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11.11.00 "Kennen Sie mich noch, Exzellenz?"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. November 2000


"Kennen Sie mich noch, Exzellenz?"
Boyen: Lötzens berühmte Feste wurde 1848 erbaut
Von Ruth Geede

Wenn über Lötzen gesprochen wird, taucht auch der Name "Boyen" auf, "Feste Boyen" wohlgemerkt. Der stolze Name wurde dem Bauwerk bereits drei Jahre nach der Grundsteinlegung 1844 von dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. verliehen und behielt ihn 100 Jahre. Und wenn die feste Boyen bis zum Ersten Weltkrieg noch wenig bekannt war, trug sie sich mit der erfolgreichen Verteidigung durch Oberst Busse im September 1914 in die Weltkriegsgeschichte ein. Als überall im Reich die Siegesglocken für Tannenberg geläutet wurden, klangen auch die für die Feste Boyen mit. Die meisten Deutschen fragten sich allerdings: "Wo liegt denn diese Boyen?" Und meinten, daß es ein masurischer Ortsname sei – selbst manche Ostpreußen glaubten es. Die Feste erhielt aber ihren Namen von ihrem Gründer, dem damaligen preußischen Kriegsminister Hermann von Boyen.

Dem 73jährigen General lag nämlich die Sicherheit seiner ostpreußischen Heimat sehr am Herzen. 1771 in Kreuzberg geboren, wo sein Vater Kommandant eines Garnison-Regimentes war, trat der Zwölfjährige nach dem Tod der Eltern in ein Königsberger Infanterie-Regiment ein. Die Krönungsstadt bot ihm nicht nur eine glänzende militärische Ausbildung, sondern auch die Möglichkeit, Kant zu hören. Dessen Humanitätsbegriff begleitete ihn durch sein ganzes Leben und fand in vielen Veröffentlichungen ihren Niederschlag, so in der Schrift über "die humanere Behandlung des gemeinen Soldaten". Diese und andere im Kantschen Geiste gehaltenen Ausführungen führten ihn in Berlin mit Scharnhorst zusammen, der ihm zum Lehrer und Freund wurde.

Eine schwere Zäsur gabe es in seinem Leben, als der 35jährige Stabskapitän in der für Preußen so unheilvollen Schlacht bei Auerstedt schwer verwundet wurde. ein Schuß riß ihm die ganze linke Lende auf. Der Gedanke, als Krüppel seinem Vaterland nicht mehr dienen zu können, war ihm unerträglich. Aber als seine Heilung durch gute ärztliche Betreuung in Weimar doch Fortschritte machte, wuchs in ihm der Wunsch, in seine Heimat Ostpreußen zu gelangen, wo sich die Reste der preußischen Armee versammelten. Als "Gärtnergehilfe Hermann Beyer" erreichte er nach langer Reise, die auch durch österreichisches Gebiet führte, seine alte Garnison Bartenstein, wo bereits sein treuer Bursche mit Pferden und Gepäck wartete. Nach dem Frieden von Tilsit im Jahre 1807 wurde er jüngstes Mitglied der Kommission für den Aufbau des Heeres in Königsberg. Als Preußen 1812 als verbündeter Napoleons gegen Rußland ziehen mußte, trat Boyen in russische Dienste, wurde aber im fogenden Jahr wieder in den preußischen Generalstab übernommen. Zum Kriegsminister ernannt baute er 1814 die Allgemeine Wehrpflicht auf. Als seine Bemühungen um die Eingliederung der Landwehr in das aktive Heer scheiterten, nahm Boysen seinen Abschied und glaubte, daß damit auch seine militärische Laufbahn beendet sei.

Das schien auch so – 20 Jahre lang, in denen er schriftstellerisch tätig war. Aber als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg, berief er den fast 70jährigen erneut zum Kriegsminister. Und jetzt konnte Boyen seine Ideen zur Neubefestigung Ostpreußens verwirklichen, die er schon 1818 vergeblich vorgebracht hatte. Er erwirkte 1841 eine Kabinettsorder, in der er für die Sicherung der östlichen Grenze den "Paß von Lötzen" empfahl, "da er nicht nur allein den Erfordernissen durch seine natürliche Lage entspricht, sondern es zugleich verhindert, daß sich der Feind dort in den wichtigen Abschnitten der Masurischen Seen festsetzen und von dort aus jede Aufstellung an der Grenze in die Flanke nehmen kann."

So entstand auf dem "Isthmus von Lötzen", der Landenge zwischen dem Mauer- und dem Löwentinsee, das Festungswerk, für das der 73jährige General von Boyen am 4. September 1844 den Grundstein legte. Im Rahmen einer denkwürdigen Feier, zu der fast alle 2200 Einwohner der Stadt Lötzen und viele Gäste aus Preußen, vor allem aus Königsberg und Berlin, gekommen waren. Und dabei soll es, wie der beste Kenner der ostpreußischen Militärgeschichte, Dr. Walther Grosse, berichtet, zu einer eigenartigen Begegnung gekommen sein:

Ein alter Mann im masurischen Bauernrock drängte sich durch die Mauer von Gästen und Zuschauern, die sich um Boyen gebildet hatten, und frage ihn: "Kennen Sie mich noch, Exzellenz? Ich bin doch der Michalik!"

Verwundert überlegte der General: "Michalik, Michalik, kommt mir irgendwie bekannt vor!"

"Das will ich meinen, Herr General, wir haben doch zusammen vor 60 Jahren im Quartier in der Dachkammer auf dem Hinter-Roßgarten in Königsberg gewohnt, beim Unteroffizier Malossa und seiner Frau. Der Herr General als 14jähriger Fahnenjunker und ich als Musketier!"

Boyen schüttelte dem alten Mann die Hand: "Aber ja, wie freue ich mich, einen alten Kameraden wiederzusehen." Und dann ergingen sie sich auf- und abmarschierend in Erinnerungen, wobei zum allgemeinen Erstaunen der General seinen Arm um den Hals des alten Masuren legte.

"Ach ja", meinte der Michalik, "das waren harte Zeiten, wenn der Schnee in die Kammer auf Decke und Strohsack stiemte. Und wenn ich dem Fahnenjunkerchen den Zopf flocht und ihm die Augen tränten, weil es so ziepte!"

"Unser guter Malossa," erinnerte sich der General, "er stammte ja wohl auch aus Lötzen. Und seine brave Frau, die wie eine Mutter zu mir war. Wie oft hat er mir an kalten Wintermorgen das Revidieren der Quartiere abgenommen." So ging es, bis ein Adjutant zur Abahrt mahnte.

Beide schieden schweren Herzens. Der General wollte noch wissen, ob es dem Alten an irgend etwas mangele. Aber der lehnte jede Unterstützung dankend ab, das Wiedersehen sei ihm, dem Korbflechter und Fischer am Löwentin, Freude und Ehre genug gewesen.

Drei Jahre später verschied Boyen im Alter von 76 Jahren als Generalfeldmarschall. Die Vollendung seines Alterswerkes hätte er auch nicht erlebt, wenn er 100 Jahre geworden wäre. Denn der Bau ging langsam voran, sparsam, wie die Preußen nun einmal sind, wurden selbst die letzten Reste des versandeten Forts Lyck zum Bau verwendet. Erst 1875 war das Werk fertig, das den Namen seines Gründers bekam: Feste Boyen. Doch damit nicht genug. Die sechs Bastionen erhielten seine Vornamen: Leopold, Ludwig, Hermann, und die Worte seine Wahlspruches: Recht, Licht, Schwert.