20.04.2024

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19.08.00 Mehrere Kilometer lange Sperrzonen breiten sich auf beiden Seiten der Hohen Düne aus

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. August 2000


Mehrere Kilometer lange Sperrzonen breiten sich auf beiden Seiten der Hohen Düne aus

Viel hat die Hohe Düne erlitten, viel hat sie selber angerichtet; aber was jetzt mit ihr passiert, das hat es in ihrem bewegten Leben noch nicht gegeben: Stacheldraht zerreißt sie an ihrer höchsten und schönsten Stelle, trennt die europäische Sandwüste in zwei feindliche Hälften, teilt damit nicht nur ein einzigartiges Stück Natur und sperrt den herrlichsten Naturpfad unserer Zonen, sondern zerstört auch die Hoffnung auf ein baldiges Zusammenwachsen einer veränderten Welt.

Hier war der Punkt, wo Wilhelm von Humboldt die Kurische Nehrung in den Rang von Italien und Spanien erhob, da unzählige Wanderer vom Glücksgefühl überwältigt wurden. Wo der "Reiseführer von Anno dazumal – Die Kurische Nehrung" notierte: "Das Panorama der mächtigen Hohen Düne, welches der tiefergriffene Wanderer hier oben in sich aufnimmt, ist so märchenhaft schön, daß es weit und breit seinesgleichen sucht."

Tausende zogen in Jahrhunderten über die Düne, und sie selbst unter ihnen unentwegt nach Osten. Sie taten sich nichts zuleide; sie gehörten zusammen. Und welch ein wunderbares Erlebnis nach Jahren des Ausgesperrtseins in der Nachkriegszeit, diesen Höhenweg endlich erneut genießen zu können! Es war mehr als ein Wiedersehen; es war das Geschenk des Schöpfers mit seiner kostbaren Schöpfung.

Aber heute! Vom Haff bis an die Ostsee reicht der Stacheldrahtzaun. Wer aufmerksame Augen hat, kann ihn am ersten litauischen Schlagbaum (wenn er von Süden kommt) erkennen. Nicht sehen kann er seinen Anfang kurz vor dem Grabschter Haken und sein Ende an der Vordüne beim Meer.

Damit nicht genug: Beiderseits breiten sich zunehmend gebieterisch Sperrzonen aus, jeweils mehrere Kilometer tief. Die Verbotsschilder wurden immer weiter gesetzt – bis jetzt die gesamte Hohe Düne abgeriegelt ist. Bis ins braune Tal des Schweigens reicht die Barriere.

Höchste Vorsicht ist hier angezeigt. Wehe dem Besucher, der es riskiert, ein paar Schritte weiterzugehen, oder der sich auch nur verläuft. Urplötzlich steht die Staatsgewalt vor ihm. Paß! Verhaftung! Drohende Worte, nicht gerade freundlich gesprochen. Das ändert sich – meistens – erst, wenn man sich mit D-Mark freigekauft hat.

Neuerdings ist auch die Schwarzorter Düne gesperrt worden, die die Litauer "Tote Düne" nennen. Das ist ebenso falsch wie der Vorwand, diese drakonischen Maßnahmen dienten dem Naturschutz. Das trifft zu, wenn – wie jetzt auf der Parniddener Düne – nahe am Sturzhang Bänder und Schilder diese kritische Zone gegen unvernünftige Besucher abschirmen. Aber die mächtigen Buckel der gewaltigen Sandmassen, die allezeit den Besuch des Menschen ohne Schaden überstanden haben, brauchen sich auch jetzt nicht vor Gästen zu fürchten, deren Zahl kaum größer als ehedem ist. Markierte Wege wären vorstellbar, aber kaum vonnöten. Man soll die Natur schützen und nicht einkerkern.

Die erste spürbare Folge ist: riesige Enttäuschung bei den Touristen. Viele von ihnen kommen hauptsächlich, um dieses einzigartige Erlebnis zu genießen. Wenn nun der Besucherstrom, vor allem nach dem Kleinod Nidden, spürbar nachgelassen hat, dann mag eine Ursache auch hierin liegen. Es gibt allerdings noch mehr Hinweise darauf, daß dort manche Leute die internationalen Gepflogenheiten eines Gastlandes nicht gern praktizieren, speziell gegenüber deutschen Touristen. Ein paar Beispiele:

In den Maschinen der litauischen Fluglinien erfolgen die Ansagen – trotz vieler Beschwerden – in Litauisch und in Englisch, auch wenn die Passagiere nur oder fast nur Deutsche sind.

