25.04.2024

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24.06.00 UNTERHALTUNG

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. Juni 2000


UNTERHALTUNG

Träume sind eben doch nur Schäume
Von GABRIELE LINS

Es kam der Tag, da wollte ich anders sein als die Frauen in meiner Umgebung, ganz, ganz anders. Und ich wagte es! Zuerst fuhr ich mir mit dem Rasierapparat meines Mannes durch die gepflegte Frisur und legte mir einen hauseigenen Bahnenschnitt zu. Ich setzte die alte Brille meiner Uroma auf und sah die Welt nun in Schlieren. Egal, mit dem schwarzen Gestell auf der Nase machte ich einen flippigen Eindruck. Im Kleiderschrank ganz hinten fand ich ein Gewand meiner ältesten Tochter aus den Siebzigern, Marke Blumenkind. Es stand mir nicht mal schlecht. Den Rock raffte ich ein bißchen, damit man die Mottenlöcher nicht so sah.

Wie schön, meine Mitmenschen reagierten geschockt!

Die Hausarbeit erledigte ich von nun an mit links, also nach dem Motto "Gar nich um kümmern!" Dafür setzte ich mich öfter in ein kuscheliges Café und schrieb hehre Texte so in der Art: "Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder …". Ich fühlte mich ganz als freie Schriftstellerin, die Betonung liegt auf "frei".

"Unsere Olle ist plötzlich von der Rolle!" sagte mein Sohn hinter vorgehaltener Hand zu seiner neuen Freundin, die storchenbeinig durch unser Haus stöckelte.

"Mama ist völlig übergeschnappt!" hörte ich meine jüngere Tochter zu jedem gerade anwesenden Mitschüler sagen, und die Älteste erzählte einem derzeitigen Studienfreund, ihre Mama mache wohl eine späte Phase der Pubertät durch, die sie früher nicht ausgelebt habe.

Was mein Mann von sich gab, will ich hier lieber nicht weiter ausmalen.

Unsere Nachbarn – das war mir von vornherein klar – flüsterten hinter meinem Rücken, ich gehöre doch wohl in die Klapse. Mir war das egal. Ich war ja so cool!

In den Augen mancher Zeitgenossen war ich noch vor Wochen – Gott weiß, warum – selbst für das kleine Einmaleins zu dämlich gewesen. Jetzt aber war ich eine scharfe Torte, wie sich ein Freund meines Sohnes ausdrückte. Na bitte, Verrücktheit gibt einer Frau erst den richtigen Touch!

Mit neuem Selbstbewußtsein verschickte ich sämtliche von mir verfaßten Texte in der Art "Nächtlich am Busento …" an große Verlage, ja ich setzte mein verkanntes Genie auch für das Fernsehen ein. Bald rissen sich die Medien um meine Ideen. Ich war plötzlich wer!

Doch es kam, wie es kommen mußte, eines Tages ereilte mich schonungslos die Wahrheit: Ich wachte auf!

Ja, ich erwachte aus meinem wunderschönen Traum, indem ich aus unserem Hochbett fiel. Morgens um fünf. Und das tat weh! Da wurde es mir schmerzlich klar: Ich war gar keine Abgefahrene, deren literarische Texte ankamen (Sie wissen schon, "Nächtlich am Busento …"), ich war weiterhin die fleißige Ameise der Familie und sonst nichts! Träume sind eben doch Schäume! –

Heute nun überlege ich, ob ich nicht wirklich mal etwas schreibe, zum Beispiel eine "Emanzipathologie für Frauen". Selbst Alice Schwarzer wird vor Neid erbleichen. Ich weiß nur noch nicht, ob ich die "Emanzipathologie" in Form eines Romans verfasse oder ein elitäres Essay über dieses Thema ausarbeite. Auf jeden Fall wird es ein großes Werk sein, das verspreche ich!

Aber – anders gedacht: Eine Hausfrau muß ja nicht zwangsläufig dumm sein, auch wenn sie nichts schreibt.

