29.03.2024

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01.07.00 Die Memoiren eines "Offiziers im besonderen Einsatz"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Juli 2000


Schalck-Golodkowski erzählt ...
Die Memoiren eines "Offiziers im besonderen Einsatz"
Von Friedrich Wilhelm Schlomann

Er war zweifellos eine der schillernsten Personen des SED-Staates. Veröffentlichungen über ihn nach 1989 beschreiben ihn als den "größten gewerbsmäßigen Staatshehler", während andere ihn als "kaltschnäuzigen Finanzjongleur" titulieren; der Klappentext seines jetzigen Buches möchte ihn hingegen offenbar primär als "Geheimdiplomat auf gesamtdeutschen Parkett" gewertet sehen. Sein Buch (Alexander Schalck-Golodkowski "Deutsch-deutsche Erinnerungen", Rowohlt-Verlag, Reinbeck, 2000; 349 Seiten, 45 Mark) hätte also eigentlich größere Chancen gehabt, ein Bestseller zu werden. Es dürfte indes kaum dazu kommen: Denn verspricht er auch, darin die Wahrheit zu schreiben (er spricht allerdings vorsichtig "Meine Wahrheit"), so verschleiert seine Autobiographie doch mehr als daß sie enthüllt. Gewiß erhält der Leser an einigen – leider nicht vielen – Stellen gewisse Einblicke in die inneren Zirkel des Machtzentrums der DDR und auch in das dortige Wirtschaftssystem, aber es bringt kaum Neues. Zudem bleibt der Autor durchweg an der Oberfläche. Die nicht wenigen anekdotenhaften Schilderungen sind nett hinzunehmen. Doch das Wichtigste, die entscheidenden Punkte bleiben bedauerlicherweise ungeschrieben – obwohl dazu sehr vieles zu sagen wäre!

Als Schalck im Rang eines Oberstleutnants "Offizier im besonderen Einsatz" in direkter Anbindung an das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde, erfüllte ihn das nach seinen eigenen Worten "mit gewissem Stolz". Doch kann man ihm die Formulierung – die heutzutage wohl nach einer gewissen Entschuldigung klingen soll –, "Ich wußte vom MfS wenig", tatsächlich glauben? Erwartungsgemäß sucht der Leser im ganzen Buch vergebens von Verhaftungen politisch Andersdenkender, das Wort vom DDR-Zuchthaus Bautzen scheint er niemals gehört zu haben. In den Menschen, welche das ungeliebte Regime in Mitteldeutschland verlassen wollten (er tat es später selber!) sah er "einen Akt der Undankbarkeit", war ihr Weggang doch "ein volkswirtschaftlicher Verlust" – welche Gefühle diese Personen hatten, ihre Heimat zu verlassen, dafür hatte er "kein Verständnis". Besaß Schalck-Golodkowski kein Herz, konnte rein menschlich nicht tiefer nachdenken? Dafür gab es eigentlich mehr als genügend Anlässe! Doch den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 weiß er dann auch nur mit dem Satz zu beschreiben, "In mir blieb das Gefühl zurück, daß ich mich endgültig für die DDR und für die SED entschieden hatte und daß die Entscheidung richtig war."

Nach ihrer Phraselogie wollte die SED den "neuen Menschen" schaffen, welcher die Erfüllung seiner Wünsche im Sozialismus selbst findet und damit "das persönliche Profitinteresse", die "Konkurrenz um Karriere und Geld im Kapitalismus" überwindet, doch wo war der Unterschied zu dem verzweigten finanziellen Prämien-System der DDR? Der Autor sieht diesen Fehler in der Ideologie zwar, aber nimmt ihn hin, und all die Orden (die er stolz aufzählt im Buch), die pecuniären Vorteile sowie gerade auch das Honecker-Geschenk in Form eines Wochenendhauses sehr gerne und ohne irgendwelche Bedenken an.

