20.04.2024

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02.12.00 Bündelung von Kapital und Kompetenz

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. Dezember 2000


Das historische Kalenderblatt: 2. Dezember 1925
Bündelung von Kapital und Kompetenz
Die I.G. Farbenindustrie AG wurde zum größten Chemiekonzern der Welt
Von Philipp Hötensleben

Seit Monaten beherrschen Berichte über geplante, befürchtete, gescheiterte und erfolgreiche Firmenfusionen die Wirtschaftsseiten in der Presse. Die Maßnahme zur Konzentration von Kapital und wirtschaftlichem Potential ist jedoch keine Erfindung unserer Tage. Am 2. Dezember 1925 schlossen sich die Firmen Bayer, BASF, Hoechst, Agfa und weitere kleinere Betriebe zur Interessengemeinschaft Farbenindustrie zusammen, die unter dem Kürzel I.G. Farben schnell als größter Chemiekonzern der Welt bekannt wurde. Damit begann eine unternehmerische Erfolgsgeschichte, die erst durch den unglücklichen Ausgang des zweiten Weltkrieges ein Ende fand. Bereits im Jahres 1904 kommt es durch zwei Konventionen zu lockeren Verbindungen der deutschen Chemieunternehmen. Der sogenannte Dreibund, der bald darauf entsteht, wird gebildet von den Farbenwerken Friedr. Bayer & Badische Anilin- & Soda-Fabrik AG (BASF) in Ludwigshafen und der AG für Anilinfabrikation (Agfa, Berlin). Diesen Großunternehmen treten in den Folgejahren die Farbwerke Hoechst, die Leopold Cassella GmbH und die Kalle & Co. AG bei.

Durch die kriegswirtschaftlichen Erfordernisse des Ersten Weltkrieges werden die Chemiekonventionen 1916 zur Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken erweitert. Dies ist ein Bündnis, in dem acht Firmen gemeinsame Richtlinien festlegen, aber jeder Teilnehmer eine selbständige Produktion, Geschäftsführung und Verkaufsorganisation behält. Als Grund für den Zusammenschluß nennen die Mitgliederunternehmen die Notwendigkeit, billigere Produkte auf den Markt zu bringen als die während des Krieges – und wegen des Krieges – im Ausland entstandene Konkurrenz. Schnell wird deutlich, daß nur eine einheitliche, mit allen Rechten versehene starke Leitung Erzeugung und Absatz der bisher getrennt geleiteten Werke einfacher, billiger und besser gestalten kann. Eine solche Geschäftsführung wird am 2. Dezember 1925 mit der Gründung der I.G. Farbenindustrie erreicht. Führend bei der Fusion ist die BASF. Der neue Konzern ist durch eine dezentrale Organisation mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen Werke gekennzeichnet. Die Anteilseigner der Stammfirmen bleiben der I.G. Farben auf dreifache Weise verbunden: als Aktionäre, als Manager und als Erben einer langen Familientradition. Für bestimmte Sachgebiete bestehen Zentralverwaltungen, so unter anderem für die Bereiche Finanzen, Buchhaltung und Zentraleinkauf. Mit der Einordnung in das Gesamtschaffen der I.G. Farben sind die einzelnen Werke Glieder eines großen Ganzen geworden, das nach Art und Umfang ohne Beispiel in der Welt ist. Durch die
Verschmelzung der großen chemischen Werke Deutschlands entsteht ein Gebilde, das sich nicht einmal mit dem Stahl- oder Petroleum-Trust in den USA vergleichen läßt, denn dort handelt es sich um die Großfabrikation einiger weniger Erzeugnisse, hier jedoch um die gesamte Produktpalette der chemischen Industrie.