Meine Kochkünste haben noch jeden von meiner künstlerischen Kreativität überzeugt. Sie müßten mal meine Rouladen versuchen oder die verlorenen Eier im Spinatbett! Ich sage Ihnen, da verlieren Sie auch etwas, nämlich den Verstand, und das vor lauter Wonne. Und meine gut erzogenen Kinder sprechen schließlich ebenfalls für sich.

Na ja, wir sind halt alle nur Menschen …

 

Wachsender Wohlstand

Von EVA REIMANN

Früher

zählten wir ab

die Kartoffeln

und zugeteilt

wurde das Brot.

Heute

zählen wir ab

die Kartoffeln

und wiegen das Brot

und uns.

Früher

nähten wir Kleider

aus Decken und Säcken.

Heute

stopfen wir Kleider

in Säcke und stellen

sie vor die Tür.

Früher

waren die Türen offen

die Riegel nicht vorgeschoben

Sprechanlagen

waren unbekannt.

Heute

sind nur noch offen

und voll Vertrauen

Augen von Kindern.

Es wächst der Wohlstand

bei schwerem Verlust.

 

Durch Freuden und Leiden
Von einem Besuch in einem Alten- und Pflegeheim erzählt Christel Bethke

Herrmann, Herrmann!" Schon auf dem Gang hörte ich diese flehentlichen Rufe. Ich öffne die Tür und trete ein. Seit vorgestern – meinem letzten Besuch hier auf der Pflegestation – hat sich etwas verändert. Im Bett an der Wand liegt heute eine andere alte Frau, die, als sie mich eintreten sieht, einen Augenblick lang aufgehört hat nach Herrmann zu rufen, nun aber wieder loslegt. Diejenige, die mir die nächste ist, liegt irgendwie zusammengesunken im Bett am Fenster und sagt ständig vor sich hin: "Ich will eine geladene Pistole haben. Ich will eine Pistole haben, geladen …"

"Herrmann, Herrmann!" In mir steigt etwas wie ein Krampf hoch. Entweder fange ich wieder wie eine Irre an zu lachen ("Herrmann heeßt er, Herrmann heeßt er") oder ich beginne zu heulen. Beides geht nicht und ich rufe nach dem Pfleger.

Es ist ein sehr junger Mann, der statt Wehrdienst seinen Zivildienst leistet. Fröhlich tritt er ein und als ich ihn nach "Herrmann" frage, höre ich, daß die alte Dame, die vorher im Bett an der Wand lag, nachts über das Gitter, das ich bei meinen Besuchen niemals gesehen habe, gestiegen ist und sich das Bein gebrochen hat. Dafür kam Herrmann. Herrmann heißt der Mann, der seine Frau bisher zu Hause betreute und nun selbst ins Krankenhaus mußte. Unverständlich für seine Frau, die, verwirrt, sich nur von ihm die Bettpfanne geben lassen wollte. Und was ist mit der Pistole? "Vielleicht will Ihre Mutter", meint der Pfleger munter, "die Bettnachbarin abknallen."

Er hilft mir meine Nächste bequemer zu betten und weil ich mir denken kann, daß es für diesen jungen Mann auch nicht leicht ist, ständig mit den alten Verwirrten zu tun zu haben, bin ich freundlich, und als er fragt: "Na, wer ist denn auf Besuch gekommen?", sogar dankbar. Ja, sie weiß, wer zu Besuch gekommen ist, und wie jedesmal fragt sie: "Hast du an die Erde gedacht?" Die Rufe nach Herrmann haben aufgehört und auch die nach der geladenen Pistole.

Ich blicke auf das Häufchen Unglück im Bett und denke, wie kann der junge Mann in dieser alten Frau das junge Mädchen sehen und die Frau, die ihr Leben fast durch das ganze vergangene Jahrhundert gelebt hat mit all seinen Katastrophen, seinen Freuden. Die behütete Kindheit in der elterlichen Försterei Grünwald, sorgenfrei. Er kann nicht das Kind sehen, das zur Bahnstation Trakehnen mit Pferd und Wagen kutschiert wurde, um mit dem Zug zur Schule zu fahren; nicht die junge Frau, die, an Personal gewöhnt, es später auch haben wollte, die leidenschaftlich gern tanzte. Dann Ehe und Geschäft, sie, die Stolze, die zum Verwundern der ganzen Stadt, in die es sie verschlug, mit riesengroßen Hüten promenierte, die sich aber tapfer hielt bei Niederlagen und tapfer durch Fluchten schlug, die von der Gnädigen zur Hausmeisterin avancierte und eine gute wurde, von allen im Hause geliebt … Sich mit einem schwachen Mann abfand, ehrlich genug war nach seinem Tod, das Leben auch noch lebenswert zu finden. Die in Berlin Trude Hesterberg "Herrmann heeßt er, Herrmann heeßt er" singen hörte.

