19.04.2024

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19.08.00 UNTERHALTUNG

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. August 2000


UNTERHALTUNG
Ein reinigendes Gewitter
Von RENATE DOPATKA

Über ihnen leuchtete ein tiefblauer Sommerhimmel. So weit, so hoch, daß Thea beim Hinaufsehen fast ein wenig schwindlig wurde. Noch einmal unter diesem endlosen Himmel stehen zu dürfen, erschien ihr als spätes, kostbares Geschenk des Lebens. Bittersüß stieg es in ihrer Kehle auf und instinktiv griff sie nach der Hand ihrer Schwester, wie um sich zu vergewissern, daß dies alles Wirklichkeit war.

Trotz der heißen Mittagsstunde fühlte sich Lydias Hand kühl und trocken an, und auch ihre Augen spiegelten nichts von Theas eigener Hochstimmung wider. Eher störrisch denn begeistert blickte sie von der leichten Anhöhe zum waldumsäumten See hinunter.

Vor langer, langer Zeit hatte sie es kaum erwarten können, an schönen Sommertagen an eben diesen See zu radeln. Herrlich war es, sich nach dem Schwimmen erfrischt ins sonnenwarme Gras zu werfen oder mit den Nachbarskindern stundenlang durchs Unterholz zu kriechen und nach Beeren und Abenteuern zu suchen …!

Nun aber betrachtete Lydia den See auf eine Weise, die Thea ganz und gar nicht gefiel. Ernüchtert schaute sie ihre Schwester an, die, sorgfältig zurechtgemacht wie für einen Stadtbummel, stocksteif in der Gegend stand und wenig Neigung zeigte, sich auf einen anstrengenden Fußmarsch einzulassen, bloß um ganz gewöhnliches Wasser zu bestaunen! Alles machte ihr Sorge: der staubtrockene Feldweg, der zum Wald hinunterführte, würde sicher ihre ganze Kleidung verschmutzen …, außerdem wäre es viel zu schwül, um draußen herumzuwandern, und und und …

Thea holte tief Luft. Was erwartete sie eigentlich von Lydia? Tränen? Ekstatisches Entzücken? Angesichts der Landschaft, in der sie beide aufgewachsen waren, wäre eine solche Reaktion nicht weiter verwunderlich gewesen. Aber Lydia schien völlig unempfänglich für den besonderen Zauber dieses Ortes, dieser Stunde …

"Komm nur, es wird uns guttun, ein wenig zu laufen", sagte sie schließlich und hakte sich bei der jüngeren Schwester unter. "Wir können doch nicht nach Hause fahren, ohne unserer alten Badestelle guten Tag gesagt zu haben!"

"Wenn sie noch da ist", murmelte Lydia widerwillig. Und ärgerlich zog sie die Brauen zusammen, als der aufwirbelnde Sand unter ihren Füßen Rocksaum und Schuhe einstäubte …

Noch ehe sie den Wald erreichten, hörten sie den ersten Donnerschlag. Ganz plötzlich war Wind aufgekommen, und am Horizont, der eben noch in klarstem Blau geleuchtet hatte, türmten sich nun riesige Haufenwolken.

"Auch das noch!"

Zutiefst erschrocken, zerrte Lydia am Arm der Schwester: "Laß uns rasch umkehren! – Warum haben wir uns bloß nicht öfter umgeschaut!? Bei der ersten Wolke hätten wir schon zurücklaufen sollen!"

Einen Moment lang verspürte auch Thea heftiges Herzklopfen.

"Nein, wir kehren nicht um", erwiderte sie dann mit fester Stimme. "Hinter uns ist freies Feld, das bietet überhaupt keinen Schutz. Und du weißt doch: der Blitz schlägt in den höchsten Punkt ein, also wären wir die idealen Opfer. Nein, nein, nichts wie rein in den Wald! Wir kauern uns dort in eine Mulde und lassen das Gewitter einfach über unsere Köpfe hinwegziehen!"

Es war nur ein kurzes Wärmegewitter. Zwei-, dreimal zuckten noch Blitze vom Himmel, dann vernahmen die unter dichtem Strauchwerk kauernden Frauen nur noch das Rauschen des Regens. Während Lydia schützend die Handtasche über ihre Lockenpracht hielt und leise vor sich hin jammerte, versuchte Thea, die jetzt doch mit einigen Schuldgefühlen kämpfte, die Schwester ein wenig aufzumuntern: "Hörst du – der Regen läßt schon nach. Bestimmt kommt gleich die Sonne heraus. So war es damals im Sommer auch immer. Nach dem Regen kehrte die Hitze sofort zurück."

Sie behielt recht. Schnell klarte es wieder auf, erste Sonnenstrahlen rieselten durchs Blätterdach des Waldes, und die verstummten Vögel nahmen erneut ihren Gesang auf.

"Und wie würzig es nun duftet!", freute sich Thea, hielt dann aber betreten inne, als sie das ramponierte Äußere ihrer Schwester bemerkte. Ihr selbst hatte das Tröpfeln von den Bäumen nichts ausgemacht – mit den festen Wanderschuhen an ihren Füßen und der praktischen Kurzhaarfrisur war sie für alle Wetterunbilden gerüstet. Von Lydias eleganter Aufmachung war dagegen wenig übriggeblieben. Nicht nur, daß ihr Locken jetzt in laschen Strähnen herunterhingen, auch die Riemchen ihrer Sandalen waren in Auflösung begriffen.

"Du willst bestimmt sofort ins Hotel zurück …?", murmelte Thea verlegen.

"Ohne dem See guten Tag gesagt zu haben –?", erinnerte Lydia und in Theas Ohren klang es wie reiner Hohn.

Zu ihrer Überraschung übernahm Lydia nun tatsächlich die Führung. Als hätte das Gewitter sie mit neuer Energie versorgt, schritt sie trotz ihres durchweichten Schuhwerks zielbewußt voran.

Und dann schimmerte es plötzlich silbrigblau durch die Bäume. Noch bewegt vom vorausgegangenen Unwetter, lag der See in vertrauter Schönheit vor ihnen da.

Während Thea überwältigt stehenblieb, streifte Lydia mit jäher Entschlossenheit Schuhe und Strümpfe von den Füßen.

"Zurück geh’ ich barfuß!", verkündete sie lauthals, raffte ihren Rock zusammen und stakste aufs Wasser zu. Kurz bevor ihre Zehen ins heimatliche Naß eintauchten, drehte sie sich um und blinzelte Thea mit der schalkhaften Fröhlichkeit eines jungen Mädchens zu: "Eins hab’ ich nie vergessen – daß ich stets die erste im Wasser war …!"

Ein ganz besond’res Land
von GERT O. E. SATTLER

Ein Land wie jedes andre
und doch ein and’res Land.
Es rollt der Bernstein, flutbewegt,
zum steilen Klippenrand.
Ein Ort wie jeder andere
und doch ein and’rer Ort.
Es röhrt der Elch am hellen Tag
im Dickicht, hier und dort.
Ein Licht wie jedes andere
und doch ein and’res Licht,
das hell, durch ungezählte Seen,
aus Federwolken bricht.
Ein Land wie jedes andere,
bekannt und unbekannt,
und doch, durch seinen Werdegang,
ein ganz besond’res Land.