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14.10.00 Totengräber des Friedens

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Oktober 2000


Nahost:
Totengräber des Friedens
Unheilige Allianz: Ariel Scharon und die islamischen Scharfmacher

Ein Land, zwei Völker und drei Kriege zwischen 1948 und 1973. Dies ist die prekäre Ausgangsposition für Israelis und Palästinenser. Noch deutlicher wird die Brisanz, wenn man die räumliche Enge hinzuzieht, in der sich die nicht enden wollende Nahostkrise von Abgrund zu Abgrund schleppt:

Israel umfaßt mit seinen gut 21 000 Quadratkilometern etwa die Fläche von Hessen. Rund die Hälfte davon nimmt die karge Negev-Wüste ein. Auf dem Rest drängeln sich über fünf Millionen Menschen. Das Westjordanland (1,8 Millionen Einwohner) ist mit seinen 6300 Quadratkilometern etwas mehr als doppelt so groß wie das Saarland, der Gazastreifen erreicht nicht einmal die Hälfte der Fläche Hamburgs, beherbergt aber dennoch über eine Million Menschen.

Aufgeladen mit religiösen und nationalen Gegensätzen ist hier eine Gemengelage entstanden, die jeder Funke zur Explosion bringen kann. Ariel Scharon war es, der mit seinem Marsch auf den Tempelberg den Funken zündete. Er wußte, daß sein Besuch, garniert mit aufreizenden Worten in Richtung Muslime, die Palästinenser zur Weißglut treiben würde. Die "Zeit" urteilt: "Ganz kalt betrachtet, ist Ariel Scharon, Ex-Verteidigungschef und Möchtegern-Premier, ein Terrorist in der Tradition von Hamas und Dschihad." Seit seinem Ausflug am 28. September ist in dem den Christen, Juden und Moslems heiligen Land der Teufel los.

Scharon steht für jene Israelis, denen schon das Wort "Friedensprozeß" ein Graus ist. Sie glauben, daß Israel hier nur verlieren kann – und haben, so zynisch es klingen mag, sogar gute Argumente dafür. Der Judenstaat hat in der Vergangenheit alle Kriege gegen seine arabischen Widersacher gewonnen. Nunmehr ist Israel Atommacht, sollte es also erneut zum Äußersten kommen, haben seine Feinde keine Chance. Scharon blickt auf die Landkarte und sieht, was sein Land in den Kriegen alles erobert hat: neben Westjordanien, dem Golan und Gaza auch die große Sinai-Halbinsel und die "Sicherheitszone" im Südlibanon. Das meiste davon ging dann in diversen "Friedensprozessen" wieder verloren. Jetzt erhoben die Palästinenser gar Anspruch auf einen Teil Jerusalems, und Ehud Barak schien kurz davor, ihnen hier entgegenzukommen – da setzte Ariel Scharon seinen Fuß auf den Tempelberg und den Friedensverhandlungen ein vorläufiges Ende.

Aus der Sicht der Palästinenser sieht die Sache freilich anders aus. Einst kamen nur einige jüdische Siedler in ihr Land. Dann schwoll der Strom an, und schließlich wollte die Uno ihre Heimat 1947 zur Hälfte ganz den Juden übereignen, es kam zum Krieg, und die Reste Palästinas, Gaza und Westjordanland teilten sich Ägypten und Transjordanien. Nach abermaligem Krieg ging auch dies unter israelische Herrschaft. Die Palästinenser sehen sich von aller Welt verraten und von Israel zutiefst erniedrigt. Ihr Anführer Arafat läuft von Verhandlungstisch zu Gipfeltreffen, wo er – so der Eindruck seiner Landsleute – um ein paar Krümel ihrer Heimat betteln muß. Der Palästinenser-Präsident steht in der akuten Gefahr, vom Symbol des heldenhaften Kampfes zur Inkarnation von Demütigung und Niederlage zu schrumpfen. Arafat spürt dies nur zu genau, wie seine harte Rhetorik der vergangenen Tage belegt.

Die strategische Ausgangslage der Palästinenser ist im Vergleich zu der oben geschilderten Potenz Israels verzweifelt. Die Appelle an die "arabischen Brüder" werden mit kaum mehr als Vermittlungsangeboten (Ägyptens Husni Mubarak) oder dramatischen Reden (Iraks Saddam Hussein) quittiert. Pakistan, die einzige islamische Atommacht, ist selbst ein fragiles Vielvölkergemisch und ausschließlich auf das Kräftemessen mit dem Nachbarn Indien konzentriert. Der könnte sich nur freuen, wenn Islamabad mit seiner "Bombe" in Richtung Tel Aviv auch nur fuchtelte – hätte dies doch sehr wahrscheinlich einen vernichtenden Präventivschlag Israels oder gar der USA und mithin die Vernichtung des (bescheidenen) pakistanischen Nuklearwaffenpotentials zur Folge.

Was Israel fürchten muß, ist, daß ein Heer von fanatisierten, entwurzelten und perspektivlosen Palästinensern das Land in einen schmutzigen Dauerbürgerkrieg stürzt, zumal sogar in der jüdischen Bevölkerung die Gewalttätigkeiten rapide zugenommen haben. Dabei darf nicht übersehen werden, daß neben den 2,8 Millionen Einwohnern des Westjordanlandes und Gazas noch einmal rund eine Million Araber in Israel selbst leben – ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. So bleibt selbst der geheime Traum mancher Israelis, einfach einen hohen Zaun um das Land zu ziehen und so Frieden zu erzwingen, eine Illusion. Israelis und Palästinenser werden auf Dauer mit dem natürlichen Krisenpotential von Mehrvölkerstaaten leben müssen. Hans Heckel