Was geht in ihr vor, denke ich, fasse ihre Hand und auf ihre wiederholte Frage nach der Erde sage ich natürlich "ja".

Sie selbst wollte niemals mehr an den Ort ihrer Kindheit zurück, niemals mehr die Stationen ihres früheren Lebens aufsuchen, aber als ich, ihre Tochter, "nach Hause" fuhr, wie sie es doch immer noch nannte, bat sie mich, einen Beutel Erde von der Försterei mitzubringen.

Ich weiß nicht, ich weiß immer noch nicht, soll ich heulen oder lachen. Herr hilf, daß wir in Würde sterben können.

 

Leben

Das Leben schnell verrinnt,

einst dachten wir als Kind,

sehr lange währt die Zeit,

die Ewigkeit ist weit.

Ein jeder Tag uns zeigt,

der Abend rasch sich neigt,

die Spanne wird gering

und doch, mein Herze, sing!

Gertrud Arnold

 

Begegnungen auf einer Reise
Von MARGOT KOHLHEPP

Bis Stettin haben wir es mit dem Auto glücklich geschafft, es gilt nur noch, das vorher gebuchte Hotel zu finden. Ich kurbele das Fenster hinunter und spreche deswegen die vier jungen Männer an, die da fröhlich über die Straße gehen. Einer von ihnen steckt seinen Kopf durchs Fenster, wobei eine merkliche Schnapsfahne hineinweht, und gibt freundlich Auskunft. Die polnischen Worte werden von uns zwar nicht verstanden, aber die Hände reden deutlich, man müsse nur noch um zwei Ecken fahren. Zur gut gemeinten Völkerverbrüderung will er mir durchaus ein Küßchen geben. In einer gewissen Panik drehe ich das Fenster hoch, so daß der sich immer schräger neigende Männerkopf fast eingeklemmt wird. Während sein Mund schmatzende Geräusche von sich gibt, bleibt für mich der gewünschte Sicherheitsabstand erhalten. Schnell befreie ich ihn, und während ich Gas gebe, sehe ich im Rückspiegel, wie er mit einer Hand den leicht verrenkten Hals reibt und mit der anderen Küßchen nachwirft. "Ja, unter 80 ist kein junges Mädchen sicher!" ist der Kommentar meines Mannes.

Die strenge Überwachung des Hotelparkplatzes liegt in den Händen von Kazcmarek. Auf die Frage, ob das wirklich sein richtiger Name sei, erklärt er, er sei darauf sehr stolz. Kaiser Wilhelm II. habe seinerzeit das Regiment Kazcmarek besonders gelobt. Seine Augen bekommen Glanz, und er strafft sich von Kopf bis Fuß. Zack! Zack! Fast erwarten wir, daß er die Hacken zusammenknallen würde. Wie man sich doch irren kann! Von klein auf war ich der Meinung, Kazcmarek sei die Bezeichnung für jeden gutmütigen Mann, dem nur einfachste Arbeiten zuzutrauen sind.

Beim Bummel durch Stettin begegnen wir im Zentrum am Oderufer einer deutschen Reisegruppe. Neugierig schließen wir uns ihnen an. Als der Stadtführer uns zweifelnd ansieht, ob wir auch wirklich zu seiner Gruppe gehören, erwidern wir seinen Blick treuherzig und hören noch ein wenig seinen Erklärungen über das Getreidesilo zu: auf "Moorenland" gebaut, insgesamt 13 Stockwerke hoch, davon 3 Stockwerke unter "Tafelwasser".

