20.04.2024

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26.08.00 Brandenburg: Die "Nazi"-Macher

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. August 2000


Brandenburg: Die "Nazi"-Macher
Wie ein unvorsichtiger Jugendlicher in die Mühlen der Justiz gerät – ein Bericht aus der Provinz
Von HEIKE-DOREEN EHLING

Die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft ist ganz sicher ein großes Problem. Wenn "ganz normale" Durchschnittsbürger in Deutschland bei einer routinemäßigen Verkehrsüberprüfung plötzlich die Pistole ziehen und auf Polizisten schießen, ist das schrecklich, und man muß nach dem "Warum" und "Woher" fragen. Rechtsextreme Gewalt ist nach Meinung der herrschenden Medien, Meinungsmacher und Politiker noch schlimmer. Sie muß mit Sonderkommissionen und Sondereinsatzgruppen bekämpft werden.

Brandenburg scheint ein Hort des Rechtsextremismus zu sein. Mit Enthusiasmus wird in den Medien darüber berichtet. Und wenn nicht genug Rechtsextreme gewalttätig sind, muß man eben aus einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen einen rechtsextremen Zwischenfall konstruieren. Zwar paßt das schön ins Bild, aber den betroffenen Jugendlichen verhagelt es die Zukunft.

Nehmen wir beispielsweise den Fall des Peter S. (Name geändert) aus einer brandenburgischen Gemeinde. Eine Gegend, wo jeder jeden kennt.

Peter S. fuhr zwei seiner Bekannten ins Zentrum der nahe gelegenen Kleinstadt, wo diese sich mit Freunden verabredet hatten. Dort entschlossen sie sich, mit einem anderen Jugendlichen Tacheles zu reden. Früher hätten sie (übrigens bis in die besten Jahre des Mannes) im Wirtshaus gerangelt, heute treffen sich die Jungs dazu auf der Straße.

Die Mitfahrer verpaßten dem anderen im Beisein verschiedener Schaulustiger tatsächlich eine gehörige "Abreibung", was durchaus nicht verharmlost werden sollte. Hintergrund sollen Rauschgifthändlereien in der Familie des Angegriffenen gewesen sein.

Die Eltern des Opfers und die ortsansässigen Medien jedoch machten daraus einen Angriff rechter Jugendlicher gegen einen linken. Und erfanden dazu kurzerhand eine bis dahin nichtexistente "gewaltbereite rechtsextremistische Szene" in besagter Kleinstadt. Eine Erfindung, die von der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder anscheinend dankbar und unkritisch aufgegriffen wurde.

Eine unter jungen Männern leider nicht unübliche Auseinandersetzung bekommt plötzlich eine völlig andere Qualität, wenn sie von der Staatsanwaltschaft folgendermaßen beschrieben wird: Die Angeklagten hätten verabredet, sich zu treffen, "um sodann von dort aus eine gemeinsame Jagd auf politisch Andersdenkende, sogenannte ,Zecken‘, durchzuführen, um diese zu ,klatschen‘". Das klingt doch wirklich fast schon nach dem Dritten Reich. Peter S. schüttelt nur ungläubig den Kopf, wenn er das liest: "Wer hat sich das bloß ausgedacht?", fragt er.

Im weiteren schildert die Staatsanwaltschaft genauestens ihre Vermutung, wie sich die Jugendlichen untereinander im vorhinein verabredet haben, mit welchen Mitteln sie diese "Zecken klatschen", also verletzen wollten. Da soll der Peter S. mit seinen Freunden vorher festgelegt haben, daß nicht nur Faustschläge ausgeteilt werden sollen, sondern "auch Fußtritte mit beschuhten Füßen verabreicht werden". Dabei werden Ausdrücke wie "verhaßte Zecken" und "linksorientierter Jugendlicher" von der Staatsanwaltschaft benutzt, als hätten die Angeklagten ein überaus präsentes – rechtsextremes – politisches Bewußtsein. Bei nur etwas näherem Hinsehen eine völlige Fehleinschätzung jener Jugendlichen, denen etwas mehr politisches Interesse gar nicht schlecht anstehen würde. Zu unterstellen, Peter S. beispielsweise würde in ideologischen Kategorien denken, wenn er Jugendliche auf der Straße sieht, erscheint eigentlich eher lächerlich.

