19.04.2024

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12.08.00 Warten auf Grün

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. August 2000


Warten auf Grün
Von WERNER HASSLER

Das Straßencafé liegt direkt an einer sehr belebten breiten Straße. Gedankenverloren rühre ich in meinem Getränk. Die Plätze sind fast alle besetzt. Jeder will die warmen Sonnenstrahlen im Freien genießen. Ich sehe mich um. Dort, vor mir an der Verkehrsampel, hat sich ein Menschenpulk angesammelt. Man wartet auf Grün. Dann wird man loseilen, und viele werden noch auf der Straße sein, wenn die Ampel längst wieder ihr warnendes Rot zeigt. Sie hat leider eine bedenklich kurze Phase. Aber jetzt greife ich nach meiner Zeitung.

Doch dann läßt mich ein Geräusch aufblicken. Am Nebentisch hat sich eine ziemlich extravagante Erscheinung niedergelassen. Über modische Frisuren mag man ja streiten, aber wenn bei einem jungen Mann noch drei verschiedenfarbige Haarsträhnen dazugegeben sind, finde ich das doch etwas übertrieben. An seinem linken Ohr baumelt ein übergroßer Reif. Sein Hemd trägt er lässig offen – vielleicht aber auch nur deswegen, um die ausgedehnte Tätowierung auf seiner Brust zeigen zu können. Dazu trägt er eine arg zerschlissene Hose. Nun gut, neulich habe ich mir ja sagen lassen müssen, das es Jeans in dieser Form und Art sogar zu kaufen gibt. Außerdem hat er noch einen Kopfhörer in einem Ohr und trommelt nach der Musik aus seinem Walkman im Takt auf der Tischplatte herum. Dazwischen nippte er ab und zu an seiner Cola.

In Gedanken schüttele ich den Kopf über diese sonderbare Erscheinung. Mein Blick geht weiter über die belebte Straße. Moment mal. Stand die alte Frau nicht vorhin schon im Menschenpulk vor der Ampel? Aber ja doch! Sie schien ziemlich eingeschüchtert, ja sogar verängstigt zu sein. Sie legte die rechte Hand schützend über die Augen und blickte angespannt zur Ampel hinauf. Aber meine Lektüre fesselt mich wieder, ich freue mich auf den Leitartikel.

Wieder stört mich der Typ vom Nachbartisch bei meiner Lektüre. Er ist aufgestanden und geht zielstrebig auf den Menschenpulk vor der Ampel zu. Er ergreift den Arm der alten Frau und redet mit ihr. Halt, denke ich, dieser Typ wird doch nicht etwa der alten Frau die Handtasche …?

Ich lege mein Blatt beiseite, um das ungleiche Paar nicht aus den Augen zu lassen. Wehe, wenn dieser Zottel eine Gemeinheit im Schilde führt – mit wenigen schnellem Sätzen hätte ich ihn gestellt!

Die Ampel zeigt Grün, das Laufen über die Straße beginnt. Behutsam führt der Typ die alte Frau über den Fahrdamm und verabschiedet sich auf der anderen Straßenseite mit einer leichten Verbeugung. Wenig später steuert er wieder seinem Tisch zu.

Er muß meine erstaunten Blicke bemerkt haben. Als ob er mir eine Erklärung schulde, breitet er die Hände zu einer Geste aus. "Wissen Sie, es macht ihr große Mühe, den Rinnstein hinunterzukommen, dazu die kurze Umschaltphase der Ampel, die alte Frau hat eben …"

Ich lächle dem Typ zu. Ein schöner Zug von Hilfsbereitschaft. Eigentlich ein netter Junge, der mit den farbigen Haarsträhnen, dem großen Reif im Ohr, mit dem offenen Hemd und …