In Allenstein werden wir liebenswürdig von der blonden, überaus gut proportionierten Emfangsdame an der Rezeption begrüßt. Förmlich wie ein Geschenk erhalten wir die Mitteilung, daß weiterhin schönes Wetter für die kommenden Tage "planiert" sei.

Am nächsten Tag nehmen wir an einer Omnibus- und nachfolgender Schiffahrt über die Geneigte Ebene teil. Der vom Hotel bestellte Begleiter ist klein, grauhaarig und hat ein lückenhaftes Gebiß, das er durch stetes Lächeln jedermann darbietet. Für seine Aufgabe ist er gut vorbereitet. Er spricht über Tannenberg und daß nach der Niederlage der russischen Narew-Armee im August 1914 ihr Befehlshaber Selbstmord "bestanden" hat. Auch auf dem Schiff versucht er alles genau zu erklären: Das Wasser wird in großen Bassins "angespeichelt", um mit der gewonnenen Energie die Schiffe über die Anhöhen zu transportieren.

Als wir bei einem späteren Ausflug an einem geschlossenen Bahnübergang warten müssen, kommt ein Jüngling mit Plastiktüte ganz aufgeregt zu unserm Wagen: "Deutsch?" – "Ja." – "Oh, ich liebe Deutsch!" Wir halten ihn für einen lästigen Anhalter und drücken vorsichtshalber die Türverriegelung runter und versuchen ihm durch den Fensterspalt zu erklären, daß wir keinen Platz hätten. Enttäuscht kommt die Frage: "Nicht deutsch?" – "Ja, deutsch." Er strahlt und beteuert wieder: "Oh, ich liebe Deutsch!" Aus der Tasche zieht er ein blütenweißes, gebügeltes Taschentuch, spuckt kräftig darauf und fängt an, die Insektenreste von der Windschutzscheibe zu entfernen. Kein Einwand oder sogar Protest kann seine Arbeit stoppen, erst die sich in Bewegung setzende Wagenkolonne. Da er in die entgegengesetzte Richtung geht, sehen wir, daß er kein Anhalter ist, und unser abweisendes Verhalten tut uns leid, wir winken ihm zu, und glücklich winkt er zurück.

An einer Bucht des Mauersees genießen wir in der Abenddämmerung ein unwirklich schönes Froschkonzert – wie von einem Posaunenorchester voller Harmonie. Ein Mann kommt näher und hängt sich neben uns über das Brückengeländer. Er erzählt, daß er als junger Mann von den deutschen Soldaten mitgenommen wurde und im Ruhrgebiet gearbeitet hat. Es seien die schönsten Jahre seines Lebens gewesen. Als nach seiner Rückkehr Bauernhöfe an Ehepaare vergeben wurden, hat er geheiratet. Der Hof wurde ihm aber wieder weggenommen, weil seine Frau ihn verlassen und sich einen neuen Mann "gekauft" habe. Nun besitze er gar nichts mehr. Sein Blick wird auf einmal klar und unendlich traurig, als er zum wolkenlosen Himmel hochsieht. Gnädig senkt sich dann aber der Alkoholschleier wieder darüber, er zuckt mit den Schultern und lächelt.

Die letzte Nacht vor der Heimfahrt wollen wir möglichst nahe der Grenze verbringen. Die Unterkunft in Wiebodzin sieht so wenig vertrauenserweckend aus, daß uns Sorge um unsern Wagen beschleicht. Zum Glück liegt das Hotelzimmer auf der Seite des Hofes, der auch als Parkplatz dient. Das Auto stellen wir dicht an die Hauswand und vereinbaren, daß abwechselnd einer schläft und der andere am Fenster auf mögliche Diebe aufpaßt. Eine sehr rundliche Matka, von einem Schwarm Kindern umgeben, macht uns verständlich, daß sie Wache halten werde. Egal, um welche Zeit wir aus dem Fenster sehen, stets entdecken wir auf dem Hof plazierte Kinder und die patroullierende, mit Respekt einflößendem Knüppel bewaffnete Mutter. Beruhigt schlafen wir schließlich beide. Morgens schütten wir dankbar alles noch vorhandene polnische Geld in die aufgehaltene Schürze unserer Beschützerin.