An den Grenzübergängen wetteifern die litauischen Behörden offenbar zunehmend mit den russischen um den Sieg des längsten Aufenthals für die Reisenden. (Es waren übrigens die Litauer, die mit der rigorosen Grenzziehung – siehe auch oben – anfingen.)

In den Hotels, die überwiegend deutsche Gäste haben, spricht das Personal hartnäckig überwiegend nur litauisch oder englisch, obwohl es teilweise Sprachkurse in Deutsch, speziell für den Hotelgebrauch, bekommen hat. Bei den Preisen kennt man den westlichen Standard, bei der Zimmerqualität oft nicht. Das Wohlbefinden der Gäste interessiert nicht immer, so daß die Nachtruhe durch unziemlichen Lärm – wie überlaute Disko-Musik bis in den frühen Morgen, gestört wird. "Wenn das den Deutschen nicht gefällt, sollen sie doch abreisen." So die Antwort eines Direktors auf die Beschwerde einer Reiseleitung. In Aufenthaltsräumen, Foyers und Bars stellen sich einheimische Besucher demonstrativ vor den Fernseher, damit deutschen Zuschauern der Blick (beispielsweise bei einem Fußballänderspiel) versperrt wird, ohne daß jemand von der anderen Tresenseite eingreift. In Restaurants sind die Sprachbarrieren oft so hoch aufgebaut, daß es unmöglich ist, ein Gericht zu bestellen. Bei der Beschriftung in Museen und ähnlichen Einrichtungen wird die deutsche Sprache tunlichst gemieden, auch wenn es sich um Präsentationen mit besonderem deutschen Bezug handelt. Oder gerade dann?

Landkarten werden so ausgewählt, daß die Vergangenheit "entdeutscht" ist. "Warum das alles?", fragen wir in Sorge. "Vielleicht, weil sie Angst haben?!", lautet die Antwort aus litauischem Mund, ebenso besorgt. Soll man lachen oder weinen? Festzustellen bleiben zwei Punkte:

1. Viele Litauer fürchten offensichtlich die historische Wahrheit.

2. Das offizielle Litauen übertreibt die neu gewonnene Souveränität. Auf dieser Basis kann kaum eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden.

Zwei Konsequenzen scheinen daher geboten: Litauen muß den Weg zur Unbefangenheit gegenüber geschichlichen Tatbeständen finden; einfach sagen, daß das Memelland erst seit 1947 im Auftrage Moskaus von Litauen verwaltet wurde, bis dahin aber 700 Jahre lang deutsch war, ausgenommen die durchaus umstrittene Zugehörigkeit zu Litauen von 1923 bis 1939.

Nicht weniger wichtig ist eine Politik, die sich vom antiquierten Nationalismus abkehrt und nach den Prinzipien unserer Zeit handelt. Wer in die Europäische Gemeinschaft will, muß Grenzen abbauen und nicht aufrichten, das Gemeinsame suchen, das Trennende bannen. Es ist gewiß auch kein Zufall, wenn bei der Bewerbung um die EU-Mitgliedschaft Litauen unter den baltischen Staaten auf den letzten Platz zurückgefallen ist.

Noch ist von einer Wende im offiziellen und halboffiziellen Bereich, aber auch in weiten Teilen der Bevölkerung wenig zu spüren. Die Tendenz ist eher umgekehrt, betrachtet man die Jahre seit der Wende. Damals, als wir alle gehofft hatten, das Zusammenfinden unserer beiden Völker sei das einfachste Problem dieser Region im Umbruch.

Glücklicherweise ist aber auch das andere zu beobachten. Die Zeichen der Verbundenheit mehren sich (Ännchen-Brunnen in Memel, Gedenktafeln, Patenschaften und vieles mehr). Die Freundschaften über alle Grenzen hinweg, die Zahl der Einsichtigen, Gutwilligen, Unvoreingenommenen, Wegweisenden mehren sich und lassen hoffen. Da wächst eine neue Bervölkerung heran, die sich nicht mehr mit alten Strukturen, Doktrinen und Lehren abfinden wird.

Noch hinken die Litauer hinter den Russen und vielleicht sogar den Polen in diesem historischen Umwälzungsprozeß her. Doch der Sinneswandel, der die neuen Bewohner unseres alten Ostpreußens erfaßt hat, ist schon spürbar. Wir alle haben dort unsere Heimat. Je eher auch alle das begreifen, desto besser ist es für uns hier wie für sie dort, für das Land und für unsere gemeinsame Zukunft.