19.04.2024

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19.08.00 Der Rheinbund – Episode oder Symbol einer Dauermisere

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. August 2000


Der Rheinbund – Episode oder Symbol einer Dauermisere

Bald nach der Gründung des Nachrichtenmagazins "Spiegel" meldete sich in ihm unter dem Namen Jens Daniel ein Kommentator zu Wort. In einer heute verblüffenden Schärfe zog jener "Daniel" gegen die sich zunächst abzeichnende, dann vollzogene Westbindung der Bundesrepublik zu Felde: Sie mache die Wiedervereinigung und damit die Schaffung eines einigen Deutschlands, die er in jenen Jahren für möglich hielt, für die nächste Zukunft unmöglich.

Bald machte die Runde, daß sich unter dem Pseudonym Jens Daniel der Herausgeber und Chefredakteur Rudolf Augstein verbarg. 1953 erschien dann unter dem Titel "Deutschland – ein Rheinbund?" eine Sammlung dieser Kommentare als Taschenbuch, in dessen Vorwort, sicherlich von Augstein selbst geschrieben, zu lesen war: ",Zieht Preußen von Deutschland ab, was bleibt?‘ fragte Walther Rathenau 1919. Ein verlängertes Österreich, eine klerikale Republik: der Rheinbund. Inzwischen ist Preußen zerschlagen und sein Kern ist von Deutschland abgezogen worden. Das Land östlich der Elbe bäumt sich unter dem Diktat eines unmenschlichen Regimes. In der Bundesrepublik aber, die sich aus der Katastrophe retten konnte, machen sich wieder ... wie 1806 die Fliehkräfte des rheinisch-katholischen Raumes bemerkbar, die sich eher mit den westlichen Siegern als mit dem unterdrückten, ausgepowerten Osten des Vaterlandes gruppieren wollen." Der Autor plädierte mit Leidenschaft für ein wiedervereinigtes Deutschland.

Nun ist 47 Jahre nach dem Erscheinen des Buches die Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik vereinigt, zwar nicht gefördert durch die Politik der verschiedenen Bundesregierungen, wohl aber, als durch außerhalb Deutschlands liegende Umstände der Warschauer Pakt zusammenbrach, durch die damalige Regierung Kohl verwirklicht. Sie aber sah – und die nachfolgende Regierung übernahm diese Grundidee – das Gebiet der DDR lediglich als Teil an, das dann zusammen mit der Alt-BRD nach Europa geführt werden soll – kritische Beobachter meinen sogar, um es nach Umwandlung in eine multikulturelle Gesellschaft in Europa aufgehen zu lassen.

Schon 1953 prangerte der junge Augstein an, die Regierung Adenauer habe bis dahin "nicht deutsche, sondern amerikanische Politik gemacht". Er forderte, die Bundesrepublik solle sich nicht abfinden "mit der rheinischen Republik, mit einem Appendix des Westens, mit einem Rheinbund unter dem Patronat des Generals Eisenhower". Er verlangte, "eine politische Partei zu schaffen, die ... eine Wiedervereinigung Deutschlands für vordringlicher hält als den Anschluß Westdeutschlands an Westeuropa im Rahmen des Atlantikpaktes".

Inzwischen ist nicht nur die westdeutsche Bundesrepublik, sondern die ganze Berliner Republik "in den Westen integriert", ein Begriff, den Rudolf Augstein damals auf das heftigste bekämpfte. Ein Deutschland mit einem politischen Eigengewicht, ein Deutschland, das wirklich souverän ist – davor scheut die heutige politische Klasse offenkundig zurück.

Augstein fühlte sich angesichts dieser Haltung an das Deutschland vor (nunmehr) 200 Jahren erinnert – an eben jenen "Rheinbund". Doch was war damals eigentlich? Gibt es wirklich Parallelen zu heute?

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte seine erste schwere Erschütterung bereits mit dem Westfälischen Frieden 1648 erfahren. In diesem Friedensvertrag, dessen Grundlinien von den traditionell gegen Deutschland gerichteten Staaten, an der Spitze Frankreich, festgelegt worden waren, war den deutschen Fürsten das Recht eingeräumt worden, auch gegen das Deutsche Reich Verträge abzuschließen. Nur schwer erholte sich Deutschland von den Zerstörungen und den immensen Bevölkerungsverlusten des Dreißigjährigen Krieges. Zwar blieb das Reich formal erhalten, doch verfiel die Reichsmacht immer mehr. In Wirklichkeit hatte der Westfälische Friede die deutschen Fürsten gegen die Macht des Kaisers gestärkt; so gingen die Länder innerhalb des Reiches ihre eigenen Wege, kräftig gefördert von Paris, das sein Ziel nicht aufgab, das gesamte linke Rheinufer zu okkupieren.

