28.03.2024

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02.09.00 Interview mit ukrainischem Bischof: Moralische Waffen für das Volk

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. September 2000


Interview mit ukrainischem Bischof: Moralische Waffen für das Volk
Lubomir Husar über den Neubeginn der Katholischen Kirche im Postkommunismus

Herr Bischof Husar, wie ist die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche (UGkK) in das kirchliche Gefüge Ihres Landes einzuordnen?

Lubomir Husar: Wir sind Katholiken, mit dem Heiligen Vater verbunden, aber wir folgen der byzantinischen Tradition, in unserer Theologie, in unserem kanonischen Recht und auch in unserer Liturgie. Unsere Kirche wird "griechisch-katholisch" genannt, ist aber in Wirklichkeit die Kirche der Ukraine. Sie hat schon vor tausend Jahren in Kiew ihren Anfang genommen.

Im Jahr 988 wurde das Christentum als Staatsreligion angenommen. Ende des 18. Jahrhunderts, als ein Teil der Ukraine in das Habsburgerreich eingegliedert war, haben die Wiener Bürokraten, um die Katholiken des römischen Ritus und des byzantinischen Ritus zu unterscheiden, die Terminologie eingeführt: römisch-katholisch und griechisch-katholisch.

Wegen der Verbindung zum Papst spricht man von der unierten Kirche ...

Husak: Diese Benennung stammt vom Ende des 16. Jahrhunderts. Unsere Kirche war damals stark bedroht durch Moskau, das ein eigenständiges Patriarchat ausgerufen hatte. Andererseits gab es in Polen, dem wir angehörten, die lateinische Tradition, die man uns aufdrängen wollte, um uns besser in den polnischen Staat einzugliedern.

Darum haben sich unsere Bischöfe entschieden, ihre Verbindung mit dem Papst zu bestätigen, damit unsere Kirche mit ihrer eigenen Tradition fortbestehen konnte. 1596 wurde die Union von Brest geschlossen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind ja die unierten Katholiken im östlichen Europa besonders schwer verfolgt worden. Wie war das in der Ukraine?

Husak: 1945 hat man alle unsere Bischöfe an einem einzigen Tag, dem 11. April, verhaftet. Im folgenden Jahr organisierte das NKWD dann eine Synode, an der keiner unserer Bischöfe teilnehmen konnte. Die anwesenden 218 Priester wurden gezwungen, die katholische Ostkirche zu liquidieren, und man sagte, sie sollen sich jetzt der orthodoxen "Mutterkirche" angliedern.

Jedem Pfarrer wurde für diesen Fall eine Pfarrei versprochen. Wer sich weigerte, kam für mindestens zehn Jahre in die Verbannung nach Sibirien oder wurde in ein Arbeitslager geschickt. Bis 1989 war unsere Kirche dann rechtlos und litt unter ständiger Verfolgung.

Ihre Familie mußte am Beginn dieser Verfolgungszeit emigrieren. 1993 sind Sie in die Ukraine zurückgekehrt. In welcher geistigen Situation haben Sie Ihre Landsleute vorgefunden?

Husak: Das war eine Enttäuschung für uns, die wir zurückgekehrt sind. Irgendwie haben wir immer gedacht, es seien noch dieselben Leute unserer Jugendzeit, aber es waren zwei Generationen, die in den kommunistischen Schulen und unter dem kommunistischen System aufgewachsen sind.

Sehr viele Menschen sind bis heute dem Glauben fern geblieben. In der Westukraine ist die religiöse Lage immerhin noch relativ gut. In der Ostukraine, die siebzig Jahre unter kommunistischer Herrschaft stand, ist die Situation viel schlimmer, denn es gibt noch eine dritte atheistisch erzogene Generation.

Wie hat sich die kommunistische Erziehung ausgewirkt?

Husak: Das Regime war in seiner Politik gegen Kirche und Religion sehr geschickt und erfolgreich. Abgesehen von den religiösen Überzeugungen, hat es auch menschliche Werte untergraben, etwa die Würde des Menschen, die Rechte des Individuums, und es wurden moralische Wunden geschlagen, unter denen das Volk bis heute leidet.

Zum Beispiel?

Husak: Vor allem der Mangel an Vertrauen zueinander und an Verantwortungsgefühl. Man wollte den "homo sovieticus" erziehen. Das sollte ein Sklave sein, ein gefügiges Glied der Gesellschaft, das zu allem bereit ist und gar nicht mehr kritisch denken konnte und sollte.

Seit der Wende ist es der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche wieder möglich, sich zu organisieren. Heißt das, daß Sie die Kirchen und kirchlichen Gebäude, die enteignet wurden, jetzt zurückbekommen haben?

Husak: Viele haben wir zurück- bekommen, besonders dort, wo die ganze Gemeinde sich für die UGkK entschieden hat. Seit Dezember 1989 durfte man die griechisch-katholischen Gemeinden wieder staatlich registrieren lassen.

Über tausend Gemeinden taten dies seitdem. Andere haben sich gespalten. Dort gibt es ein Gebäude und zwei Gemeinden, die es nutzen wollen. Manchmal haben sie es geschafft, das friedlich zu regeln. In ein paar hundert Fällen ist es nicht glatt gegangen, was bis heute ziemlich schwere Konflikte schafft.

Nun nimmt die UGkK trotz dieser Schwierigkeiten einen großen Aufschwung. Darüber beklagt sich die Orthodoxie bitter. Der russisch-orthodoxe Patriarch Alexij wirft der UGkK sogar "Verfolgungen der orthodoxen Christen in der Westukraine" vor. 

Husak: Nach der Wende gab es einen Schock für die orthodoxe Kirche, als auf einmal über tausend Gemeinden wieder griechisch-katholisch wurden. Man muß sich bewußt machen, daß in den frühen 90er Jahren die Hälfte aller russisch-orthodoxen Pfarreien in der West-ukraine angesiedelt waren.

In ganz Rußland gab es zusammengenommen nicht so viele Pfarreien wie in der Westukraine. Diese Region zu verlieren, war also nicht nur ein Prestigeverlust, sondern auch ein materieller Rückschlag.

Was kann die UGkK jetzt tun, um den Menschen die Orientierung in der neuen Zeit zu erleichtern?

Husak: Unsere Aufgabe sehen wir in zwei Richtungen. Das wichtigste ist eine sehr gewissenhafte Vorbereitung auf das Priesteramt und bei den Laien die Bildung im Glauben. Das zweite ist, daß die Kirche sich sehr für die soziale Lage einsetzen muß. Wir müssen die Menschen sozusagen mit christlichen Werten bewaffnen.

Dieses Gespräch führte Michael Ragg, Pressesprecher von "Kirche in Not/Ostpriesterhilfe", die den Neubeginn der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche unterstützt, indem sie u. a. den Bau und die Renovierung von Kirchen und Klöstern mitfinanziert (Kontakt: Postfach 70 10 27, 81310 München, Tel.: 0 89 / 7 60 70 55).

Zur Person:

Lubomir Husar wurde am 26. Februar 1933 in Lemberg geboren. Nach der Vertreibung seiner Familie aus der Ukraine hielt er sich in Österreich auf, bis er 1949 in die USA emigrierte.

Husar promovierte 1972 und nahm von 1973-1984 einen Lehrauftrag an der Päpstlichen Universität "Urbania" in Rom wahr. Zum Bischof geweiht wurde er 1977 und kehrte 1993 in die Ukraine zurück. Seit 1996 ist Lubomir Husar Weihbischof für das Oberhaupt der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche in Lemberg.