19.04.2024

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04.11.00 "... künstlich inszeniert"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. November 2000


Gedanken zur Zeit:
"... künstlich inszeniert"
Kollektivschuldthese wankt / Von Wilfried Böhm

Es gibt sie noch, die jungen Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft Deutschlands machen. Volker Kempf, geboren 1968 und Diplomsozialwissenschaftler, beweist das mit seinem Buch "Stigma deutsch" (Haag u. Herchen, Frankfurt, 2000).

Kempf bezieht sich darin auf Eving Goffman, der festgestellt hat, daß neben allgemein negativ bewerteten Merkmalen, wie zum Beispiel "vorbestraft", auch die Zugehörigkeit zu einer Nation als "Stigma" gelten kann. Wenn man davon ausgeht, daß in der Soziologie unter "Stigmatisierung" die Diskriminierung von einzelnen und Gruppen durch Zuordnung bestimmter von der Gesellschaft negativ angesehener Merkmale verstanden wird, dann ist Kempf recht zu geben, wenn er die Frage aufwirft, ob heute die Deutschen diskriminiert werden, und zwar vor allem von Deutschen selbst, was sich im "Deutschland verrecke!" an Häuserwänden niederschlägt.

Kempf sieht die Quelle dieser Stigmatisierung in der Kollektivschuldthese, die der Schweizer Wegbereiter der modernen Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung in den Jahren 1945/46 unter die Leute brachte. Damals war Deutschland, das in Jahrhunderten Großartiges zur Weltkultur beigetragen hatte, "mit dem Nationalsozialismus so tief gefallen, wie es kaum ein anderes Land fertigbrachte" (Kempf). Jung habe damals gesagt, die Unterscheidung "zwischen anständigen und unanständigen Deutschen" sei schlicht falsch. Alle seien schließlich "bewußt oder unbewußt aktiv oder passiv an den Greueln beteiligt" gewesen, und deshalb sollten die Deutschen "zur Anerkennung dieser Schuld" gebracht werden.

Die Thesen Jungs waren zur gleichen Zeit bereits Bestandteile der Politik der Siegermächte, bis diese hinter den neuen Erfordernissen des Kalten Krieges zurücktraten. Diese Thesen blieben jedoch latent in der internationalen und auch in der innerdeutschen Politik. Durch ihre Unterordnung unter politische Nützlichkeitserwägungen verloren sie jedoch mehr und mehr ihre moralische Grundlage und gerieten zur politischen Agitation und Schlagwaffe mit pseudomoralischer Begründung und zu Stigmatisierungsstrategien.

Kempf verweist darauf, daß bereits 1978 der Sozialdemokrat und ehemalige Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs Professor Heinz-Dietrich Ortlieb bemerkte: "Für viele ist ein vermuteter Neonazismus auch nur deswegen interessant, weil er als diffamierendes Schimpfwort gegen diejenigen verwendbar ist, die zahlreichen Zeitgenossen politisch unpassend und hinderlich erscheinen. So muß er notfalls erfunden oder gar künstlich inszeniert werden, damit man sich empören und von den eigenen Machenschaften ablenken kann."

Die von "Gutmenschen" praktizierte politische Korrektheit ist nach der Wiedervereinigung in einen engen Zusammenhang mit dem Mythos vom "Antifaschismus" getreten, den die vom Volk gestürzten Kommunisten zur Wiederaufbereitung der Trümmer ihrer ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Ideologie einsetzen. Bis das Volk mit seiner friedlichen Revolution dem kommunistischen Totalitarismus ein Ende machte, stigmatisierten die "Friedenskämpfer" und ihre Mitläufer in Ost und West die der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichteten Gegner des Kommnismus als "Kalte Krieger", "Ewiggestrige" und "Revanchisten".

Heute ist der konformistische Druck in Deutschland fast noch stärker als in den Jahren, in denen die kommunistische Gefahr, gestützt auf die atomar bewaffnete Sowjetunion, wenigstens denen vor Augen stand, die sehen wollten. Heute wird jeder, der ein demokratisches Nationalbewußtsein als Grundlage einer gemeinsamen Zukunft Europas verlangt und sich zu konservativen Lebensauffassungen als Voraussetzung dazu bekennt, in die Nähe des Neonazismus, des Faschismus oder des "Rechtsextremismus" gerückt, zu denen er zumindestens eine "Brückenfunktion ausübt, und deswegen als "gefährlich" eingestuft.

CDU und CSU müssen erkennen, daß sich diese Agitation auch gegen sie richtet und nicht nur gegen solche, die sie als politische Konkurrenten ansehen. Schon wird die Erörterung der Zuwanderung im Wahlkampf von der SPD als "in höchstem Maße unanständig" bezeichnet und den Bürgern vorgeschrieben, womit sie sich nicht zu beschäftigen haben. Wenn Jörg Haider sich als Jogger abbilden läßt, ist das für einen eifrigen "Rechtsextremismusforscher" Ausdruck für den "Macho-Typus" und den Sozialdarwinismus der Nationalsozialisten. Ähnliches ist über den joggenden Außenminister Fischer allerdings noch nicht zu lesen. Womit deutlich wird, daß für politisch korrekte "Gutmenschen" nicht entscheidend ist, was gesagt oder getan wird, sondern allein, wer etwas tut oder sagt. Genau das aber entlarvt die Stigmatisierung als Instrument zur politischen Herrschaftsausübung. Darauf hinzuweisen ist das Verdienst des Buches von Volker Kempf.