Auch die Französische Revolution 1789 änderte an diesem außenpolitischen Ziel nichts. Der Druck auf die langsam sich erholenden deutschen Einzelstaaten wurde noch wirksamer, als die Grundidee der Französischen Revolution, nämlich die Freiheit der Korporationen zu garantieren, auch in der gebildeten deutschen Öffentlichkeit auf Zustimmung stieß. Sie übernahm von der Revolution die Auflehnung gegen die starren Konventionen, lehnte aber den jakobinischen Terror entschieden ab. Die politisch führenden Kreise Frankreichs, gleichgültig ob in der Monarchie oder in der Republik, strebten weiter danach, das Deutsche Reich dreizuteilen etwa in ein preußisch beherrschtes Norddeutschland, ein österreichisch bestimmtes Süddeutschland und zwischen ihnen einen Pufferstaat, der unter französischem Einfluß stehen sollte.

Mit dem zunehmenden Verfall der Zentralmacht des Reiches schwand auch das deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl, das über die Grenzen der jeweiligen Region oder Heimat hinausging. Die wachsende Selbständigkeit der kleineren Einheiten – damals Fürstentümer, was an das heutige "Europa der Regionen" erinnert – ließ sie um so leichter Spielball benachbarter Mächte werden.

Mit der Konsolidierung der französischen Zentralmacht unter Napoleon setzte sich ein Imperialismus durch, der in den vielen kleinen deutschen Staaten angesichts der schwachen deutschen Zentralgewalt leichte Opfer sah. Schon 1792 hatten die französischen Volksheere Deutschland überfallen und die Pfalz, Trier, Koblenz, Mainz, Frankfurt am Main, Worms und Speyer erobert. Die weltlichen und geistlichen deutschen Fürsten flohen fast ohne Widerstand. In Mainz gründete darauf Erich Forster zusammen mit anderen deutschen Professoren die "Rheinisch-deutsche Republik", löste jede Bindung ans Reich und bat um Vereinigung mit Frankreich, das daraufhin 88 mainzische Stadt- und Landgemeinden annektierte. Das geschwächte Preußen mußte im Frieden von Basel das linke Rheinufer an Frankreich abtreten. Damit war der erste Schritt der französischen Ausdehnungspolitik gelungen. Frankreich war Vormacht in Europa, umgeben von neu geschaffenen Satellitenstaaten. Der Widerstand gegen die Vormachtsrolle Frankreichs ging von England aus, das ein Bündnis schuf, welches jedoch nach den ersten Siegen Napoleons zerfiel.

Das in viele Teile zersplitterte Reichsgebiet wurde von Napoleon neu geordnet. Kleine geistliche Territorien verschwanden. Napoleon sagte den deutschen Territorialfürsten Entschädigung für die linksrheinisch verlorenen Gebiete zu, was die Uneinigkeit und den Egoismus unter den Fürsten der deutschen Kleinstaaten nur noch verstärkte. Napoleon machte sich diese Fürsten geneigt, indem er Bayern, Württemberg und Baden spürbar vergrößerte, die dadurch zu Territorialfürsten wurden und sich dankbar Frankreich in dessen Kampf gegen Österreich anschlossen. Daraufhin erhob Napoleon Bayern und Württemberg zu Königreichen, Baden avancierte zum Großherzogtum. Frankreich erkannte deren volle Souveränität an, womit das Deutsche Reich zerschlagen war. 1806 trennten sich weitere 18 deutsche Fürsten vom Reich und verpflichteten sich Napoleon gegenüber zum "ewigen Bündnis". Der Rheinbund war geschaffen.

Der ebenso machtlose wie phantasielose "Koadjutor" dieses neuen Gebildes, der Erzkanzler und Primas Germaniae Karl Theodor von Dalberg, konstatierte: "Es gibt kein Deutschland mehr." Im August 1806 legte der deutsche Kaiser Franz II. die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab und sah sich nur noch als Kaiser von Österreich.

Nur Preußen stand (neben Österreich) außerhalb dieses Konglomerats von Rheinbund-Staaten. Obwohl es diplomatische Verständigung mit Frankreich suchte, brach Napoleon einen Krieg gegen Preußen vom Zaun und konnte die veraltete preußische Armee bei Jena und Auerstedt schlagen. Preußen verlor alle Besitzungen westlich der Elbe. Aus Hannover, Braunschweig und Hessen-Kassel bastelte Napoleon das Königreich Westfalen und setzte einen seiner Brüder als König ein. Danzig wurde "Freie Stadt", Preußen mußte Frankreich eine Kriegsentschädigung bezahlen, deren Höhe zunächst offen blieb, dann aber auf 130 Millionen Taler festgesetzt wurde, obgleich alle vorhandenen Werte Preußens auf 120 Millionen Taler geschätzt wurden. (Der Versailler Vertrag hatte also Vorläufer.) Alle preußischen Festungen wurden besetzt und Preußens Heer halbiert. Holland, Ostfriesland, Oldenburg, Bremen, Hamburg, Lübeck wurden dem französischen Kaiserreich einverleibt.

