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24.06.00 Reformpläne decken sich kaum mit dem Ziel der "Sozialen Gerechtigkeit"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


Renten: "Neue Mitte" droht zu scheitern
Reformpläne decken sich kaum mit dem Ziel der "Sozialen Gerechtigkeit"

Eigentlich hätte der Sommeranfang für Kanzler Gerhard Schröder eine gute Zeit werden sollen. Die Steuerreform befindet sich zwar im Vermittlungsausschuß des Bundesrates, aber sie wird kommen. Die Bundeswehrreform ist weitgehend unter Dach und Fach. Und beim Rentengipfel mit der Opposition zog Schröder ein Blatt mit Kompromißvorschlägen im Wert von 20 Milliarden Mark aus der Tasche, um auch die Reform der Altersversorgung zu sichern. Doch nicht nur die Opposition, sondern auch die eigene Partei machte Schröder erst einmal einen Strich durch die Rechnung.

Einer der Gründe für die Reform der Rentenversicherung ist die Kündigung des Generationenvertrages durch die heute 40- bis 50jährigen. Ihre Entscheidung, weniger Kinder zu haben, läßt die Alterspyramide zusammenfallen. Das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern verschlechtert sich dermaßen, daß in einigen Jahrzehnten jeder Erwerbstätige einen Rentner finanzieren müßte.

Politische Wohltaten in den vergangenen Jahren, zum Beispiel Rentenzahlungen ohne frühere oder nur geringe Beitragszahlungen, verschärfen das Problem ebenso wie die Einführung von Kindererziehungszeiten. Die heutige ältere Generation muß sich um ihre Rente in der Substanz nicht sorgen. Allerdings lassen geringfügige Erhöhungen wie zum Beispiel in diesem Jahr um nur 0,6 Prozent die Altersbezüge hinter der Entwicklung der Preise und Mieten zurückbleiben.

Die heutigen Arbeitnehmer haben jedoch scharfe Einschnitte bei ihrer späteren Rente zu befürchten. Das Rentenniveau, derzeit noch bei knapp 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens, soll in den kommenden drei Jahrzehnten auf nur noch knapp über 50 Prozent sinken. Das könne er, stöhnte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, in seiner Fraktion nicht durchbringen. Flugs lehnte die Opposition Schröders schönen Rentenplan zunächst ab und verlangte eine Vertagung des Rentengipfels, obwohl Schröder für die Unterstützung der privaten Vorsorge Anreize aus dem Steuertopf von bis zu 20 Milliarden Mark zugesagt hatte.

Der Kanzler hatte aber auch die Haltung seiner eigenen Partei nicht richtig kalkuliert. So leicht ist aus der SPD, die nach wie vor tiefe Wurzeln in der Schicht von Industriearbeitern und kleinen Angestellten hat, keine "New-Labour"-Partei wie in England zu machen. Viele Genossen liefen Sturm gegen die Kürzungspläne am Rentenniveau. Zunächst gärte es in der Bundestagsfraktion der SPD. Schröder unterschätzte das Grummeln und hielt die Widerstände für Profilierungssüchte einzelner Fraktionsmitglieder, zumal der Vorsitzende Peter Struck im Krankenhaus lag.

Doch während der Kanzler sich auf die Abreise zum EU-Gipfel nach Portugal vorbereitete, ritt die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) unter ihrem Vorsitzenden Ottmar Schreiner, einem Lafontaine-Mann, die nächste Attacke. Mit einem AfA-Vorstandsbeschluß im Rücken warf Schreiner Schröder und seinem Arbeitsminister Walter Riester vor, die soziale Gerechtigkeit in eine Schieflage zu bringen, weil das Prinzip der Teilung der Sozialversicherungsbeiträge durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgegeben werde. Während Schröder bereits in Portugal weilte, verschob das SPD-Präsidium die geplante Zustimmung zur Rentenreform auf Anfang Juli. Zu groß sind inzwischen die Widerstände selbst innerhalb der SPD-Führung gegen die Schröder-Riestersche Rentenreform.

Besonders die geplante private Vorsorge, in die die Arbeitnehmer in der Endstufe vier Prozent ihres Einkommens einzahlen sollen, stößt in Politik und Wissenschaft auf Kritik. Sozialpolitiker stören sich daran, daß damit der Grundsatz der hälftigen Teilung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgegeben wird. In späteren Jahren müßte zum Beispiel ein Arbeitnehmer mit 5000 Mark Bruttolohn neben den üblichen Rentenbeiträgen 200 DM in private Altersvorsorge stecken – vom Arbeitgeber gibt es nichts. Nur der Staat will sich bei Geringverdienern mit einer Sparprämie beteiligen. Wissenschaftler bemängeln, daß die private Vorsorge nicht inflationssicher sei.

Für Schröder steht jetzt viel mehr auf dem Spiel als die Rentenreform. Sein ehrgeiziges Projekt, die SPD als eine sich durch Abbau der Staatsverschuldung und Reformfähigkeit auszeichnende Partei endgültig in der "Neuen Mitte" zu positionieren, droht zu scheitern. Und das nicht einmal zu unrecht: Denn die soziale Gerechtigkeit, die Schröder und Riester mit ihren Rentenreformplänen nicht gerade in den Mittelpunkt stellen, war und ist den Deutschen immer besonders wichtig gewesen. HL