 

Günter Hagner: Träumen

Träumen

Von GÜNTER HAGNER

Schimmernde Schemen

gleiten vorüber,

bilden Bilder

geschlossenen Auges,

fliegen flatternd

hinauf und hernieder,

wandern, sich wechselnd,

in stetigem Laufe.

Was du so siehst

in schläfrigem Schlummer

mag mögend dich friedlich erfreun.

Fern sei dir Chaos und Kummer,

Angstqual und bittere Pein.

Erfrischet erwache

aus Träumen erquickt,

des Tages Augenschein

hat dich wieder.

Suchst du dir

bleibende Bilder zurück?

Vergebens, vergessen,

sie kehren nicht wieder.

 

Begegnungen auf einer Reise
Von MARGOT KOHLHEPP

Bis Stettin haben wir es mit dem Auto glücklich geschafft, es gilt nur noch, das vorher gebuchte Hotel zu finden. Ich kurbele das Fenster hinunter und spreche deswegen die vier jungen Männer an, die da fröhlich über die Straße gehen. Einer von ihnen steckt seinen Kopf durchs Fenster, wobei eine merkliche Schnapsfahne hineinweht, und gibt freundlich Auskunft. Die polnischen Worte werden von uns zwar nicht verstanden, aber die Hände reden deutlich, man müsse nur noch um zwei Ecken fahren. Zur gut gemeinten Völkerverbrüderung will er mir durchaus ein Küßchen geben. In einer gewissen Panik drehe ich das Fenster hoch, so daß der sich immer schräger neigende Männerkopf fast eingeklemmt wird. Während sein Mund schmatzende Geräusche von sich gibt, bleibt für mich der gewünschte Sicherheitsabstand erhalten. Schnell befreie ich ihn, und während ich Gas gebe, sehe ich im Rückspiegel, wie er mit einer Hand den leicht verrenkten Hals reibt und mit der anderen Küßchen nachwirft. "Ja, unter 80 ist kein junges Mädchen sicher!" ist der Kommentar meines Mannes.

Die strenge Überwachung des Hotelparkplatzes liegt in den Händen von Kazcmarek. Auf die Frage, ob das wirklich sein richtiger Name sei, erklärt er, er sei darauf sehr stolz. Kaiser Wilhelm II. habe seinerzeit das Regiment Kazcmarek besonders gelobt. Seine Augen bekommen Glanz, und er strafft sich von Kopf bis Fuß. Zack! Zack! Fast erwarten wir, daß er die Hacken zusammenknallen würde. Wie man sich doch irren kann! Von klein auf war ich der Meinung, Kazcmarek sei die Bezeichnung für jeden gutmütigen Mann, dem nur einfachste Arbeiten zuzutrauen sind.

Beim Bummel durch Stettin begegnen wir im Zentrum am Oderufer einer deutschen Reisegruppe. Neugierig schließen wir uns ihnen an. Als der Stadtführer uns zweifelnd ansieht, ob wir auch wirklich zu seiner Gruppe gehören, erwidern wir seinen Blick treuherzig und hören noch ein wenig seinen Erklärungen über das Getreidesilo zu: auf "Moorenland" gebaut, insgesamt 13 Stockwerke hoch, davon 3 Stockwerke unter "Tafelwasser".

In Allenstein werden wir liebenswürdig von der blonden, überaus gut proportionierten Emfangsdame an der Rezeption begrüßt. Förmlich wie ein Geschenk erhalten wir die Mitteilung, daß weiterhin schönes Wetter für die kommenden Tage "planiert" sei.

Am nächsten Tag nehmen wir an einer Omnibus- und nachfolgender Schiffahrt über die Geneigte Ebene teil. Der vom Hotel bestellte Begleiter ist klein, grauhaarig und hat ein lückenhaftes Gebiß, das er durch stetes Lächeln jedermann darbietet. Für seine Aufgabe ist er gut vorbereitet. Er spricht über Tannenberg und daß nach der Niederlage der russischen Narew-Armee im August 1914 ihr Befehlshaber Selbstmord "bestanden" hat. Auch auf dem Schiff versucht er alles genau zu erklären: Das Wasser wird in großen Bassins "angespeichelt", um mit der gewonnenen Energie die Schiffe über die Anhöhen zu transportieren.

