20.04.2024

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25.11.00 "Hier läßt sich noch etwas bewegen"

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. November 2000


"Hier läßt sich noch etwas bewegen"
Trakehnen: Gebürtiger Schlesier leitet Praxis und zahntechnisches Labor

Ingo Warwas ist gebürtiger Schlesier. Heute praktiziert er im schwäbischen Munderkingen. Seit 1991 hält sich Dr. Warwas bereits zum dreißigsten Mal für jeweils mehrere Wochen in Trakehnen auf, um die dortige Bevölkerung mit modernstem Gerät aus Deutschland zahnmedizinisch zu behandeln. Er erinnert sich: Die Anfänge im Gebietskrankenhaus von Ebenrode (Stallupönen) waren alptraumhaft: Technisches Gerät war, wenn überhaupt vorhanden, kaum brauchbar, da völlig abgenutzt und veraltet, die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Eine vorbeugende Zahnbehandlung ist hierzulande unbekannt; zum Zahnarzt geht nur, wer auch wirklich Schmerzen hat. Im Oktober 1991 zog Warwas schließlich in die Sanitätsbaracke Trakehnens um, nachdem dort die sanitären Voraussetzungen geschaffen wurden.

Aufgrund der unbefriedigenden räumlichen Verhältnisse baute er sich 1995 ein Haus, in dem neben mehreren Behandlungsräumen auch eine Wohnung für den jeweils anwesenden Zahnarzt und für die ebenfalls dort seßhaft gewordene rußlanddeutsche Familie Jansen vorhanden ist. Mit der Einrichtung des Hauses gab es keine größeren Probleme, wie Warwas berichtet. Das Grundstück hat er zusammen mit der Familie Jansen auf Erbpacht für dreißig Jahre bekommen. Beim Hausbau selbst beauftragte er zuerst die von Herrn Otto vom Verein zur Förderung der Rußlanddeutschen e. V. geführte Baufirma "Basis". Die Fertigstellung erfolgte allerdings durch litauische Firmen. Entstanden ist ein sehr schönes Haus mit Anbau, das sich mit seinen Dachpfannen und dem sichtbaren Ziegelmauerwerk an den alten ostpreußischen Landarbeiterhäusern orientiert und neben den russischen Häusern mit unverputztem Kalksandstein und Eternitdächern eine wohltuende Abwechslung bietet.

Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ist das Projekt der wenige Kilometer von Trakehnen neu erbauten Siedlung Amtshagen. Im Krieg und danach fast völlig zerstört, wurde sie in der ersten Hälfte der 90er Jahre von der Gesellschaft für Siedlungsförderung Trakehnen (GST) durch einige Neubauten im Siedlungshausstil ersetzt. Mittlerweile werden die Häuser von Rußlanddeutschen bewohnt. Es muß trotz aller Widrigkeiten berücksichtigt werden, welche Hindernisse bürokratischer Natur sich einem solchen Projekt durch die Behörden, die in Rußland alles andere als bürgernah eingestellt sind, in den Weg stellen können.

Mittlerweile finden die neuen Bewohner durch einen 35jährigen aus Mecklenburg-Vorpommern Unterstützung. Dessen Ziel ist es, einen Gartenbaubetrieb aufzubauen, so daß für diese Menschen auch in beruflicher Sicht eine interessante Perspektive geschaffen wurde. Daß Ostpreußen glauben, der Heimat durch materielle Unterstützung Gutes tun zu können, ist natürlich leicht verständlich. Trotzdem empfiehlt es sich oft, kritisch nachzufragen und sich, wenn möglich auch vor Ort, ein Bild zu machen. Unterstützung muß, wo irgend möglich, auch durch eigene Initiative durchgeführt werden, erfordert aber oft auch eine längere persönliche Anwesenheit im Gebiet, um den richtigen Gang der Dinge zu gewährleisten.