Schön klingen die Ausführungen über seine Promotion: Es ist menschlich verständlich, wenn er auf dem Parkett des internationalen Handels mit Persönlichkeiten zusammentraf, die einen Doktortitel hatten, und dann für sich meint, "Ich wollte ihnen nicht nachstehen". Für "Linientreue" in der DDR gab es damals die sogenannte Doppel-Dissertation, bei der zwei Doktoranden gemeinsam eine Arbeit verfaßten. Viel Zeit hatte Schalck dafür nicht, obwohl das Thema "Zur Vermeidung ökonomischer Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich ,Kommerzieller Koordinierung’ des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR" seine tägliche Arbeit darstellte. Nach seinen Worten mußte die Dissertation natürlich "in den Kampf der Weltanschauungen eingebettet" sein – nach Ansicht bundesdeutscher Publizisten ist sie allerdings "in einem so schauderhaften Funktionärsdeutsch abgefaßt, mit so vielen sattsam bekannten Stereotypen kommunistischer Ideologie durchsetzt." Sieht die Doktorarbeit doch etwa auf Seite 41 das Ziel: "Dem Feind mit allen nur zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten, durch Anwendung seiner eigenen Methoden und Moralbegriffe, Schaden zuzufügen sowie die sich bietenden Möglichkeiten des feindlichen Wirtschaftspotentials zur allseitigen Stärkung der DDR voll zu nutzen." Der "Feind" war "natürlich" der freie Teil Deutschlands!

Und wenn man dem Buch die harmlos erscheinenden Worte entnehmen darf, Stasi-Minister Erich Mielke sei "unser offizieller Betreuer" gewesen, so hat er in Wahrheit die Dissertation offiziell abgenommen. Er, der weder einen Doktor- noch gar einen Professorentitel aufweisen kann! Daß gewiß aus diesem Grunde kein Exemplar der Dissertation archiviert wurde in der DDR, sondern zur "Geheimen Verschlußsache MfS 210-354/70" avancierte, hat der Autor wohl vergessen?

Seine Arbeit hieß "Koko" – "Kommerzielle Koordinierung", welche Devisen für Ost-Berlin zu erwirtschaften hatte und das mit sämtlichen nur möglichen Mitteln. Etwa mit Waffen und zwar – wie beim Beispiel Irak und Iran – bei beiden Seiten kriegsführender Länder. Dezember 1989 lagerten bei der "Koko"-Stelle IMES noch Waffen im Werte von über zwölf Millionen Mark, und noch Ende November (drei Tage vor seiner Flucht nach West-Berlin!) schrieb Schalck stolz an den DDR-Ministerratsvorsitzenden Modrow, für weitere 150 Millionen seien Geschäfte angebahnt! Seine Firma "Kunst und Antiquitäten" verkaufte derartiges "aus staatlichem Besitz" ins Ausland; oft, so räumt er ein, seien sie von DDR-Bürgern gekommen, die "Steuerhinterziehung" begangen hätten. Tatsache ist, daß viele Bewohner Mitteldeutschlands direkt zum Verkauf zu Billigpreisen gezwungen oder einfach enteignet wurden. Eine Antwort auf die Frage, wieso in Schalcks Berliner Haus (mit sieben Zimmern) sich Meißner Porzellan für 800 000 Mark, weit über 200 Gemälde und eine unbezahlbare russische Ikone befanden, erfährt der Leser in dem Buch leider, leider nicht ...

In einer ARD-Sendung vom 2. Januar 1991 hatte Schalck-Golodkowski sich über Strauß noch recht abfällig geäußert, er sah als dessen Motiv, jenen Milliarden-Kredit zu bewilligen, "persönliche Geltungssucht". Hat er in der Zwischenzeit seine Meinung so geändert? In seinem jetzigen Buch nämlich beschreibt er ihn recht positiv, dessen Ziel es war, politische Häftlinge in der DDR freizubekommen und die Grenze zur "alten" Bundesrepublik mit ihren Todesautomaten nicht ganz so grausam erscheinen zu lassen. Über das Motiv, auf diese Weise die DDR letztlich zu unterstützen und – kurzfristig – zu festigen, gibt es noch heute auch innerhalb der CSU recht unterschiedliche Ansichten: Manche glauben, er wollte nicht länger als "Kalter Krieger" diffamiert werden und der SPD/F.D.P.-Regierung mit ihren damaligen Krediten an Polen und Jugoslawien nacheifern.

Doch wer Strauß näher kannte, möchte zumindest eine andere Version nicht ausschließen: Ohne den Kredit wäre das Leben in Mitteldeutschland sehr schnell noch trister geworden und wären die Menschen wahrscheinlich auf die Straße gegangen (wie dann später 1989) – um wie am 17.6.1953 von Sowjetpanzern erneut erdrückt zu werden. Da der Westen nicht eingegriffen hätte, würde die DDR-Bevölkerung den Glauben an die Wiedervereinigung endgültig verlieren. Der Kredit sollte danach nur verzögern, letztlich Zeit gewinnen: Wahrscheinlich ahnte der "Löwe von Bayern" oder hoffte doch sehr stark, daß die Sowjetunion immer schwächer werden würde und eines Tages ihre Panzer dann nicht mehr gegen freiheitsliebende Deutsche rollen würden und ohne den sowjetischen Schutz die Einheit Deutschlands möglich sei. Einige Zeit-Kritiker meinen, Strauß hätte so weit nie gedacht. Wer will das wissen? Er hatte Visionen, und daß er das Ende der SED-Diktatur voraussah, betonte er bereits 1983 in aller Öffentlichkeit. Bedauerlicherweise geht der Autor darauf überhaupt nicht ein, allerdings wird Strauß bei all seiner Freundlichkeit Schalck als Abgesandten der DDR auch kaum seine Vorstellungen mitgeteilt haben!

