28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.08.00 Wenn die Sense sang

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. August 2000


Wenn die Sense sang
Von GÜNTER SCHIWY

Das masurische Walddorf Kreuzofen hatte 511 Einwohner, die in 117 Haushaltungen lebten. Von den 117 Haushaltungen besaßen 88 Eigentümer Land, auf dem sie wechselweise zur Hälfte Winterroggen und zur Hälfte Winterkartoffeln anbauten. 23 Landwirte besaßen ein oder zwei Pferde, mit denen sie ihren eigenen Acker und den der restlichen 65 Nebenerwerbslandwirte bestellten.

37 Familien hatten mindestens 1 Kuh. Insgesamt waren es 90 Kühe. Infolgedessen brauchten die Kuhhalter im Winter nicht nur das Heu, sondern für das Kraftfutter auch Stroh, das zu Häcksel zerkleinert wurde. Im Winter, wenn die Kuh Milch gab, mußte sie hin und wieder Kraftfutter bekommen, das aus Häcksel mit Rüben und Kleie bestand.

Die Felder der Kreuzofener Landwirte und Kätner lagen unmittelbar um das Dorf oder auf den Wiesenniederungen am Niedersee zur Försterei Seehorst und hießen Olßynkä, Jeleny Rog, Less, Grondczik, Parowu, Woka und Pranie. Weitere Kreuzofener Äcker befanden sich auf den Niederungswiesen Swary, Bjäwafkä, Läsarsch, Malonkä, Pulefka, Dembniak, Bhaseyka und Klinnzany, die recht guten Boden aufwiesen und im Kurwiener Fließ melioriert wurden.

Im Sommer, wenn die Ernte des Roggens im August einsetzte, wurden alle verfügbaren Arbeitskräfte gebraucht. Schon kurz vor dem Beginn der Roggenernte hörte man am Abend im Dorf das Dengeln der Sensen. In den Holzklotz wurde ein nach unten spitz verlaufender kleiner Amboß geschlagen, auf den die Schneide der Sense flach und gekonnt gelegt wurde. Mit der Spitze des Hammers wurde das Sensenblatt immer flacher ausgeklopft und abschließend die Schneide mit dem nassen Wetzstein abgezogen. Anschließend wurde sie mit einem Bügel aus trockenem Weidenholz oder Draht und mit Keilen am Sensenbaum festgemacht und gerichtet, um für den nächsten Tag in aller Frühe einsatzbereit zu sein.

Am nächsten Morgen, wenn die Sonne den Tau auf den Halmen getrocknet hatte, begann das Mähen des Kornfeldes. In der Regel war der erste Schnitter, der den anderen vorausging, der erfahrenste und kräftigste.

Unser Roggenfeld stand im Dorf hinter den Scheunen, nur wenige Meter von unserem Hof entfernt. Das Mähen übernahm Vater in einem kurzärmeligen weißen Hemd und mit einer Kopfbedeckung, Mutter band sich ein weißes Kopftuch um ihr Haar und trug eine langärmelige weiße Bluse, damit sie beim Raffen des Korns sich nicht die Arme zerstach.

Wenn Vater am Feld angekommen war, nahm er die Sense von seiner Schulter, die Mütze vom Kopf, schaute wie prüfend über das Kornfeld, schwieg einen Augenblick wie im Gebet und setzte dann die Sense zum ersten Schnitt an. Mutter ging einige Meter hinter ihm in gebückter Stellung, sammelte die Halme zu einer Garbe auf, drehte aus einigen Halmen ein Band und verknotete so die Garbe.

Wenn die Halme des Roggens aufrecht standen und Vater Schwade um Schwade rhythmisch niedermähte, dann sang die Sense im Takt. Mir wurde bei dem gekonnten Ausschreiten Vaters ganz feierlich ums Herz. Dann und wann griff Vater in seinen Köcher, benetzte den Wetzstein mit Wasser, stellte den Sensenstiel fest auf den Boden, nahm das Sensenblatt in die linke Hand und strich mit dem Wetzstein über die Schneide der Sense. Dabei fing Vater mit dem rechts und links abwechselnden Streichen hinten an, um bei der Spitze des Sensenblattes zu enden.

