19.04.2024

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01.07.00 Anfang 1944 verbündeten sich polnische Untergrundverbände mit der Wehrmacht

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Juli 2000


Zweiter Weltkrieg: Der vergessene Pakt
Anfang 1944 verbündeten sich polnische Untergrundverbände mit der Wehrmacht
Von HANS-JOACHIM v. LEESEN

Eine Sensation für manche Medien, sicher auch ein Schock für viele, was die Zeitschrift "Osteuropa" vor wenigen Wochen ans Tageslicht beförderte:

Das Fachblatt veröffentlichte 22 Fernschreiben und Schriftstücke aus den Anfangsmonaten des Jahres 1944, aus denen hervorgeht, daß es intensive Verhandlungen zwischen lokalen Führern der polnischen im Untergrund tätigen Heimatarmee und der deutschen Wehrmacht bzw. der Sicherheitspolizei über eine mögliche Zusammenarbeit im Kampf gegen die Sowjets gab.

In der offiziellen heute in Deutschland geltenden Betrachtungsweise geht man davon aus, daß die Sowjetunion (wie auch ihre Verbündeten, die USA, Großbritannien und Frankreich) am Kriegsende von den ostmitteleuropäischen Völkern ausschließlich als "Befreier" begrüßt und nach Kräften unterstützt wurde. Da mußte es verblüffen, daß offenbar führende Persönlichkeiten der nationalpolnischen Untergrundarmee zeitweise bereit waren, mit den deutschen Streitkräften zusammenzuwirken gegen die von ihnen als gefährlicher für die Existenz Polens eingeschätzte Rote Armee, die sich den polnischen Grenzen näherte. Nachdem im September 1939 der Widerstand der polnischen Armee durch deutsche und sowjetische Truppen gebrochen, die Masse der polnischen Soldaten in deutsche und sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, interniert worden waren, wurde in einem deutsch-sowjetischen Abkommen der polnische Staat für aufgelöst erklärt. Der polnische Staatspräsident sowie das Kabinett waren zuvor ins noch neutrale Rumänien übergetreten und dort interniert. Polen wurde zwischen Deutschland und der UdSSR aufgeteilt. Einen Waffenstillstandsvertrag oder gar einen Friedensvertrag mit Polen gab es nicht. Schon am 30. September 1939 bildete sich in Paris eine polnische Exilregierung unter General Sikorski.

Polen wurde von den deutschen Besatzungstruppen nur schwerpunktartig besetzt, vor allem nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges. In den großen freien Räumen bildeten sich sehr rasch Ansätze zu einer polnischen Untergrundarmee, die nationalpolnische Ziele verfolgte. Die deutsche Besatzungspolitik, die zunächst vor allem aus Unterdrückung bestand, bot einen guten Nährboden dafür, daß immer mehr Polen sich der Widerstandsbewegung anschlossen.

Nachdem sich jedoch die Wehrmachtführung, beispielhaft hier die Generäle Ulex und Blaskowitz, gegen eine reine Unterdrückungspolitik gegen Polen gewandt hatte, erkannte selbst Generalgouverneur Frank im Juli 1943, welche gravierenden Fehler die deutsche Polen-Politik aufwies. Er faßte zusammen: "Was im Laufe der Geschichte des polnischen Volkes, was selbst in den ersten Jahren der deutschen Herrschaft nicht möglich war, nämlich die Herbeiführung einer auf ein einheitliches Ziel ausgerichteten und innerlich auf Gedeih und Verderb zusammenhaltenden Volksgemeinschaft, droht nun durch die deutschen Maßnahmen langsam aber sicher Wirklichkeit zu werden."

Die ganz Polen erfassende antideutsche Haltung wurde auch nicht dadurch umgelenkt, daß im Frühjahr 1943 in Katyn die Gräber von vielen tausend von den Sowjets ermordeten polnischen Offizieren gefunden wurden. Den Polen wurde dadurch nur um so deutlicher, was sie nach einem eventuellen Sieg der Sowjetunion und ihrer westlichen Verbündeten zu erwarten hatten.

Die polnische Untergrundarmee wuchs weiter an. Sie war wohlorganisiert und stand in regelmäßiger Nachrichtenverbindung mit der nun in London residierenden Exilregierung.

Mit der sich abzeichnenden Wende im deutsch-sowjetischen Krieg stellte sich die Frage, wie sich die polnische Heimatarmee verhalten sollte, wenn die Sowjettruppen die polnische Grenze überschreiten sollten. Die deutsche Seite wiederum fragte sich, ob es Möglichkeiten gäbe, die nationalen Polen angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden brutalen sowjetischen Politik zum gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus zu gewinnen.