Bis zuletzt hoffte jener, die DDR könne ihre Probleme lösen. August 1989 erklärte er: "Uns liefen die jungen Leute, uns lief die Zukunft davon … Die DDR war wie ein Dampfkessel vor der Explosion." Seine Schilderungen sind insofern interessant, als er eingestehen muß, "Wir waren weder über die Geschehnisse draußen wirklich orientiert noch in der Lage, sie realistisch einzuschätzen." Trotz seiner breiten Darlegung bleibt immer noch rätselhaft, warum er, – der doch bis zum bitteren Ende der DDR gläubig war und gewiß mehr als seine Pflicht tat – von den eigenen Genossen verhaftet werden sollte und – wie er schreibt – direkte Angst um sein Leben hatte.

An seinem letzten Tage in Ost-Berlin diktierte er noch einen Brief an das Mitglied des SED-Politbüro, Werner Eberlein – den Inhalt verschweigt er indes: Er offenbarte darin die "teilweise im Ausland angelegten Guthaben als letzte Einsatzreserve" 8,7 Milliarden Mark und 21 Tonnen Goldreserven. Sein letzter Dienst, so vermerkte eine Zeitung, ermöglichte der DDR die Zahlungsfähigkeit über die Währungsunion hinaus und den geordneten Einstieg der SED-Eliten ins neue Deutschland …

Kein einziges Wort findet sich im Buch über seinen Brief vom 2. Dezember 1989 an Modrow, "daß ich kurzfristig meinen Urlaub antreten möchte". Er beteuert darin, "Ich fahre nicht in die BRD, nach Westberlin oder NATO-Staaten. Ich bin und möchte Bürger unseres Staates sein und bleiben … Ich verspreche Dir und meinem Staat, daß ich gegenüber niemandem über meine Kenntnisse sprechen werde …" Nur wenige Stunden später waren er und seine Frau bereits nach West-Berlin geflüchtet!

Konnte man damals westdeutschen Zeitungen entnehmen, der Bundesnachrichtendienst hätte ihn aus der dortigen Untersuchungshaft herausgeholt, weil er selber am 20. Januar 1990 "zum ersten Mal mit zwei Beamten des BND" zusammengetroffen sein soll. Das klingt allerdings ziemlich unwahrscheinlich. Gut informierte Kreise munkeln sogar, Schalck sei bereits 1988 in der "alten" Bundesrepublik von Pullach angeworben worden und habe seitdem für den westdeutschen Geheimdienst gearbeitet – was dieser selbstverständlich energisch zu dementieren weiß.

Damals, direkt nach dem Ende der DDR, meinte Generalstaatsanwalt Prechtel nach Kenntnis der Akten noch, "Es wäre unerträglich, wenn er von der deutschen Justiz nicht belangt werden könnte". Tatsächlich aber bleiben nur zwei Verurteilungen wegen Verletzung der Bundesdeutschen Embargobestimmungen, und ungebeugt vermerkt der Autor, "Damit kann ich leben." Die Gründe – wie allerdings so manches unserer Justiz nach 1989/90 – sind unbekannt. Sorgenvoll – vielleicht übertrieben? – erhob ein Buch von den Autoren Wolfgang Seiffert und Norbert Treutwein die Frage, "Gibt es für jemanden im Westen Deutschlands Grund, Schalck zu schützen? Hat in Bonn vielleicht jemand ein Interesse daran, Schalck vor einem Prozeß zu bewahren? Weiß Schalck zuviel? Weiß er vor allem über amtierende Politiker Kompromittierendes, das nicht ans Licht soll?" Doch: Werden wir es je erfahren?

Seine eigene Rolle in der DDR wertet der Autor als "alles andere als rühmlich", doch ist von Reue nichts zu spüren. Sieht er sich doch – zumindest heute – in der Rolle eines bloßen Befehlsempfängers, des beinahe-entscheidungslosen Mitarbeiters, der stets nur seine Pflicht tat und immer anständig blieb – wie ja alle SED-Bonzen …