Führenden Schichten in den deutschen Teilstaaten war das durchaus recht. Sie sahen nur noch die Interessen der eigenen Region und ihre persönliche Bereicherung. Erschien Napoleon, wurde ihm zugejubelt. Man begrüßte das von ihm eingeführte moderne Gesetzbuch Code Napoleon als fortschrittlich, ebenso wie die Abschaffung von Standesvorrechten und anderen überalterten Einrichtungen. Die Soldaten der Rheinbund-Staaten, die im Dienste Napoleons kämpften, entwickelten Landsknechtgesinnung und waren stolz auf ihre kriegerischen Leistungen, gleichgültig, für welche Ziele sie eingesetzt waren. Literaten, so der seinerzeit viel gelesene Saul Asher in Berlin, verbreiteten die Auffassung, daß die Zeit der Nationalstaaten vorbei sei. Der über Europa herrschende Napoleon sei der Bahnbrecher für die Modernität. Weltbürgertum sei angesagt. Ein führender bayerischer Politiker erklärte, daß nur der Deutsche wirklich deutsch sei, der Kosmopolit sei. Man träumte von einer die Welt umspannenden Monarchie, in der alle gleich seien, sozusagen einer herrschaftsfreien Weltgesellschaft.

Gegenkräfte sammelten sich nicht nur in Preußen, sondern in kleinen Zirkeln selbst in den Rheinbund-Staaten. Großes Gewicht hatten sie zunächst nicht. Die Masse des einfachen Volkes wie die Bauern, Handwerker, Tagelöhner verharrten in ihrer angestammten Art.

Als die alle beherrschende Macht Frankreich begann, allzu brutal die Rheinbund-Staaten auszubeuten, um sich für den entscheidenden Schlag gegen Rußland zu rüsten, erst als die Steuerschraube immer fester angezogen wurde, erst als wirtschaftliche Zusammenbrüche sich häuften, als Aushebungen von Soldaten überhand nahmen, begann der Widerstand, der zunächst in den unteren Volksschichten virulent war, sich auch in Kreisen der Oberschicht auszudehnen. Frankreich und die ihm ergebenen regierenden Schichten in den deutschen Teilstaaten versuchten durch härtere Repressalien die Aufsässigkeit zu unterdrücken, was zeitweise gelang. Doch wurde immer deutlicher, daß Napoleons Absicht, Deutschland zu "entdeutschen" (dépayser), scheitern mußte.

Die Rheinbund-Staaten mußten 119 800 Soldaten zur Verfügung stellen, damit Frankreich den Rußlandfeldzug führen konnte. Preußen und Österreich hatten je ein Hilfskorps als Flankenschutz zu stellen. Der Feldzug scheiterte. Der größte Teil der deutschen Hilfstruppen verblutete oder erfror in Rußlands Weiten. Von diesen Opfern der Unfähigkeit und Charakterlosigkeit deutscher Fürsten zeugt heute noch in München die Erinnerungssäule an 30 000 in Rußland gefallene Soldaten des bayerischen Hilfs-korps mit der frechen Behauptung, auch sie seien für Deutschlands Befreiung gestorben. Tatsächlich waren sie von ihrem Fürsten verheizt worden.

Endlich im Winter 1812/13 sagte sich das preußische Hilfskorps von Frankreich los und veranlaßte den preußischen König, mit seinem Aufruf "An mein Volk!" zum Kampf gegen den französischen Unterdrücker aufzurufen. In der Völkerschlacht bei Leipzig entschied sich dann das Schicksal Napoleons. Nachdem als erstes die beiden Mecklenburg aus dem Rheinbund ausgetreten waren, wechselten am dritten Tag der Leipziger Völkerschlacht die meisten Rheinbund-Truppen die Seite und kämpften nun zusammen mit Preußen und Rußland und deren Verbündeten für die Freiheit Europas. Der Rheinbund war zerbrochen.

Nicht verschwunden aber war – glaubt man den Augstein-Thesen – der Rheinbund-Geist, nämlich die Bereitschaft Deutscher, sich mit Fremden gegen das eigene Land und das eigene Volk zu verschwören.