Seit Herbst 1943 hatten Polenexperten des Reichssicherheitshauptamtes mit Duldung Himmlers, aber ohne Wissen Hitlers, mit einigen in deutscher Gefangenschaft befindlichen hohen Offizieren der polnischen Heimatarmee über einen gemeinsamen antibolschewistischen Kampf verhandelt. Zu den wichtigsten Verhandlungsführern gehörte der 1943 von der Wehrmacht in Polen gefangen genommene Stefan "Grot" Rowecki, der als Chef der Heimatarmee vor seiner Gefangennahme einen Plan ausgearbeitet hatte, der unter dem Namen "Burza" (= Gewittersturm) bekannt wurde. Danach sollte beim Annähern der Roten Armee an die polnische Ostgrenze stufenweise ein gegen die Deutschen gerichteter Aufstand ausgelöst werden. Abschnittsweise und im Osten beginnend sollten die Einheiten der nationalpolnischen Heimatarmee losschlagen, um beim Einmarsch der Roten Armee die von polnischen Kräften eroberten Gebiete zu übergeben. Um das durchzuführen, benötigten die Polen jedoch eine erhebliche Verstärkung des Nachschubs an Waffen und anderem Kriegsmaterial durch die Westmächte aus der Luft. Wie man sich den Sowjetverbänden gegenüber verhalten sollte, das wurde bei den nationalen Polen durchaus unterschiedlich beurteilt. Als der Chef der Exilregierung in London verfügte, die Heimatarmee habe die Rote Armee als Verbündeten zu behandeln und dürfe gegen sie nicht zum Kampf antreten, kam bei den Warschauer Untergrundkämpfern heftiger Widerspruch auf. Deren Skepsis wurde bestätigt, als Anfang 1944 sowjetische Einheiten polnisches Gebiet erreichten und in vielen Fällen die Führer der polnischen Heimatarmee kurzerhand erschossen. Abteilungen der Heimatarmee wurden zwar auf Seiten der Sowjetarmee eingesetzt, doch ließ man sie in der Regel zu Himmelfahrtskommandos antreten, indem man ihnen im entscheidenden Moment die Unterstützung versagte und sie so "verheizte".

Während die im Herbst 1943 geführten Verhandlungen des Reichssicherheitshauptamtes mit gefangenen hohen polnischen Offizieren in Deutschland ohne Ergebnis geblieben waren, stellte sich die Lage Anfang 1944 an der Front ganz anders dar. Im Gebiet um Wilna, einer Stadt, die sowohl von Litauern als auch von Polen beansprucht wurde, kamen seit Anfang Januar 1944 etwa 12 500 Angehörige der polnischen Heimatarmee zum Einsatz gegen deutsche Truppen, stießen indes auch mit litauischen Sicherungskräften zusammen. Inzwischen hatte aber die Sowjetunion in Polen sowjettreue Partisanengruppen gebildet, wenn sie auch personell viel schwächer waren als die nationalpolnischen. Über diese Situation berichtet nun die Zeitschrift "Osteuropa" durch die Veröffentlichung der 22 Fernschreiben und Briefe, die zwischen dem Kommandeur der Sicherheitspolizei in Litauen, dem SS-Oberführer und Oberst der Polizei, Dr. Fuchs, dem Beauftragten für den Sicherungseinsatz Ostland, der Sicherheitspolizei in Minsk usw. einerseits sowie dem SS-Reichssicherheitshauptamt und anderen zuständigen Stellen andererseits ausgetauscht wurden.

Am 18. 1. 1944 wurde berichtet, daß seit Mitte September 1943 im Wilna-Gebiet Einheiten der nationalpolnischen Heimatarmee (in der Terminologie des Dritten Reiches "jüdisch-kommunistische Banditengruppen") auf sowjetische Partisanengruppen (in der damaligen Ausdrucksweise "weißpolnische Banden") gestoßen seien, "wobei Juden und Kommunisten erschossen wurden. Verwundete rote Banditen wurden ausnahmslos (von der nationalpolnischen Heimatarmee) liquidiert … Am 12. 11. 43 überfiel die weißpolnische Bande ein kommunistisches Bandenlager … Am 19. 11. 43 wurden … 20 Juden erschossen und verbrannt." Die Nationalpolen traten nach den Berichten auf litauischem Gebiet diszipliniert auf und konnten sich die Sympathie in der Zivilbevölkerung erwerben. "Gegen die deutschen Wehrmacht- und Polizeiverbände treten die Polen nur dann feindlich auf, wenn sie angegriffen werden … Zur Zeit sind Bemühungen ingange, mit einer Bandengruppe … Verhandlungen anzuknüpfen. Ich verspreche mir (so der Kommandeur der Sicherheitspolizei, Dr. Fuchs) von den Vereinbarungen, welche von den polnischen aufständischen Offiziere nach bisheriger Erfahrung strikt eingehalten werden, eine Befriedung des Wilnaer Gebietes und insbesondere eine Unterbindung der zahlreichen Sprengstoffanschläge auf die Eisenbahnverbindungen Generalgouvernement – Mittleres Heeresgebiet."

