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26.08.00 Kreuzritter und Komparsen

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. August 2000


Kreuzritter und Komparsen 
Tannenberg: Litauen und Polen bemühen sich um gemeinsame historische Identität

Nicht nur in Deutschland gibt es einen Tannenberg Mythos, Polen hat da seine ganz eigene Version. Die erste Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410 war ein Wendepunkt in der Geschichte der Region. Der Übertritt des litauischen Großfürsten Jagiello zum Christentum 1386 und seine Krönung zum polnischen König Wladislaw II. Jagiello vereinigte Litauen und Polen zu einem Großreich. Der Deutsche Orden hatte einen mächtigen Gegner erhalten, der den Landzugang zum Osten abriegelte und den Kreuzrittern die Möglichkeit zum Missionskrieg gegen Litauen nahm.

Auch innere Probleme häuften sich an im Ordensstaat, Städte und Landadel begehrten auf, die Herrschaftsform erwies sich als nicht mehr zeitgemäß. So traf die unvermeidbare militärische Auseinandersetzung den Orden in einer Phase der Schwäche. Die Niederlage des Ordens war verheerend, Hochmeister Ulrich von Jungingen fiel wie auch die meisten seiner Ritter. Nur dem Geschick des Komturs Heinrich von Plauen war es zu verdanken, daß wenigstens die Marienburg gehalten werden konnte.

Militärische Macht und politische Bedeutung des Ordens waren gebrochen, der Niedergang begann. Dieser zweifellos bedeutende Sieg wurde in Polen seit Ende des 19. Jahrhunderts als wichtiger Bestandteil der Schaffung polnischer historischer Identität zum ewigen Schicksalskampf zwischen Germanen und Slawen hochstilisiert. Schon 1910 wurde aus Mitteln der Paderewski-Stiftung zum 500. Jahrestag der Schlacht ein erstes Denkmal im damals noch österreichischen Krakau errichtet.

Zum 550. Jahrestag, im Jahre 1960, wurde dann am Originalschauplatz in Grünfeld (Grunwald) bei Tannenberg eine monumentale Gedenkstätte mit Museum eingeweiht. Dieses Ehrenmal wurde für die Polen zu einer nationalen Pilgerstätte, in vielen Haushalten hing ein Grunwald-Bild. Die Tannenberg-Schlacht, in Polen "Grunwald"-Schlacht genannt, war das große historische Erfolgserlebnis, an dem sich Generationen von Polen aufrichteten. Gerade an diesem polnischen Grunwald-Mythos erkennt man die nivellierende und relativierende Wirkung von politischer Wende und europäischer Integration.

Früher von einem Pathos umweht, das die Westeuropäer, zumal die jungen Deutschen, denen solcherlei patriotische Aufwallung völlig fremd waren, in ein Staunen zwischen Verblüffung und Amüsiertheit stürzte, sind die jährlichen Tannenbergfeiern heute deutlich geschichtsnäher und eher ein Volksfest.

Schon zum dritten Mal wurde zum 590. Jahrestag im Sommer 2000 mit großem Aufwand die Tannenbergschlacht als eng an den allerdings ziemlich antideutsch angehauchten Roman des polnischen Literatur-Nobelpreisträgers von 1905, Henryk Sienkiewicz, "Die Kreuzritter" angelehntes Historienspiel aufgeführt.

Fast eintausend Mitglieder von "Ritterbruderschaften" aus Polen, Litauen, Weißrußland, Rußland, Tschechien, Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich nahmen in diesem Jahr voll gerüstet am Kampf teil, des weiteren einige hundert Komparsen als Gefangene. An alles war gedacht, an ein Ritterlager, ja sogar an Frauenzimmer.

Zu diesem größten Historienspiel Europas wurde nicht nur ei-ne Rekordzuschauerzahl, sondern auch hoher politischer Besuch erwartet. Die beiden Präsidenten Litauens und Polens, Valdas Adamkus und Aleksander Kwasniewski, waren anwesend.

Die ursprüngliche Schlacht begann gegen neun Uhr morgens und dauerte fast sieben Stunden, das diesjährige einstündige Schlachtenspiel vor gut 50 000 Zuschauern begann um 14 Uhr. Als die Kreuzritter ihre Ausgangspositionen erreicht hatten und Richtung Südost gegen Tannenberg standen und die polnisch-litauischen Verbände Front nach Nordost machten, wurden dem polnischen König Jagiello, dargestellt von Jacek Szymanski, einem 31jährigen Computergrafiker aus Warschau, zwei blanke Schwerter des Ordens überreicht. Das Schlachtengetümmel begann wie immer mit Kartätschenfeuer.

Allerdings entwickelte sich das Geschehen diesmal etwas anders als von Geschichte und Drehbuch vorgesehen. Ob durch Schlachtengetöse oder den Lärm eines Präsidentenhubschraubers – Jagiellos Pferd scheute und warf seinen Reiter ab. Ein Raunen ging durchs Publikum, die Ritter hielten ratlos inne, denn Jagiello alias Jacek Szymanski gab kein Lebenszeichen mehr von sich.

Mitten in das mittelalterliche Geschehen hinein fuhr ein Krankenwagen, lud den Jagiello-Darsteller ein und brachte ihn ins Osteroder Krankenhaus in der Jagiellostraße. Die polnischen Ritter berappelten sich, besiegten die Kreuzritter auch ohne ihren Führer und erschlugen den Hochmeister Ulrich von Jungingen, wie es das Drehbuch vorsah. Nur mit König Jagiello stand es nicht zum besten, er hatte sich die Schulter gebrochen. Noch vom Krankenbett aus verteidigte er sich polnischen Journalisten von der "Gazeta Wyborcza" gegenüber, es stünde nun eins zu eins, denn im Vorjahr sei Ulrich von Jungingen vom Pferd gefallen. Am Vorabend der Schlacht hatte sich Jagiello noch darüber mokiert und verbreitet, er hoffe, der Hochmeister sei dieses Mal besser zum Kampf vorbereitet. …Kleine Sünden werden ja bekanntlich sofort bestraft.

