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24.06.00 Euro-Krise: Und jetzt die Griechen

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


Euro-Krise: Und jetzt die Griechen
Noch vor einem Jahr sagten "Experten" einen Kurs von 1,22 US-Dollar für Mitte 2000 voraus
Von UWE GREVE

Erinnern wir uns: In ihrem "Grünbuch" mit dem Titel "Eine Währung für Europa" schrieb die Europäische Kommission mit Datum vom 31. Mai 1995: "Die Schaffung des Europäischen Währungssystems war der erste Schritt (zur monetären Koordination in der EU, d. Verf.), die Währungsschwankungen der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, daß es notwendig ist, weiter zu gehen. Nur die einheitliche Währung und das damit verbundene stabilitätspolitische Umfeld wird den Europäern die folgenden zahlreichen konkreten Vorteile verschaffen:

– ein effizienter Binnenmarkt, sobald die einheitliche Währung geschaffen ist;

– Wachstum und Beschäftigung werden angeregt;

– Wegfall der mit der Existenz mehrerer europäischer Währungen verbundenen Mehrkosten;

– größere internationale Stabilität;

– vermehrte gemeinsame monetäre Souveränität der Mitgliedstaaten."

"Mit der Schaffung des Euros entsteht ein europäischer Währungsraum von globalem Gewicht, der eine wirkliche Alternative zum US-Dollar darstellen wird", so wußte der damalige Bundesfinanzminister Waigel auf dem Württembergischen Sparkassentag vom 10. April 1997 den Euro seinen Zuhörern schmackhaft zu machen. Und so stand es auch in den steuergeldfinanzierten Hochglanzprospekten der Parteien: "Der Euro wird so stabil wie die D-Mark sein."

Der Euro, hauptsächlich von Frankreich und einigen anderen europäischen Nachbarn gewollt, war der eigentliche Preis für die deutsche Einheit. Der "deutsche Gulliver" sollte auch monetär so in die europäische Union eingebunden sein, daß er sich nicht mehr selbständig bewegen konnte. Und selbstverständlich beschlossen die EU-Freunde ebenso, daß Deutschland trotz Wiedervereinigung weiterhin die finanziellen Hauptlasten der EU-Integration zu tragen habe.

Jeder, der dem Euro kritisch gegenüberstand, wurde als Antieuropäer, Nationalist, Chauvinist, engstirniger Konservativer, im besten Falle als "Modernisierungsverweigerer", der die Zeichen der Globalisierung nicht erkannt habe, diskriminiert. Eine zaghafte Debatte begann erst, als der Euro bereits fest beschlossen war. Viele unterschiedliche Umfragen verschiedenster Meinungsforschungsinstitute ergaben, daß die große Mehrheit der Deutschen die D-Mark beibehalten wollte. Die Regierenden ließ dies jedoch vollkommen kalt – wie sich zeigen sollte, zu Recht: Bei den entscheidenden Europa- und Bundestagswahlen des Jahres 1994 bescherten die Bundesbürger den Pro-Euro-Parteien von CSU bis Grünen glänzende Siege. Neue Gruppierungen, die sich die Verhinderung des geschmähten "Esperanto-Geldes" zum Ziel gesetzt hatten, wurden von den deutschen Wählern mit kläglichen Ergebnissen abgestraft. Die damals bekannteste, der "Bund Freier Bürger", löst sich zum Jahresende 2000 auf.

Einige kritische Stimmen gab es auch in der Politik. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder sagte im Magazin "Focus" vom 30. Dezember 1996 voraus: "Natürlich wird der Euro schwächer als die Mark." Er verlangte über die neue Währung einen freien Meinungsstreit: "Die Euro-Diskussion verläuft nur nach einer von der Regierung diktierten ,political correctness’. Jeder der es wagt, ein kritisches Wort zu sagen, gilt als Antieuropäer. Dieses Theater mache ich nicht mit." Indes die "Theater"-Kräfte waren stärker als Schröder. Er vergaß seine Kritik genauso schnell wie Edmund Stoiber, der anfangs ebenso kritisch zum Euro gestanden hatte.

