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28.10.00 Stalin wollte den Angriffskrieg

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28. Oktober 2000


Mai 1941:
Stalin wollte den Angriffskrieg
Historiker Magenheimer: Neue Belege für Präventivschlag
Von WOLFGANG STRAUSS

Im Sommer 1941 war die Sowjetunion willens und fähig, einen Angriffskrieg gegen Deutschland zu führen "mit dem Trumpf des Überraschungsmoments und mit einer überlegenen modernen Panzerstreitmacht. Der von Stalin gewollte und von seinem Generalstab vorbereitete Blitzkrieg sollte den Charakter eines Vernichtungskrieges tragen. Vernichtung der Wehrmacht, Vernichtung der deutschen Volkskraft, Vernichtung des Deutschen Reiches, Vernichtung deutscher Staatlichkeit überhaupt". Der Nachweis dieser Erkenntnis bedeutet eine historische Wende in der Kriegsursachenforschung. Die Geschichte über Motivation und Ausbruch des sowjetisch-deutschen Krieges muß neu geschrieben werden.

Zu diesem Zweck erschien soeben ein Buch des renommierten österreichischen Militärhistorikers Heinz Magenheimer: "Entscheidungskampf 1941. Sowjetische Kriegsvorbereitungen. Auf-marsch. Zusammenstoß." (Mit Karten und einem Nachwort von Klaus Hammel, 211 S., Osning Verlag, Bielefeld 2000, DM 58 Mark)

Der Band beschäftigt sich ausführlich mit der "Präsentation neuer russischer Dokumente", den "Aufmarsch- und Angriffsvorbereitungen der Sowjetunion" und mit den "Kriegsverlusten der Sowjetunion 1941–1945".

Andere Kapitel befassen sich mit dem Molotow-Besuch in Berlin 1940, mit dem Balkankrieg und seiner Verflechtung mit dem Unternehmen "Barbarossa", schließlich mit der Beurteilung der Roten Armee durch die deutsche Führung "und natürlich mit sämtlichen Aspekten der Präventivkriegsthese, sowohl aus deutscher wie aus kommunistischer Sicht."

Der Autor faßt den neuesten Erkenntnisstand der Weltkrieg-II-Forschung nach Auswertung russischer Quellen zusammen. Diese stammen sowohl von den Antirevisionisten wie von jungen Historikern der poststalinistischen Zeit. Zu den Antirevisionisten gehören pensionierte Sowjetmarschälle wie Machmut Garejew, Jurij Gorkow und andere Apologeten der Stalinschen Kriegspolitik, während im Lager der couragierten Geschichtsrevisionisten immer häufiger die Namen Sokolow, Petrow, Meltjuchow, Neweschin, Buschujewa, Doroschenko, Danilow, Bordjugow auftauchen.

Eine junge Kaderschmiede slawischer Kriegshistoriker, denen der von Stalin erfundene "Große Vaterländische Krieg" kein Tabu bedeutet. Damit folgen sie ihrem Vorbild und einem nationalen Symbol, dem Artillerieoberleutnant Alexander Solschenizyn, der als Revisionist der ersten Stunde den sakrosankten Begriff "Großer Vaterländischer Krieg" in Gänsefüßchen gesetzt hat, in seinem Epochen-Essay "Die russische Frage am Ende des 20. Jahrhunderts". Der Text erschien 1994 im Juli-Heft des führenden russischen Kulturmagazins "Nowyj Mir" (Neue Welt). Für Solschenizyn war kein anderer als General Andrej Wlassow die Verkörperung eines realen Vaterländischen Krieges.

Magenheimer beruft sich unter anderem auf Solschenizyn-Schüler, die 1995 ein epochales Werk des russischen Geschichtsrevisionismus herausbrachten, in einem angesehenen wissenschaftlichen Moskauer Verlag: "Hat Stalin einen Angriffskrieg gegen Hitler vorbereitet?" (Richtig müßte es heißen: gegen Deutschland, wurde doch in sämtlichen sowjetischen Aufmarschplänen der Feind mit "Deutschland" bezeichnet.)