Laut Staatsanwaltschaft wird der "Tatplan" mehrfach intensiv beredet, und etliche weitere Angeklagte finden sich im Laufe der "Suche nach den Zecken" ein, um sich an der Tat zu beteiligen. Peter S., dem Hinfahrer, der – übrigens wie einige Mitglieder der Feuerwehr – der Schlägerei bloß unbeteiligt zusah, wird nun unterstellt, eigens für diese Tat einen Baseballschläger mitgebracht und als Waffe dem Täter zugereicht zu haben. Daß er diesen Baseballschläger bereits Monate vorher verschenkt hatte, spielt keine Rolle. Vielmehr versteigt sich die Staatsanwaltschaft wieder zu Formulierungen wie "verhaßte Angehörige der linken Szene".

Die Schilderung des Tathergangs durch die Staatsanwaltschaft liest sich tatsächlich furchterregend. Eigenartig ist dabei zumindest, daß völlig unerwähnt bleibt, daß etliche Angehörige der Orts-Feuerwehr dem Vorfall zugeschaut haben und nicht eingriffen.

Wer Augenzeugen und Polizeiangehörige gleich nach dem Vorfall gefragt hat, was da los war, dem wurde eine gänzlich andere Schilderung vermittelt. Von einer "gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene" in dieser Kleinstadt hatte vorher auch noch niemand etwas gehört.

Die krude "Links-Rechts-Kiste" scheint sich erst nach und nach durch die Schilderung in den Medien und in der Zusammenfassung durch die Staatsanwalt entwickelt zu haben.

Nun hält auch in Brandenburg niemand solche Schlägereien für in Ordnung. Wehrlos am Boden Liegende zu schlagen und zu treten sollte eigentlich jedem Menschen zuwider sein.

Wesentlich an diesem Fall scheint aber doch, daß er – dermaßen abgewandelt – wunderbar in die gegenwärtig laufende Diskussion über zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland und ganz besonders in den neuen Bundesländern paßt. Ein gräßlicher Fall mehr in der Statistik, die beweist, wie faul es im Staate Deutschland wieder zugeht. Peter S. sieht das eher praktisch und auf sich bezogen. Die Tragweite der Anklage, ihre Auswirkungen auf sein ganzes Leben sind noch überhaupt nicht abzusehen.

Solange der Prozeß läuft, ist er gezeichnet. Nicht als junger Mann, der sich gemeinsam mit anderen auf eine Schlägerei eingelassen hat, an der er sich am Ende gar nicht beteiligte. Schlimmer: Er soll rechtsextrem und gewaltbereit sein. Und das hat für seine Zukunft ganz erhebliche Konsequenzen.

Zwar erbrachten Hausdurchsuchungen keine Hinweise auf rechtsextremistische Aktivitäten. Denn die Aktivitäten des Peter S. beschränkten sich eigentlich überwiegend auf die Tätigkeit in der Freiwilligen Feuerwehr, auf die Hilfe in der Jugendwehr, auf Arbeit in den Vereinen. Bisher ein ganz normales Leben mit positiven Aussichten: erfolgreicher Schulabschluß, erfolgreiche Lehre an der Küste, Heimkehr und Arbeit in Brandenburg.

Davon weiß die Staatsanwaltschaft nichts. Sie vermutet vielmehr, daß Peter S. sich schuldig gemacht hat, "a) andere Personen mittels gefährlicher Werkzeuge, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich mißhandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben; b) sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen wurden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt zu haben, wobei sie Waffen bei sich führen, um diese bei der Tat zu verwenden, und durch die Gewalttätigkeiten ein anderer in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wurde ..." Der als Haupttäter Eingestufte sieht sich sogar einer Anklage wegen versuchten Mordes gegenüber. Er habe beabsichtigt, "aus niedrigen Beweggründen einen Menschen zu töten". Vielleicht muß man als Staatsanwaltschaft so schreiben, und möglicherweise ist die Ankage in der Sache sogar gerechtfertigt. Jedoch die vielen Unterstellungen einer politischen Motivation für die Tat, der "Rechtsextreme-Verbrecherbanden-Gedanke", der immer wieder durch die Staatsanwaltschaft zum Ausdruck kommt, machen es den Jugendlichen und jungen Männern schwer, das Falsche ihres Handelns selbst zu erkennen. Sie erkennen nur die ihrer Meinung nach falsche Darstellung ihrer Absichten und des Tathergangs.