Eine Währung definiert sich in ihrer Stärke und Solidität insbesondere aus der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung. Das notwendige Vertrauen zu einer Währung entsteht durch Erfahrung. Die D-Mark hat sich das ihr entgegengebrachte Vertrauen über Jahrzehnte hart erarbeiten müssen. Daß der Euro keinen Vertrauensvorschuß mitnehmen konnte, lag daran, daß eine Reihe von einflußreichen Euro-Ländern, an der Spitze Italien, über Jahrzehnte nicht solide gewirtschaftet haben. Hinzu kommt, daß die Euro-Teilnehmer sehr unterschiedliche Vorstellungen von Finanz- und Wirtschaftspolitik haben. Eine gemeinsame Währung setzt eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik voraus. Die gibt es in der Europäischen Union nicht. Sie ist auch nicht zu wünschen. Denn das Nebeneinander verschiedener Politik-Entwürfe, der Wettbewerb unterschiedlicher finanz- und wirtschaftspolitischer Vorstellungen ist die eigentliche Triebkraft des Fortschritts auf unserem Kontinent. Vereinheitlichung heißt fast immer Nivellierung!

"Eine Aufweichung der im Maastricher Vertrag verbindlich festgelegten Kriterien kann und wird es nicht geben. Nur wer diese Kriterien erfüllt und damit Beweis für eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik erbracht hat, kann in die Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion eintreten", so Bundeskanzler Kohl 1992 in Oxford. Inzwischen weiß jeder unabhängige Beobachter, daß mit den Kriterien lax, wenn nicht fahrlässig umgegangen wurde. Geradezu lächerlich wirken die angedrohten Strafen für Mitgliedsländer, die gegen die in Maastrich festgelegten Stabilitätskriterien verstoßen würden. Wie sollen Euro-Länder mit völlig maroden Haushalten denn zusätzlich Strafgelder aufbringen?

Eine andere Legende, die von den Eurokraten liebevoll gepflegt wird, lautet: Wenn der Euro nicht eingeführt worden wäre, hätten viele europäische Länder noch unsolider gewirtschaftet als es bisher der Fall war. Tatsache ist, daß einige europäische Staaten an der Grenze zur Zahlungs- und damit der politischen Handlungsunfähigkeit standen. Schritte der Stabilitätspolitik lagen also ohnehin in ihrem ureigensten Überlebensinteresse.

Zu den kuriosesten Argumenten der Euro-Freunde gehört, daß der schwache Außenwert der neuen Währung Exporte erleichtere und Importe erschwere. Wahr ist, daß die aus der Euro-Schwäche entstandene Scheinblüte die Neigung zu Innovation und Modernisierung hemmt. Leicht errungene Exporterfolge überlagern die immer noch gravierenden, strukturellen Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft. Gerade erst haben die Verantwortlichen nach jahrelangem Lamento über "Deutschlands Abstieg von der Weltspitze" zu wirklichen Reformen angesetzt. Experten fürchten nun, daß diese Kräfte schon wieder erlahmen könnten. Unternehmen, die den im Wechselkurs bedingten Prozeß der Exportbelebung zum Ausruhen nutzen, werden keine lange Freude haben. Beispiele anderer Weichwährungsländer zeigen, daß solche Scheinerfolge per Abwertung den langfristigen Rückfall einer Volkswirtschaft hinter ihre Konkurrenten nur zementieren. (West-) Deutschlands Aufstieg mit der harten Mark im Nacken demonstrierte im Gegenzug, wie ein Land ökonomisch auf ganzer Breite emporsteigen kann, wenn die Währung solide ist und bleibt.

Auch der Optimismus von Bundesfinanzminister Eichel, die positiven Wirtschaftszahlen der meisten europäischen Länder würden sich bald auch auf den Euro auswirken, ist nicht uneingeschränkt zu teilen. Die Enttäuschung darüber, daß eine dem Dollar ebenbürtige Weltwährung nicht gelungen ist, sitzt tief und löst negative massenpsychologische Prozesse gegen das neue Geld aus, die rationaler Argumentation nicht mehr zugänglich sind. Wenn der Euro-Fachmann des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT), Heiner Brockmann meint, daß es lediglich "eine Frage der Zeit ist, wann der Euro gegenüber dem Dollar aufgewertet wird", dann ist dies zumindest gewagt – kurzfristiger Kurserholungen zum Trotz. Falsch muß es dennoch nicht sein, denn der Dollar-Spekulationswelle könnte eine Euro-Spekulationswelle folgen. Diese hätte allerdings nichts mit volkswirtschaftlichen Daten zu tun.