Der deutsche Angriff im Juni 1941 bedeutete keinen "wortbrüchigen Überfall" auf eine "friedliebende Sowjetunion", stellt Magenheimer in Übereinstimmung mit russischen Historikern der Revisionismus-Schule fest. "Die Sowjetunion war alles andere als friedliebend und hatte sich geistig und materiell auf einen Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten eingestellt. Von einem Überfall konnte keine Rede sein, denn die politische, aber auch die militärische Führung war weder ahnungslos noch falsch informiert. Die Rote Armee hatte umfangreiche Kriegsvorbereitungen getroffen. Daß der deutsche Angriff an vielen Stellen auf einen überraschten Gegner traf, lag einerseits darin, daß die grenznahen Truppen höchst unzulänglich auf Verteidigung vorbereitet waren ..." (S. 167)

Zwei Kardinalthesen Magenheimers bestimmen die wissenschaftliche Tendenz von "Entscheidungskampf 1941". Erstens die aktenmäßig erwiesene Erkenntnis von der Absicht Stalins, in einem sowjetischen Erstschlag die deutsche Armee nicht nur zur Kapitulation zu zwingen, sondern sie total auszulöschen. Zweitens die Erkenntnis vom Präventiv-Charakter des deutschen Gegenschlages am 22. Juni 1941, was bedeutete, daß man dem Startsignal des Stalinschen Vernichtungskrieges nur um Wochen zuvorgekommen war. Magenheimer behauptet, daß aus Stalins Sicht der Angriffsgedanke der gültigen bolschewistischen Militärdoktrin entstammte.

Danach wurde, seit den Tagen Lenins und Trotzkijs, allein dem Lager des Marxistischen Sozialismus die Führung eines "gerechten Krieges", eines "Befreiungskrieges" zugebilligt. Ein solcher Krieg sollte offensiv und entscheidungssuchend auf dem Territorium des kapitalistischen beziehungsweise faschistischen Klassenfeindes ausgetragen werden.

Magenheimer schlußfolgert: "Die im Frühjahr 1941 mit großem Elan getroffenen Kriegsvorbereitungen besaßen vom Umfang und von der Dislozierung her Angriffscharakter. Die Rekonstruktion des Aufmarsches von der Divisions- bis zur Frontebene läßt keinen anderen Schluß zu." Der Verfasser bezieht sich hier auf den von Stalin gebilligten und paraphierten "Schukow-Plan" vom 15. Mai 1941: "... aus weltgeschichtlicher Perspektive das verhängnisvollste Dokument der vierziger Jahre." Auch die gewaltige Zahl bei Panzern, Artillerie, Geschützen und Kampfflugzeugen unterstreiche seine Schlußfolgerung, meint Magenheimer. "Ein Aufmarsch in der Größenordnung von rund fünf Millionen Mann konnte nicht offensiv und defensiv zugleich ausgerichtet sein. Wozu brauchte die Rote Armee eine drei- bis sechsfache Überlegenheit bei den Hauptwaffensystemen, wenn sie nur verteidigen wollte?" (S. 168)

Plante Stalin den Überfall auf Deutschland noch im Sommer 1941, im Juli oder August? Magenheimer bejaht die Frage, indem er feststellt: "Der sowjetische Aufmarsch in den westlichen Militärbezirken stand am 22. Juni 1941 kurz vor dem Abschluß." Für die Vorverlegung der Zweiten strategischen Staffel und der strategischen Reserven sei nur noch ein Zeitraum von zwei bis vier Wochen erforderlich gewesen. Diesen Tatbestand unterstreicht im Nachwort auch der Historiker Klaus Hammel. So betont er, Magenheimer habe nachweisen können, daß die sowjetischen Angriffsvorbereitungen und die Planungen für einen Offensivaufmarsch bis in den Sommer 1940 zurückreichen. "In eine Zeit also, in der auf deutscher Seite Überlegungen für einen Feldzug gegen Sowjetrußland noch in den Anfängen stecken."

Hammel entdeckt eine Angriffsdoktrin in allen sowjetischen Plänen. "Alle bisher publizierten Kriegspläne gegen Deutschland im Zeitraum Juli 1940 bis Mai 1941 gehen von einem eigenen Angriff auf das Territorium des Gegners aus." Ein Plan zur Abwehr eines deutschen Angriffs auf der Grundlage eines Defensivaufmarschs sei aus den Archiven bisher nicht aufgetaucht (S. 184).