Drei Wochen später berichtet er von weiteren Kämpfen zwischen Nationalpolen und "bolschewistisch-jüdischen Banden, die dabei stets erhebliche Verluste erlitten". Und weiter: "Anfang Januar 44 versuchten erstmalig die Führer der polnischen Banden (gemeint ist die Heimatarmee) mit amtlichen deutschen Stellen in Verbindung zu treten", wobei sie der deutschen Stelle erklärten, sie handelten "nach den Befehlen der Londoner Exil-Regierung". Da, wie Dr. Fuchs schreibt, deutsche Kräfte für die Bekämpfung der kommunistischen Partisanen nicht zur Verfügung stünden, habe er sich entschlossen, mit den Führern der polnischen Heimatarmee auf deren Ersuchen in Verbindung zu treten.

Tatsächlich kommt es zu Vereinbarungen, nach denen sich die nationalpolnischen Einheiten verpflichten, kommunistische Partisanen zu bekämpfen. Dafür erhalten sie von deutscher Seite Munition und Medikamente. Ihre Schwerverwundeten sollen in deutschen Lazaretten versorgt werden. Am 16. 2. 1944 soll ein Burgfrieden beginnen. Die deutschen Bedingungen an die Heimatarmee: die Ostlandbetriebe sollen weiterhin ihre Lieferungen an die Wehrmacht und nach Deutschland abwickeln und der Arbeitseinsatz polnischer Arbeitskräfte im Deutschen Reich ist sicherzustellen.

Die polnische Seite sagte zunächst zu, mit 18 Infanteriebataillonen, davon die Hälfte motorisiert, und zwölf Schwadronen Kavallerie unter deutscher Führung gegen sowjetische Partisanen kämpfen zu wollen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung in einem der Dokumente, der Reichsführer SS Himmler habe vorher Verhandlungen zwischen Deutschen und Nationalpolen abgelehnt mit der Begründung, "daß mit Slawen kein Pakt geschlossen werden kann". In der Praxis setzten sich die deutschen Kräfte darüber hinweg, da nun "jedes Mittel recht ist, um Befriedung herbeizuführen", und daß nun die Hoffnung bestehe, daß "die Sowjetgefahr uns die Polen in die Arme treibt."

Die Verhandlungen werden, wie die polnischen Verhandlungsführer durchblicken lassen, auf eigene Faust geführt. In einem Fernschreiben vom 25. 2. 44 berichtet die deutsche Seite, es habe sich bei den Verhandlungen "gezeigt, daß die Anführer (der Heimatarmee) auch unter dem Druck der Mannschaftsstimmung, die eher zu Deutschland als zu den Sowjets neigt, im Interesse einer Abwendung der erneuten Versklavung durch Sowjets bzw. Russen unter Verzicht auf politische Augenblicksforderungen zu einem gemeinsamen Kampf gegen die sowjetischen Banden und die von ihnen ausgehende Ausplünderung und Terrorisierung des polnischen Siedlungsraumes bereit waren. Die Banden stehen … seit acht Wochen in z. T. heftigsten Kämpfen gegen Sowjet-Banden und haben sich gut geschlagen."

Aber am 11. 3. 44 teilt der Kommandeur der Sicherheitspolizei Litauen mit, die Polen hätten "von der Warschauer Zentrale Weisung erhalten, die Verhandlungen mit den deutschen Stellen abzubrechen und bis auf weiteren Befehl die Feindseligkeiten gegen die bolschewistischen Banden einzustellen".

Anfang August 1944 bricht dann in Warschau der Aufstand der nationalpolnischen Heimatarmee aus, die auf verlorenem Posten steht, da sie sowohl von Großbritannien und den USA im Stich gelassen wird als auch von der an der Stadtgrenze Warschaus verharrenden Roten Armee. Weil der Verlust Warschaus die Verbindung zu der ostwärts Warschaus kämpfenden 9. deutschen Armee zerrissen hätte, entschloß sich die deutsche Führung, den Aufstand mit allen Mitteln niederzuschlagen. Nach zwei Monaten erbitterter Kämpfe mußten die Aufständischen kapitulieren. Sie gingen unter ihrem Oberbefehlshaber, General "Bor" Komorowski, in deutsche Kriegsgefangenschaft. Ein tragisches Kapitel deutsch-polnischer Geschichte war zu Ende.