Dr. Warwas, der für sein Projekt mit Kollegen einen gemeinnützigen Verein gegründet hat, ist hierfür ein gutes Beispiel, ebenso wie Herr Stahl aus Schulzenwalde, der sich in dem ehemaligen Schulhaus seines Heimatortes einquartiert hatte. Nach der Vertreibung baute er sich in Schleswig-Holstein eine Landwirtschaft auf. Nun ist er in die Heimat zurückgekehrt und wollte, wenn auch in kleinerem Umfang, selbiges nochmals versuchen. Darüber hinaus bot er in seinem geschmackvoll eingerichteten Teil (das Haus ist heute zweigeteilt) auch Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen.

Wie zu erfahren war, hat er mittlerweile seine Zelte wieder abbrechen müssen, zu wenig Touristen und unsichere allgemeine Situation – selbstverständlich hat die Mafia auch bei ihm kräftig Schutzgeld kassiert – dürften die Gründe sein.

Bei Dr. Warwas gestaltete sich das Ganze weniger abenteuerlich. Da Warwas kein gebürtiger Ostpreuße ist, welche Gründe kamen für ihn also in Frage, Strapazen solcher Art auf sich zu nehmen? Die Antwort scheint einfach. Er ist von der Idee überzeugt, daß sich im nördlichen Ostpreußen mit noch verhältnismäßig geringen Mitteln einiges bewegen läßt. Nachdem sich die Exklave, umklammert von Polen und Litauen, immer stärker der EU nähert, stellt sich die Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft des Königsberger Gebiets.

Als Warwas Anfang der 90er Jahre seine Arbeit begann, war sein Hauptziel, dazu beizutragen, daß sich hier, in einem Gebiet, dessen deutsches Gesicht bis zum heutigen Tage allerorten sichtbar geblieben ist, möglichst viele Rußlanddeutsche niederlassen und nicht als Aussiedler nach Deutschland kommen. Es war ihm unverständlich, daß mit deutschem Geld verschiedene Siedlungsschwerpunkte innerhalb Rußlands gefördert wurden und Ostpreußen als in jeder Hinsicht näherliegende Alternative mit demonstrativem Desinteresse bedacht wurde und wird. Mittlerweile mußte er aber erkennen, daß die Rußlanddeutschen sich selbst hier schwer halten lassen. Allen Warnungen zum Trotz, was die drohende Arbeitslosigkeit oder den Kulturschock angeht, zieht es die meisten nach Deutschland, und zwar lieber heute als morgen. So haben sich seine Ziele gewandelt.

Warwas sieht seine Arbeit als Modell deutsch-russischer Zusammenarbeit. Ähnlich denkt auch eine russische Ärztekollegin, die einmal zu ihm sagte: "Du bist ein Teil von Europa; wir brauchen Europa!" Ausdrücklich lädt er alle Interessierten, die Trakehnen besuchen, ein, neben dem Gestüt auch die Praxis zu besichtigen (Informationen über das Projekt von Dr. Warwas: Telefon 0 73 93/44 44 oder 31 01. Fax 0 73 93/12 91). Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich angeblich bereits angekündigt.

Bei einem Rundgang geht man, vom Landstallmeisterhaus kommend, an der Ruine des deutschen Getreidespeichers vorbei und biegt an dem neueren (aber ebenso baufälligen) russischen Speicher rechts ab. Das Haus steht dann nach etwa zweihundert Metern auf der rechten Seite. Warwas sucht allerdings noch Zahnarztkollegen oder auch Studenten zahnmedizinischer Fakultäten, um die Praxis effizienter besetzen zu können. Sie ist modern ausgestattet und verfügt über drei Behandlungsstühle sowie ein modernes zahntechnisches Labor. Außerdem verfügt das Haus über eine Sauna und in der Wohnung können bis zu zehn Gäste untergebracht werden.

Um keine Vorurteile aufkommen zu lassen, behandelt Warwas, wie erwähnt, nicht nur Rußlanddeutsche, sondern auch die Angehörigen sämtlicher anderer im Gebiet lebender Nationen kostenlos. Seine "Kundschaft" reicht von hohen Regierungsvertretern bis hinunter zum einfachen Mann. Das Einzugsgebiet überschreitet Grenzen und erstreckt sich bis nach Sankt Petersburg. So können auch Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden bei mehreren hundert behandelten Patienten innerhalb weniger Wochen nicht verwundern. Michael Berg