In der Regel wurde der Roggen bei herrlichstem Sonnenschein gemäht. Deshalb wurde es um die Mittagszeit recht heiß, so daß wir immer öfter zur Teeflasche griffen, um dann um so mehr zu schwitzen.

Vater ging Schritt um Schritt und Streifen für Streifen von einem Ende des Roggenfeldes zum anderen. Nachdem reichlich Garben auf dem Kornfeld lagen, habe ich sie in 12er Reihen mit der Schnittfläche gegeneinander hingelegt so daß stets 24 Garben auf einem Platz vorhanden waren.

Als Vater am Abend mit dem Mähen des Kornfeldes fertig war, haben wir die Garben zu Hocken in Zeltform zusammengestellt. An beiden Enden wurden die Hocken noch einmal festgebunden, so daß sie als Regenschutz dienten. Die Garben sollten vom Wind gut trocknen.

Wir Kinder haben die aufgestellten Hocken als Häuschen betrachtet, in denen man sich gut verstecken konnte. Das haben die Eltern nicht gern gesehen. Deshalb erzählten sie uns, daß die Roggenmuhme sich in den Hocken aufhalten würde, um die Kinder zu packen, wenn die Kornfelder abgemäht waren.

War der Roggen trocken, wurde das Pferd Peter vom Dorfschmied Konopka vor den Leiterwagen gespannt und das Getreide eingefahren. Zu unserer Scheune waren es nur wenige Meter. In der Scheune legten Mutter und ich die Reggengarben in das Fach ab. Die Garben konnten vom offenen Stall direkt auf den Dreschplatz der Tenne geworfen werden, damit Mutter und ich im Vorwege einige Garben mit dem Holzdreschflegel dreschen konnten, um frisches Brot zu backen.

Später im Herbst hat der Lohndrescher Johann Schiwy mit seiner Dreschmaschine unseren Roggen auf dem Hof gedroschen. Das Korn wurde dabei gleich sortiert. Als Saatroggen wurden die besten Körner genommen. Den restlichen Roggen fuhr Vater zur Einkaufsgenossenschaft nach Kurwien, wo er gegen Roggen- und Weizenmehl sowie Kleie eingetauscht wurde.

Nachdem der Roggen in die Scheune eingefahren war, habe ich anschließend das Feld abgeharkt. Das zusammengeharkte Getreide, Krummstroh genannt, brachte ich in Jutesäcken in die Scheune. Es wurde als erstes mit dem Holzdreschflegel auf der Scheunentenne gedroschen. Kein Roggenkorn durfte verlorengehen; denn Korn war Brot – und Brot ist uns heilig bis auf den heutigen Tag!

Die größeren Landwirte setzten bei uns im Dorf bei der Roggenernte bereits Selbstbinder ein, die das Mähen und Binden des Getreides übernahmen. In der Kriegszeit, als mein Vater im Felde war, hat mein Großvater Adolf Schiwy aus Groß Kurwien im Alter von 78 Jahren unser Roggenfeld gemäht. Er brauchte dazu zwei Tage und übernachtete bei uns.

Wenn ich heute an Kornfeldern vorbeikomme, auf denen das ausgedroschene Stroh verbrannt wird oder aber in sauberen großen Rollen daliegt, dann muß ich wehmütig daran denken, wie sich in den letzten Jahren die landwirtschaftliche Arbeit verändert und erleichtert hat. Das Verbrennen des Strohs tut weh, weil wir damals das Stroh für den Dung brauchten. Es war für uns auf den Sandböden sehr wertvoll!

Früher war es auf dem lande üblich – auch im Hochsommer – den Kachelherd mit Holz anzuheizen, wollte man warmes Wasser oder das Mittagessen haben. Mit dem Entfachen des Feuers begann am frühen Morgen der dörfliche Alltag. Erst nachdem man das Vieh versorgt hatte, setzte sich die Familie zum Frühstück an den Eichentisch, um anschließend aufs Feld oder auf die Wiesen zu gehen. Vor dem Menschen wurde zuerst das Tier versorgt .Es war ein Stück von uns und wurde wie ein wertvoller Schatz gehütet!