Die Anzahl der Beschäftigten beträgt bei der Fusion 83 719. Nur drei Jahre später erreicht sie mit 114 185 ihren Höchststand. Das Kapital der I.G. Farben beträgt bei der Fusion 642 Millionen Reichsmark und steigt bis 1942 auf 1,36 Milliarden Reichsmark. Der Konzern umfaßt während des Kriegs allein in Deutschland etwa 200 Werke, die von ihm zu 50 Prozent oder mehr kontrolliert werden, 400 Inlandsbeteiligungen und 500 Beteiligungen im Ausland. Grundlage für die rasche wirtschaftliche Entwicklung des Konzerns ist eine intensive Forschung, die ihm 9000 deutsche und 30 000 ausländische Patente einbringt. Aus dem Patentbesitz und den technischen Erfahrungen des Konzerns ergibt sich ein wesentlicher Teil seines Monopols. So kann er entscheidende Teile der in- und ausländischen chemischen Industrie von sich abhängig machen und auf einzelnen Produktionsgebieten den Weltmarkt gemeinsam mit großen ausländischen Kartellen aufteilen. Der Konzern ist führend in der Luftstickstoffindustrie, in der Kohlehydrierung sowie in der Erzeugung von Teerfarben, Sprengstoffen und Kunstseide sowie der Herstellung von chemischen Grundstoffen von Pharmazeutika und Rohfilmen. Daneben ist die I.G. Farben wichtiger Ausgangspunkt für den technischen Fortschritt und führend in wissenschaftlichen Forschungs- und technischen Versuchsarbeiten.

Die I.G. Farben ist stark exportorientiert, was sich in der Gründung von zahlreichen Auslandsgesellschaften und Auslandsbeteiligungen niederschlägt. Zur Finanzierung ausländischer Beteiligungen und zur Unterstützung und Durchführung internationaler Verhandlungen gründet die I. G. Farben durch Mittelsleute die Holding Internationale Gesellschaft für chemische Unternehmungen AG (IG Chemie) in Basel. Schließlich erstrecken sich die weltweiten Verflechtungen und Verbindungen des Konzerns über Dutzende von Industrien und Hunderte von einzelnen nichtdeutschen Konzernen.

Das Produktionsgebiet, auf dem die I.G. Farben weltweit entweder das Monopol hat oder maßgebliche Kontrolle ausübt, umfaßt die Färbe- und Arzneimittel, Kunstdünger, Sprengstoffe, Petroleum, Kunstgummi, Aluminium, Magnesium, Kunststoffe, fotografische Produkte, Baumaterialien, Kunsttextilien, Spezialmaschinen sowie technische Ausrüstungen und zahlreiche andere strategische Erzeugnisse. So kommt den Werken der I.G. Farben im Zuge der deutschen Rüstungsanstrengungen und insbesondere mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges eine erhebliche kriegswirtschaftliche Bedeutung zu. Wie alle Industrien in den kriegführenden Ländern hat sich auch die chemische Industrie in Deutschland den wehrwirtschaftlichen Erfordernissen unterzuordnen und Kriegsproduktion zu betreiben.

Nach dem Verlust des Krieges wird das gesamte Konzernvermögen von den vier Besatzungsmächten beschlagnahmt, das Auslandsvermögen enteignet. Damit ist ein gefährlicher Konkurrent der anglo-amerikanischen Industrie zerschlagen. Die einzelnen Werke werden verpflichtet, ihre Geschäfte wieder als selbständige Unternehmen zu führen, ihre Direktoren müssen sich 1947 wegen der Beschäftigung von Zwangsarbeitern und der Förderung der Kriegsanstrengungen vor einem US-amerikanischen Militärgericht verantworten. Wenige werden zu geringen Freiheitsstrafen verurteilt, die meisten freigesprochen. Am 16. Juli 1952 kommt es auf der Aktionärshauptversammlung zur Entflechtung des Konzerns. 137 513 Aktionäre melden sich zum Aktienumtausch. Ein Ende der seit 50 Jahren währenden Auseinandersetzung um das Vermögen der als Liquidationsgesellschaft noch immer bestehenden I.G. Farben indes ist derzeit nicht in Sicht.