Als wir bei einem späteren Ausflug an einem geschlossenen Bahnübergang warten müssen, kommt ein Jüngling mit Plastiktüte ganz aufgeregt zu unserm Wagen: "Deutsch?" – "Ja." – "Oh, ich liebe Deutsch!" Wir halten ihn für einen lästigen Anhalter und drücken vorsichtshalber die Türverriegelung runter und versuchen ihm durch den Fensterspalt zu erklären, daß wir keinen Platz hätten. Enttäuscht kommt die Frage: "Nicht deutsch?" – "Ja, deutsch." Er strahlt und beteuert wieder: "Oh, ich liebe Deutsch!" Aus der Tasche zieht er ein blütenweißes, gebügeltes Taschentuch, spuckt kräftig darauf und fängt an, die Insektenreste von der Windschutzscheibe zu entfernen. Kein Einwand oder sogar Protest kann seine Arbeit stoppen, erst die sich in Bewegung setzende Wagenkolonne. Da er in die entgegengesetzte Richtung geht, sehen wir, daß er kein Anhalter ist, und unser abweisendes Verhalten tut uns leid, wir winken ihm zu, und glücklich winkt er zurück.

An einer Bucht des Mauersees genießen wir in der Abenddämmerung ein unwirklich schönes Froschkonzert – wie von einem Posaunenorchester voller Harmonie. Ein Mann kommt näher und hängt sich neben uns über das Brückengeländer. Er erzählt, daß er als junger Mann von den deutschen Soldaten mitgenommen wurde und im Ruhrgebiet gearbeitet hat. Es seien die schönsten Jahre seines Lebens gewesen. Als nach seiner Rückkehr Bauernhöfe an Ehepaare vergeben wurden, hat er geheiratet. Der Hof wurde ihm aber wieder weggenommen, weil seine Frau ihn verlassen und sich einen neuen Mann "gekauft" habe. Nun besitze er gar nichts mehr. Sein Blick wird auf einmal klar und unendlich traurig, als er zum wolkenlosen Himmel hochsieht. Gnädig senkt sich dann aber der Alkoholschleier wieder darüber, er zuckt mit den Schultern und lächelt.

Die letzte Nacht vor der Heimfahrt wollen wir möglichst nahe der Grenze verbringen. Die Unterkunft in Wiebodzin sieht so wenig vertrauenserweckend aus, daß uns Sorge um unsern Wagen beschleicht. Zum Glück liegt das Hotelzimmer auf der Seite des Hofes, der auch als Parkplatz dient. Das Auto stellen wir dicht an die Hauswand und vereinbaren, daß abwechselnd einer schläft und der andere am Fenster auf mögliche Diebe aufpaßt. Eine sehr rundliche Matka, von einem Schwarm Kindern umgeben, macht uns verständlich, daß sie Wache halten werde. Egal, um welche Zeit wir aus dem Fenster sehen, stets entdecken wir auf dem Hof plazierte Kinder und die patroullierende, mit Respekt einflößendem Knüppel bewaffnete Mutter. Beruhigt schlafen wir schließlich beide. Morgens schütten wir dankbar alles noch vorhandene polnische Geld in die aufgehaltene Schürze unserer Beschützerin.

 

Träumen

Von GÜNTER HAGNER

Schimmernde Schemen

gleiten vorüber,

bilden Bilder

geschlossenen Auges,

fliegen flatternd

hinauf und hernieder,

wandern, sich wechselnd,

in stetigem Laufe.

Was du so siehst

in schläfrigem Schlummer

mag mögend dich friedlich erfreun.

Fern sei dir Chaos und Kummer,

Angstqual und bittere Pein.

Erfrischet erwache

aus Träumen erquickt,

des Tages Augenschein

hat dich wieder.

Suchst du dir

bleibende Bilder zurück?

Vergebens, vergessen,

sie kehren nicht wieder.