In einer gänzlich unpolemischen Abrechnung mit der "anti-revisionistischen Schule" in Deutschland fallen im Nachwort die Namen Messerschmidt und Überschär, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, da deren Doktrinen als "prosowjetisch und apologetisch –, gipfelnd in der Behauptung, bei der Präventivkriegsthese handle es sich um eine ,Legende‘ oder ,Fälschung‘ –, von renommierten deutschen Historikern wie Werner Maser, Joachim Hoffmann, Ernst Nolte, Hans-Werner Neulen, Ernst Topitsch, Walter Post, Franz M. Seidler ad absurdum geführt worden sind". – Von den Entschlüsselungen russischer Geschichtsforscher aus der "jungen Garde" Solschenizyns ganz abgesehen. Durch sowjet-apologetische Stellungnahmen hat das Militärgeschichtliche Forschungs-Amt (MGFA, früher Freiburg, jetzt Potsdam) von seinem wissenschaftlich-objektiven Renommee viel verloren.

Unter Manfred Messerschmidt mutierte das einst international anerkannte MGFA zu einer deutschen Filiale der von Sowjetmarschall Machmut Garejew dirigierten Akademie für Kriegswissenschaften, sprich Pseudowissenschaften des Stalinschen Geschichtsdenkens. Das Wendejahr 1989, das "annus mirabilis", scheinen die Messerschmidt und Überschär und mit ihnen alle Konterrevisionisten verschlafen zu haben.

An kongenialen Werken russi-scher Geschichtsrevisionisten herrscht kein Mangel, und die Flut ihrer Enthüllungsschriften wird noch steigen, denn, wie Klaus Hammel feststellt: "Der russische Historikerstreit hat bewiesen, daß die Erforschung des Zeitraums nach der russischen Revolution bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion in vielen Ausschnitten noch in den Anfängen steckt."

In den Anfängen steckt auch die Erforschung der Opferzahlen im Stalinschen Vernichtungskrieg, den der Diktator ja nicht nur gegen das deutsche Volk führte, sondern auch und vor allem gegen die eigene Bevölkerung, gegen die Ethnien der multinationalen Sowjetunion, von Solschenizyn als "Völkerzuchthaus" bezeichnet. Diesem Aspekt widmet Heinz Magenheimer ein erschütterndes Kapitel.

Es stehe fest, daß die Sowjetunion die höchsten Menschenverluste während des Zweiten Weltkrieges erlitten habe, betont Magenheimer. "Unter diesem Blickwinkel fragen kritische Stimmen nach dem Sinn dieser Hekatomben von Blutopfern in der Roten Armee."

Und an anderer Stelle: "Seine (Stalins) äußerst rücksichtlose Kriegsführung trug Mitverantwortung am Verlust von 3,3 Millionen Kriegsgefangenen und mindestens 1,75 Millionen Gefallenen allein bis Jahresende 1941. Läßt man die Verwundeten außer Betracht, so entfielen von den militärischen Kriegsverlusten der Sowjetunion" – Gefallene, Gefangene, Vermißte, im Zuge der Kriegseinwirkungen und an Verwundungen Verstorbene –"mindestens 42 Prozent auf das Jahr 1941." Magenheimer schätzt die tatsächlichen militärischen Verluste der UdSSR bis 1945 auf 9,2 Millionen Mann.

Über die nichtmilitärischen Verluste schreibt Magenheimer, die horrende Zahl von 17,4 Millionen Ziviltoten sei zum "Großteil" die direkte Folge des stalinistischen Totalen Krieges an der Heimatfront, in der Etappe. Millionen von Russen wie Nichtrussen seien den "Repressionen Stalins gegen die eigene Bevölkerung, etwa im Zuge der Zwangstransporte", zum Opfer gefallen.

Deportation, Zwangsarbeit für Frauen, Jugendliche, Alte: für die Opfer der Vernichtungsstrategie an der inneren Front steht kein Denkmal in Moskau und für sie ertönt kein Salut bei der "Sieges-parade" am 9. Mai. Rußlands Zwangsarbeiterinnen von damals, eingesetzt in Mittelasien, am Eismeer oder in Sibirien, erhielten vom sowjetischen beziehungsweise russischen Staat keine Entschädigung. Abgesehen davon, daß nur die wenigsten den Kriegs-Gulagismus überlebt haben.