzanalysten konnte bei einem von ihnen ermittelten Größenverhältnis zwischen Deutscher und Dresdner Bank von 64 zu 36 von einer von Breuer und Walter verkündeten Fusion unter Gleichen nicht die Rede sein. Es wurde denn auch bald erkennbar, daß die dominante Deutsche Bank darauf abzielte, die zur Synergieerzielung durchzuführenden Rationalisierungsmaßnahmen, schönfärberisch Konsolidierung genannt, überwiegend zu Lasten der Dresdner Bank gehen zu lassen. Das schien dieser nicht akzeptabel.

Ungeachtet dessen bleibt festzustellen, daß beide Großbanken in ihrer Geschichte, ihrer Rechts- und Unternehmensform, ihrer Organisationsstruktur und auch Geschäftspolitik mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen. Der Dissens über die Integration bzw. eine sachlich gerechtfertigte Bereinigung des Investmentbereichs wäre wohl bei gutem Willen, größerem Verhandlungsgeschick und Vermeidung unnötigen Zeitdrucks lösbar gewesen. So aber nahm die geplante Transaktion den Charakter einer unfreundlichen Übernahme an. Am Ende stand man vor einem Scherbenhaufen.

Selbstverständlich äußern sich beide Institute "gelassen" und sprechen von "Alles wie gehabt". Die Dresdner Bank gilt allerdings als deutlich geschwächt. Insbesondere im Investmentbereich mußte sie erhebliche Personalabgänge von Spitzenleuten hinnehmen und sah sich gezwungen, qualifizierte Kräfte durch Sondervergütungen bei der Stange zu halten. Vier Vorstandsmitglieder sind ausgeschieden. Obwohl drittgrößte Privatbank und trotz des bisher besten Jahresabschlusses in ihrer Geschichte gilt sie jetzt als Übernahmekandidat. Mit einem Börsenwert von nur 50 Milliarden Mark ist sie kein unverdaulicher Brocken für potente ausländische Interessenten.

Die Deutsche Bank ist nicht nur wegen ihrer Größe und ihres doppelt so hohen Börsenwertes für einen Alleingang besser gewappnet. Sie hat sich frühzeitig auf die Erfordernisse des zukünftigen Bankgeschäftes vorbereitet mittels Umstrukturierung und Fokussierung der Geschäftsfelder sowie Auf- und Ausbau einer modernen Informationstechnik. Sie hat sich von der traditionellen Universalbank zum Spezialdienstleister zukunftsträchtiger und -fähiger Dienstleistungsangebote für global agierende Kunden gewandelt und nimmt hier die führende Position in Deutschland ein. Durch die Fusion wäre der von vielen nur oberflächlich und widerstrebend zur Kenntnis genommene Wandel im Bankgeschäft nur erst richtig deutlich geworden.

Wird dieses Menetekel wahr- und ernstgenommen? Nicht nur die privaten Banken, auch die Genossenschaftsbanken sowie die Sparkassen und öffentlichen Banken geraten in Zugzwang, sich dem Trend anzupassen. Auch sie werden den veränderten Kundenwünschen mit einem entsprechenden Dienstleistungsangebot Rechnung tragen müssen. Und sie werden sich wohl oder übel genötigt sehen, die personalintensive Betreuung von Kunden mit unbefriedigendem Kosten-Nutzen-Verhältnis einzuschränken. Denn auch sie unterliegen dem ständig wachsenden Wettbewerb.

Otto Normalkunde wird sich an die neuen Verhältnisse im Bankgeschäft gewöhnen müssen. Mit dem Scheitern der Fusion wird der Strukturwandel im deutschen Kreditgewerbe allenfalls etwas abgebremst. Die Bankenlandschaft wird auf alle Fälle neu geordnet werden. Weitere Fusionen mit erheblichem Arbeitsplatzabbau sind die Folge. Das Mitglied des Bundesvorstandes der DAG und auch des Aufsichtsrates der Deutschen Bank, Renner, rechnet damit, daß von den 770 000 Beschäftigten im Kreditgewerbe rund 200 000 ihren Arbeitsplatz verlieren werden, auch bei Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken. Deutschland gilt im internationalen Vergleich als mit Bankfilialen überversorgt.

Das Fusions-Roulette läuft also weiter. Zwei Übernahmekandidaten sind stets im Gerede: die Dresdner Bank und die Commerzbank. Gespannt wird auf die Ausrichtung der Allianz geblickt, deren strategisches Konzept ja mißglückte und die nun in Handlungszwang geraten ist. Auf eine neue Lösung darf man gespannt sein. Bemerkenswert ist, daß sie ihre Gespräche mit der Deutschen Bank fortsetzt. Es wird sich zeigen, ob der zurückgetretene Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Bernhard Walter, mit seiner Meinung, es sei eine historische Chance vertan worden, recht behalten wird. Unklar bleibt allerdings, wessen Geschichte er meint.