Akteneinsicht wurde dem Rechtsanwalt von Peter S. durch die Staatsanwaltschaft erst zu spät gewährt. Die Verhandlung müßte eigentlich verschoben werden. Die Verteidigung hofft auf die Unbefangenheit des Gerichtes, den wahren Anlaß des Streites und die Beteiligung von Peter S. (also eigentlich die Nicht-Beteiligung) an dem Zwischenfall richtig einzuschätzen und zu werten.

Seinen selbstgefundenen Traumjob außerhalb des Landkreises konnte Peter nun nicht mehr antreten, er darf den Landkreis nicht verlassen. Seine Fahrerlaubnis mußte er abgeben, da das Auto zum Tatwerkzeug erklärt wurde. Das Arbeitslosengeld soll ihm gestrichen werden, weil er die ihm in Folge angebotenen Arbeitsstellen außerhalb des Landkreises nicht angenommen hat; er hatte ja zur Arbeit nicht erscheinen dürfen.

Der gute Leumund in seiner Heimatgemeinde nützt Peter S. im Vorfeld der Verhandlung nichts. Ausnahmen von seiner Aufenthaltsverfügung wurden nicht gemacht, auch wenn es darum ging, seinen Feuerwehrkameraden im Krankenhaus im Nachbarkreis zu besuchen. Hoffnungen, ein solcher Antrag könnte zukünftig Aussicht auf Erfolg haben, wurden ihm nicht gemacht.

Ob der Prozeß nun tatsächlich bald beginnt, wann er letztendlich abgeschlossen sein wird, steht noch in den Sternen.

Tröstlich mag für Peter S. sein, daß er von den Leuten im Dorf genauso behandelt wird wie vorher. Er gehört immer noch zur Gemeinschaft, weil seine Mitmenschen die Vorverurteilung durch Medien und Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen können und meinen, daß das Gerede von "rechtsextremen Gewalttätern" in ihrem Ort Quatsch sei. Überhaupt zählt Gewalt in diesem Teil des Landes nicht zur vorherrschenden Kommunikationsform, auch wenn das in der überregionalen Berichterstattung häufig suggeriert wird.

Zahlreiche Vereine, Jugendclubs, gemeinsame Freizeitgestaltung, die Arbeit in den Freiwilligen Feuerwehren und anderes bieten den jungen Menschen genügend Betätigungsmöglichkeiten und Gelegenheiten, sich selbst zu beweisen. Wenn man die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen gerade in Brandenburg bedenkt, ihre geringen Aussichten, in ihren Heimatgemeinden oder in näherer Umgebung Ausbildungsplätze mit Zukunft zu bekommen, ihre Konfrontation mit Arbeitslosigkeit in den Familien – dann sind die jungen Menschen hier sogar beruhigend friedlich.

Das Schlimmste, was in den letzten Jahren auf Dorffesten passierte, war, daß eine Bank umgefallen ist. Vielleicht kommt das wenigstens im Prozeß zur Sprache, hoffen diejenigen, die Peter S. in der schweren Zeit bis dahin beistehen, ihn bei sich beschäftigen, nicht allein lassen.

Und natürlich hoffen sie, daß am Ende der Freispruch steht. Denn eigentlich hätte Peter jetzt in der Feuerwehr befördert werden sollen. Doch das traut man sich nun doch nicht so recht. Obwohl jeder bis zum Nachweis seiner Schuld eigentlich als unschuldig zu gelten hat. So sollte es nach der Wende auch in Brandenburg sein. Doch etliche Bürger haben sich angesichts dieses Falles schon zugeraunt: "Das ist ja wie früher in der DDR!"