An der Art der Berichterstattung in den polnischen Medien bemerkte man den Wandel im Geschichtsbewußtsein am deutlichsten. Im Mittelpunkt stand nicht mehr das nationale Pathos, sondern das Spektakel des Historienspiels. An diesem 15. Juli wurde wegen des Unfalls aus dem erhabenen "big point" der Geschichte eine Glosse, über die ganz Masuren schmunzelte. Dabei war gerade dieser Jahrestag durch die Anwesenheit der Präsidenten Litauens und Polens ganz anders geplant. Zwar hat man die große Politik in Ostpreußen genau wie früher nicht so oft zu Gast, dennoch wissen sowohl Medien als auch die Menschen in der Region dieses Ereignis einzuordnen.

Es ist Wahlkampf in beiden Ländern, in Litauen wird im Herbst ein neues Parlament gewählt, in Polen der Präsident. Viel Substanzielles durfte man da wohl von diesem Treffen nicht erwarten. Es war von beiden Staatspräsidenten ein publikumswirksamer Auftritt mit staatsmännischem Habitus und großen Gesten. Hand in Hand gedachten Valdas Adamkus und Aleksander Kwasniewski nach der Kranzniederlegung der Toten – man fühlte sich an Kohl und Mitterrand erinnert.

Gegenseitiges Schulterklopfen war angesagt, man war darauf bedacht, einander gut aussehen zu lassen. Beide Präsidenten beschworen die Gemeinsamkeiten der Geschichte und die "Grunwalder Tradition" ohne die früher üblichen Seitenhiebe gegen alles Deutsche. Als Beispiel der Partnerschaft pries Kwasniewski den Sieg an: "Das ist ein großes Datum für Polen und Litauer, ein Symbol des Ruhms und der Einigkeit. Vor 590 Jahren standen unsere Völker Arm in Arm zur Verteidigung der Freiheit und Souveränität ihrer Länder. Obwohl der Feind mächtiger erschien, entschieden über den Sieg außergewöhnliche Tapferkeit, Geschick, Zusammenwirken und großer Patriotismus unserer Truppen. Im Angesicht der Bedrohung schufen wir ein Heer, welches eine der größten Mächte des damaligen Europas besiegte und zerschlug. Der Grunwalder Sieg ist der Beweis für den großen Wert der Freundschaft zwischen den Völkern."

Auch Adamkus hob den Aspekt der Freundschaft hervor. "Wenn wir auch heute weit entfernt von jenen historischen Tagen sind, ändern sich gewisse Fakten nie. Heute fordert das Leben von uns genau solche Handlungen wie damals vor Jahrhunderten. Wenn wir eine gemeinsame Sprache finden, bedeutete es, daß wir im heutigen Europa gleichfalls mitarbeiten können. Wir müssen nach einer Sicherung des Friedens und bestmöglichen Bedingungen für das Fortleben unserer Länder streben, daher möge dieser historische Tag und dieser historische Ort Quelle unserer zukünftigen Erfolge sein."

Kwasniewski betonte auch die über die Jahrhunderte verbundene Geschichte der Polen und Litauer und die neu belebten freundschaftlichen Beziehungen.

Die meisten Probleme im gegenwärtigen Verhältnis der beiden Länder betreffen die polnische Minderheit in Litauen. Der polnisch-litauische Vertrag von 1994 brachte nach langen, problematischen Verhandlungen den Durchbruch zu einem nachbarschaftlichen Verhältnis. Heute sind die Beziehungen immerhin so gut, daß ein gemeinsames polnisch-litauisches Bataillon aufgestellt wurde.

Davor lagen lange Jahre eines auf gegenseitiger Antipathie beruhenden Verhältnisses, geprägt von Unwissenheit über den Nachbarn und nationalen Empfindlichkeiten.

So betrachteten viele Polen Wilna immer noch als eine der polnischsten aller Städte, und für manchen Litauer war Polen lange nur das Land, das man durchfahren mußte, um nach Deutschland zu gelangen. Heute sind die Beziehungen pragmatisch, unspektakulär und geschäftsmäßig.

Das einigende Band um zwei geschichtsbewußte Nationen ist Tannenberg – "Grunwald", der gemeinsame Sieg und das polnische Nationalepos Pan Tadeusz von Mickiewicz, das mit den Worten beginnt: "Litauen, mein Vaterland". Aus dem Mythos des großen Sieges gegen den germanischen Erbfeind entsteht langsam eine neue "Grunwalder Tradition", das hohe Lied der Völkerverständigung, des Friedens und der Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg.

So drückten beide Präsidenten ihre Zukunftsgedanken für die Region mit dem Wunsch aus, das ganze mittlere und östliche Europa möge eine Region des Friedens, der Stabilität und des Wohlstandes werden. Man stehe vor der historischen Chance beständiger Umwandlung ganz Europas. Aus diesem in der Vergangenheit am meisten konfliktbeladenen Teil der Welt einen Streifen des Friedens und der Stabilität zu schaffen ist die Absicht beider Präsidenten.

"Ich bin sicher, daß wir diesmal die Chancen nicht vergeuden", betonte Kwasniewski, anspielend auf die Integration Polens in EU und Nato. Brigitte Jäger-Dabek