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26.08.00 Premierminister Lionel Jospin plant Autonomie für Korsika

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. August 2000


Frankreich: Abschied vom Zentralstaat 
Premierminister Lionel Jospin plant Autonomie für Korsika

Das Jahr 2004 wird möglicherweise ein entscheidendes Jahr in der Geschichte Korsikas sein. Denn dann wird das Mutterland Frankreich voraussichtlich eine Verfassungsänderung durchführen – mit weitreichenden Folgen für die Zukunft der unruhigen Mittelmeerinsel. Die Regierung Jospin hat nach langwierigen Verhandlungen, die seit dem September des letzten Jahres andauern, vorgeschlagen, einen Teil der Gesetzgebungsvollmacht der Pariser Staatsgewalt an die korsische Landesversammlung zu übergeben, sofern denn wieder Ruhe auf der Mittelmeerinsel einkehrt. Dem hat die Landesversammlung fast einstimmig zugestimmt. Das Ganze wurde im Juli beschlossen und beschäftigte bislang nur die politischen Kreise und die Presse. Der französische Durchschnittsbürger kümmert sich zu dieser Jahreszeit eher um seine Ferien als um "große" Politik. Das Echo in der französischen Öffentlichkeit ist denn auch eher zurückhaltend bis skeptisch. Daß die Regelung dauerhaften Frieden bringt, glaubt fast die Hälfte der französischen Bevölkerung nicht.

Zunächst sollen laut Jospins Stufenplan die gesetzgeberischen Beschlüsse der korsischen Landesversammlung durch ein Mantelgesetz der Pariser Nationalversammlung und des Senats von Fall zu Fall gutgeheißen werden, und zwar bis zur Änderung der Verfassung der Fünften Republik. Danach würde Korsika, wenn das französische Volk durch Volksentscheid oder seine parlamentarische Vertretung das Verfassungspaket billigt, in ein autonomes Gebiet der Republik umgewandelt werden. Ähnliche Autonomie-Regelungen gelten bereits in den Überseegebieten der Republik. Im Einheitsstaat Frankreich wird diese Entwicklung von vielen mit gemischten Gefühlen gesehen.

Angesichts dessen haben Gegner des Vorhabens Jospins den Staatschef Jacques Chirac aufgefordert, sein "schweres Schweigen zu brechen". Viel spekuliert wird in Paris über die politische Lage des Innenministers Jean-Pierre Chevènement, der Ende Juli angekündigt hat, er werde ein entsprechendes nationales Gesetz nicht vor der Nationalversammlung verteidigen. Im September ist eine Debatte vor diesem Gremium vorgesehen. Andere Minister, die zu den Vertrauten Mitterrands zählten, wären auch gegen das Vorhaben, insbesondere der Außenminister Hubert Védrine. Im Falle einer Autonomie Korsikas sehen Beobachter voraus, daß die Lage Frankreichs im Mittelmeerraum schwieriger werden wird.

Die korsischen Nationalisten verbergen nicht ihre Zufriedenheit, fügen aber hinzu, die gesetzgeberische Autonomie der Insel sei lediglich der erste Schritt in Richtung vollständiger Unabhängigkeit von Paris. Die öffentlichen Meinungsäußerungen der Pariser politischen Klasse sind allerdings eher innenpolitisch begründet als sachlich fundiert. Insgesamt geht die Debatte quer durch alle politischen Lager und belegt die Spaltung in Frankreich zwischen "Föderalisten" (die meisten Sozialisten und die Zentristen) und "Souveränisten", die neue Benennung der Jakobiner, die die Beibehaltung des bisherigen Zentralstaats wünschen.

Obwohl die konservative Zeitung "Figaro" in einem Leitartikel "einen republikanischen Vertrag" in Frankreich befürwortet, gilt es als sicher, daß die Entwicklung in Korsika auch in anderen französischen Provinzen Prozesse in Gang setzen wird. Auch die Elsässer, die Basken und die Bretonen haben sich nun zu Wort gemeldet. Die Reform des Korsika-Statuts im Jahre 2002 wird wohl zu einer grundlegenden Verfassungsänderung führen, die eine Dezentralisierung Frankreichs mit Blick auf "Europa" zur Folge haben könnte.

Pierre Campguilhem