Die nüchterne Realität im Juni 2000 lautet: Seit der Schaffung der Kunstwährung hat der Euro gegenüber dem Dollar fast 20 Prozent verloren. Je mehr der Euro aber nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber Yen und Pfund einbricht, um so mehr sehen Anleger die Erträge ihrer Euro-Wertpapiere schwinden. Der Vertrauensverlust der neuen Währung auf den europäischen Finanzmärkten ist enorm. Noch ist kein Grund für tiefere Beunruhigung bei den Sparern, weil die Preise im Euro-Raum sich nach wie vor stabil zeigen. Aber die Angst vor einer Geldentwertung wird durch die negative Wechselkursentwicklung geradezu provoziert. Zwar versicherte der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, unlängst wieder: "Die europäischen Bürger können sicher sein, daß die Zukunft des Euro die Zukunft einer starken Währung ist", aber das Vertrauen zu den Experten-Prognosen war bereits harten Bewährungsproben ausgesetzt. Was sagte doch zum Beispiel Ulrich Ramm, Chefvolkswirt der Commerzbank im Juni 1999 voraus? Der Euro werde in einem Jahr bei 1,22 Dollar liegen. Die Wirklichkeit ernüchtert: Er notiert bei gut 0,95 Dollar und war vorübergehend schon unter 90 US-Cent gefallen.

Es muß befürchtet werden, daß auch die Einführung des Euro in Griechenland im Jahre 2001 zusätzlich zum Verfall der Gemeinschaftswährung beiträgt. Man staune: Nach EU-Angaben liegt das Land sowohl bei der Teuerungsrate als auch bei den langfristigen Zinsen und der öffentlichen Neuverschuldung deutlich unter den vertraglichen Obergrenzen. Wie zuvor bei anderen Ländern ist allerdings davon auszugehen, daß einige Tricks angewandt werden mußten, damit die Hellenen solche Zahlen vorlegen konnten. Und: Hinsichtlich des Gesamtschuldenstandes wurde von vornherein auf das Erreichen des Kriteriums verzichtet, wie 1998 bei Belgien und Italien.

Der französische Vizepräsident der Europäischen Zentralbank Christian Noyer ließ, wie die "Frankfurter Allegmeine" am 4. Mai 2000 schreibt, "keinen Zweifel daran, daß die Erfolge Athens bei der Preisstablilität durch gezielte Senkung indirekter Steuern geschönt sind und deshalb in naher Zukunft an Wirkung verlieren können". Wie kann Vertrauen in eine Währung wachsen, deren Stabilitätskriterien von den Mitgliedsländern nicht ernst genommen werden? Wer einige Flaschen Spätlese, etliche Liter Normalwein und ein paar Kanister gepanschte Plörre zusammenschüttet, kann nicht erwarten, daß daraus eine neue Spätlese wird.

Bei aller Euro-Diskussion darf das größere Problem auf den Geldmärkten jedoch nicht aus dem Auge verloren werden: Der freie Kapitalmarkt treibt Blüten, denen die Notenbanken gleichsam nur noch zuschauend gegenüberstehen. Nach Beobachtungen der Bank für internationalen Zahlungsausgleich werden täglich (!) bei klassischen Kassa- und Termingeschäften 1 500 Milliarden Dollar bewegt. Ein Hundert-Millionen-Dollar-Geschäft, im Börsen-Jargon "100 Dollar" genannt, ist über die modernen elektronischen Handelswege in 20 Sekunden erledigt. Und im Bereich des Derivate-Handels werden täglich 1 265 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Das internationale Spekulationsgeschäft hat geradezu gigantische Ausmaße erreicht. Bedenklich wirkt, wie die Finanzmärkte scheinbar jeden Bezug zu realen Wirtschaftsdaten und Werten verloren haben. Vorsichtige Anleger beginnen seit längerer Zeit verstärkt auf Sachwerte zu setzen, weil sie befürchten, daß die Spekulationsblasen in absehbarer Zeit platzen werden.