28.03.2024

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30.09.00 Brüssels Angst vor Dänemark: Symptom einer existentiellen Krise der EU?

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. September 2000


Brüssel:
Zittern vor dem Zwerg
Die Angst vor Dänemark: Symptom einer existentiellen Krise der EU?
Brüssels Angst vor Dänemark: Symptom einer existentiellen Krise der EU?

Wenn ein Koloß von 360 Millionen Einwohnern vor einem Kleinstaat zittert, der mit seinen fünf Millionen kaum mehr anderthalb mal so viele Menschen umfaßt wie Berlin, dann stimmt etwas nicht. Das Euro-Referendum der Dänen kam über die EU zu einem Zeitpunkt, da sich mehrere schwerwiegende Probleme zu einer existentiellen Krise zu verdichten drohen.

Im Herbst soll die Union grundlegend reformiert werden. Ziel ist es, ihre Entscheidungsgremien, etwa die Kommission, zu straffen. Die Kommission ist eine Art EU-"Regierung", jedes Mitgliedsland entsendet mindestens einen Kommissar, die großen zwei. Bleibt diese Konstruktion über die geplante Osterweiterung hinaus erhalten, laufen in Brüssel also alsbald an die vierzig "EU-Minister" herum. Und diese müßten noch dazu die meisten Entscheidungen – nach bisheriger Vorschrift – einstimmig fällen.

Daher heißt die Devise: Kommission verkleinern und den Bereich für Mehrheitsentscheidungen erweitern. Verkleinerung würde jedoch bedeuten, daß diverse EU-Staaten gar keinen Kommissar mehr entsendeten. Dies träfe die kleinen, und die wehren sich vehement. Schon immer hatten sie die großen EU-Mitgliedsstaaten im Verdacht, sie überrumpeln zu wollen. Seit der absurden Jagd auf Österreich ist aus dem Verdacht Gewißheit geworden. Von Anfang bis Ende der Sanktionen galt es als offenes Geheimnis, daß eine derartige "Strafaktion" gegen ein großes EU-Land undenkbar wäre. Voilà.

Andererseits sind auch die Großen unzufrieden, weil der Bevölkerungsumfang der Staaten bei ihrer Repräsentation in den EU-Leitungsgremien insgesamt kaum Niederschlag findet. Vor allem Deutschland ist hier grob benachteiligt und drängt auf Abhilfe. Erst kürzlich holte sich Kanzler Schröder hierfür die Unterstützung seines spanischen Kollegen Aznar ab.

Zur Zeit ist völlig unklar, wie die gänzlich auseinanderstrebenden Ansprüche in Übereinstimmung gebracht werden sollen.

Derweil werden die Beitrittskandidaten jenseits der Oder-Neiße immer nervöser. Möchte man sie überhaupt noch? Oder sollten sie es sich im Wartezimmer für die nächsten vierzig Jahre bequem machen – wie die Türken, denen die EWG/EG/EU irrsinnigerweise seit 1963 einen Beitritt in Aussicht stellt, der nie kommen wird?

Selbst Berlin, das sich einst champagnerlaunig zum größten Befürworter einer baldigen Osterweiterung aufschwang, weiß offenkundig nicht mehr recht, ob es das noch will, noch wollen kann: Denn ohne die zufriedenstellende Lösung der oben genannten Strukturfragen legte eine Osterweiterung um Polen, die Tschechei, Ungarn, Slowenien, Estland und Malta die EU-Gremien praktisch lahm.

Es ist dies auch das Erbe der Europapolitik Helmut Kohls, der alle Kritiker beiseite schob oder gar als Antieuropäer denunzierte, die ihn warnten: Wer zuviel zu schnell will, gefährdet das ganze Projekt. Halbheiten und faule Kompromisse werden sich eines Tages böse rächen und womöglich alles zum Einsturz bringen.

Halbheit, fauler Kompromiß, zuviel, zu schnell – was bis vor kurzem mit verschiedensten ähnlichen Attributen umrissen wurde, trägt heute einen einzigen Namen: Euro.

Schon seit 1988 angedacht als Projekt für die Zukunft, geriet die Gemeinschaftswährung ab 1990 zur Panikreaktion auf die deutsche Einheit. Mitterrands und Thatchers Panik vor den Deutschen und Kohls Panik vor der Panik der anderen. Die D-Mark, das Symbol deutscher Stärke, sollte verschwinden, um jeden Preis.

So wurde eine hastig zusammengeschusterte Fehlgeburt geworfen – und vor allem: der Terminplan war in jeder Etappe seiner Einführung wichtiger als die Frage, ob man sich hinsichtlich der Rahmenbedingungen überhaupt einig war. Man war und ist sich nicht einig: Die Franzosen wollen nach wie vor eine Weichwährung als Instrument staatlicher Konjunkturpolitik, die Deutschen werden von ihren Parlamentsparteien mit dem Trugbild getäuscht, ihr neues Geld sei hart, und die Italiener haben – vor wie nach der Euro-Einführung – offenbar überhaupt kein rechtes Verhältnis zu ihrer Währung. Daneben steht eine Europäische Zentralbank, die de facto machtlos ist. So verfiel der Euro, erst wurden Auslandsreisen teurer, dann stiegen die Energiepreise überproportional (weil in Dollar abgerechnet), und schließlich schleicht die allgemeine Inflation ins Land.

Wer indes den bisherigen Verfall schon als schlimmste Euro-Krise begreift, wird bald eines Besseren belehrt. Bislang hält sich die Konjunktur noch recht wacker. Was, wenn sie einbricht? Dann erst werden die inneren Widersprüche, die fundamentalen Geburtsfehler des Euro voll durchschlagen. Erste Finanzexperten geben die Einheitswährung für diesen Fall bereits jetzt verloren. Hans Heckel