19.04.2024

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01.07.00 Erneut 70 000 Mann weniger: Das europäische Gleichgewicht ist gestört

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Juli 2000


Bundeswehr: "Weizsäcker-Papier" ist passé
Erneut 70 000 Mann weniger: Das europäische Gleichgewicht ist gestört
Von Generalmajor a. D. GERD H. KOMOSSA

Die Würfel sind gefallen. Nach dem Kabinettsbeschluß vom 14. Juni wird die Bundeswehr in Kürze erheblich kleiner sein. Sie schrumpft um rund 70 000 Mann auf 255 000 Soldaten, davon sollen 50 000 Mann für Krisenreaktion bereitgestellt werden.

An der Wehrpflicht wird vorerst festgehalten. Sie soll auf neun Monate abgesenkt und flexibel gestaltet werden. Das heißt: einige Monate – sechs oder fünf – dient der Soldat, lernt grüßen und marschieren, geht in seinen Beruf, macht wieder eine Übung, lernt wohl dann zu schießen, geht erneut in seinen Betrieb und übt wieder, wenn erforderlich. Solche Flexibilität hat nicht nur Vorteile für die Truppe, die Wirtschaft und für den einzelnen Menschen.

Nun hat der Bundestag das Sagen. Doch da SPD und CDU im Grundsatz nah beieinander liegen, kann diese nächste Bundeswehrstruktur wohl Wirklichkeit werden, auch wenn das letzte Wort hinsichtlich der Finanzierung nicht gesprochen ist. Ziel der Bundeswehrreform ist laut Rudolf Scharping eine leistungsfähigere und wieder voll bündnisfähige Armee, die den modernen Aufgaben gerecht werden soll. "Landesverteidigung ist in Zukunft immer Bündnisverteidigung", meint der Minister. Das wurde bisher von den Parteien anders gesehen. Da unser Land nun nicht von außen gefährdet erscheint, sind künftig deutsche Panzer nicht unbedingt in größerer Zahl erforderlich. Wenn überhaupt, dann eher solche, die für Lufttransport geeignet sind. Die Streitkräfte sollen beweglicher werden, leichter verfügbar und über große Entfernungen operieren können. Man kann es drehen wie man will, diese neue Armee wird eine andere sein als unsere Bundeswehr und in ein Expeditionskorps umfunktioniert sein.

Die FDP ist mit der Reform nicht ganz einverstanden und meldete Kritik an. Für sie ist der künftige Personalumfang der Bundeswehr noch zu hoch. Sie will noch mehr sparen. Zudem hält ihr Verteidigungsexperte Günther Nolting einen nur fünfmonatigen Wehrdienst für notwendig mit begrenzter militärischer Schulung an Waffen und Gerät, jedoch ohne taktische Ausbildung. Eine solche Armee wird wohl kaum leistungsfähiger sein als die heutige Bundeswehr.

Nach Überzeugung von SPD-Fraktionschef Peter Struck werden die Streitkräfte mit dem neuen Konzept wieder handlungsfähig sein. Zu fragen bleibt, ob denn diese unsere bisherige Bundeswehr nicht mehr handlungsfähig gewesen ist. Hat Berlin übertrieben, wenn es von der hohen Leistungsfähigkeit der Bundeswehr im Balkan-Einsatz berichtete, die die Anerkennung der Bündnispartner gefunden hat?

Der Bericht der Weizsäcker-Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" ist inzwischen Makulatur. Der Altbundespräsident warnte vor "Schnellschüssen" und die Bundesregierung tat genau das, was Weizsäcker nicht wollte. Die Ablösung von Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach hat sich als ein besonderes Signal bestätigt.

Diese neue Bundeswehr wird nicht nur 70 000 Soldaten weniger haben als heute, sie wird auch weniger Waffen in einen möglichen Einsatz bringen können. Zu prüfen bleibt wohl noch, ob durch die neue Struktur nicht das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Kontinent gestört wird. Nach dem zwischen Nato und Rußland ausgehandelten KSE-Vertrag zur Begrenzung der konventionellen Waffen sollte Deutschland als nationalen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der Balance über 3 444 Kampfpanzer verfügen, 3 281 Kampffahrzeuge, 2 255 Artilleriegeschütze und 765 Kampfflugzeuge. Vermutlich wird dies in der neuen Struktur nicht mehr möglich sein.