18.04.2024

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02.09.00 Kirchenkampf in der Ukraine: "Raus mit der Moskauer Kirche!"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. September 2000


Kirchenkampf in der Ukraine: "Raus mit der Moskauer Kirche!"
Demonstrationen vor wiederaufgebauter Kathedrale in Kiew
Von Martin Schmidt

Der in der Ukraine alltäglich stattfindende Machtkampf zwischen ukrainischen und russischen Einflüssen findet auf verschiedensten Ebenen statt: auf der sprachlich-kulturellen (s. OB 29/00, S. 6), der parteipolitischen und wirtschaftlichen sowie nicht zuletzt auf der religiösen.

Wie stark sich gerade auf der letztgenannten Ebene in der zweiten Augusthälfte die Konflikte zuspitzten, verdeutlichte am 24. August die Demonstration von über 3000 Anhängern der beiden Flügel der "Ruch" sowie von Teilen der ukrainischen Orthodoxie vor der wiederaufgebauten Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale in Kiew.

Die nationalistischen Parteigänger und die Gläubigen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchat sowie der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche wandten sich gegen die alleinige Weihe des Gotteshauses durch den Metropoliten Wolodimir. Dieser repräsentiert die dem Partriarchat Moskaus unterstellte Ukrainische Orthodoxe Kirche.

Nach Ansicht der Demonstranten hätte die Zeremonie, die in Anwesenheit von Präsident Leonid Kutschma Bestandteil der offiziellen Feiern zum neunten Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung war, von Vertretern aller drei orthodoxen Kirchen des Landes gemeinsam durchgeführt werden müssen.

Daß dem Kiewer Protest eine neuerliche Absage an alle Vereinigungsbemühungen seitens der an Moskau gebundenen Hauptströmung der Orthodoxie in der Ukraine vorausgegangen war, steigerte die Wut der Demonstranten noch mehr. Immer wieder skandierten sie die Losung "Raus mit der Moskauer Kirche aus der Ukraine!"

Mitte August hatte Präsident Kutschma, unterstützt von mehreren Bischöfen aus der Westukraine, ein Telegramm an Alexij II. als dem Patriarchen von Moskau und ganz Rußland geschickt, in dem er um die Gewährung einer Autonomie für die ihm unterstellte Ukrainische Orthodoxe Kirche bat.

Auf einer viertägigen Versammlung von etwa 150 Bischöfen in Moskau wurde dieses Gesuch wenige Tage später nicht einmal als prüfenswert erachtet. Man erklärte lediglich, daß weltliche Autoritäten sich nicht in Kirchenangelegenheiten einmischen sollten.

Obwohl die Russische Orthodoxe Kirche ihrer ukrainischen Schwester im Jahre 1992 eine eigene Bischofssynode zubilligte sowie das Recht, selbst Bischöfe zu weihen und ohne Rücksprache Heiligsprechungen vorzunehmen, ist diese Autonomie eine bloß inoffizielle. Weder taucht sie im Namen auf, noch ist sie im Bewußtsein der breiten Bevölkerung verankert. Dies liegt auch daran, daß sie als Kirche für die große Zahl der in der Ostukraine lebenden Russen wahrgenommen wird.

Während die Regierung in Kiew und die beiden anderen ukrainischen orthodoxen Kirchen für eine Aufhebung der Spaltung unter dem Dach einer unabhängigen Ukrainischen Orthodoxen Kirche eintreten, will das Moskauer Patriarchat nur eine "Rückkehr der Schismatiker" unter ihre Fittiche akzeptieren.

Daß der Streit auch international Kreise zieht, zeigt die Unterstützung des Kiewer Standpunktes durch den Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I. Dieser genießt traditionell einen bevorzugten Status in der weltweiten Orthodoxie und streitet die Zugehörigkeit der Ukraine zum kanonischen Gebiet der Russischen Orthodoxen Kirche energisch ab.

Ähnlich hatte sich Bartholomäus I. bereits 1996 in bezug auf Estland verhalten, als sich einige Mitglieder der Estnischen Orthodoxen Kirche von Moskau abwendeten und sich statt dessen dem Patriarchat Konstantinopels unterordneten.

Während der Kirchenkampf in der protestantisch geprägten Baltenrepublik von untergeordneter politischer Bedeutung war, berühren die aktuellen Streitereien in der Ukraine das Selbstverständnis dieses labilen Staatsgebildes. Nur wer sich darüber im klaren ist, kann auch die Empörung der 3000 national-ukrainischen Demonstranten vor der Kiewer Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale verstehen.