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30.12.00 Zu Lebzeiten schon in der Phase des Nachruhms

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. Dezember 2000


Leni Riefenstahl:
Triumph des Willens
Zu Lebzeiten schon in der Phase des Nachruhms
von THORSTEN HINZ

Die mittlerweile 98jährige Regisseurin Leni Riefenstahl ist "noch zu Lebzeiten, in die Phase ihres Nachruhms eingetreten". Das schreibt Rainer Rother, Programmchef des Kinos im Deutschen Historischen Museum in Berlin, in seinem Buch "Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents". Es ist eine Mischung aus Biographie und Filmessay. Rother versucht, sich dem Werk und der Persönlichkeit Riefenstahls betont sachlich zu nähern und eine pauschale Verdammung ebenso zu vermeiden wie kritiklosen Genie-Kult.

Rothers Worte waren kaum gedruckt, da wurden sie durch den Kölner Taschen-Verlag schon bestätigt. Der großformatige Riefenstahl-Prachtband des Kölner Verlags stellt, mit den Worten der Herausgeberin Angelika Taschen, eine Huldigung an eine "besondere Frau und einzigartige Künstlerin" dar. Es zeigt Leni Riefenstahl von Beginn ihrer Künstlerlaufbahn in den zwanziger Jahren bis in die Gegenwart. Ein biographischer Anhang enthält zusätzlich zahlreiche Fotos aus ihrem Privatalbum. Der Untertitel "Fünf Leben" verweist darauf, daß sie außer als Regisseurin auch als Tänzerin, Schauspielerin, als Fotografin des afrikanischen Nuba-Stammes und zuletzt als Tiefseetaucherin für Aufsehen sorgte.

Ihr fortwirkender Ruhm aber gründet sich zweifellos auf den Parteitagsfilm "Triumph des Willens" (1935) und die "Olympia"-Filme "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" (1938). Die Stärke von Rothers Buch liegt in der Analyse der filmischen Mittel. Die Qualität von "Triumph des Willens" führt er auf die Übertragung erzählerischer Konventionen auf den Dokumentarfilm und das angewandte Montage-Verfahren zurück. So schwebt der "Führer", ohne daß er in einer ausdrücklichen Authentisierungsgeste gezeigt wird, mit dem Flugzeug in Nürnberg ein. Die Anfangsszenen suggerieren den alternierenden Blickkontakt zwischen ihm und dem Volk. Die Hierarchie ist klar: Das Volk wird nur in der Aufsicht, von oben, Hitler in der Untersicht oder parallel gezeigt. Die Gesichter verzückter Frauen und Kinder werden in Großaufnahme ins Bild gesetzt: "In ,Triumph des Willens’ lieben die Frauen und die Buben den ‚Führer‘, während die Männer ihm folgen." Rother widerlegt die Behauptung, der Film zeige nur "unpolitische" Bilder. In "Olympia" fallen die propagandistischen Verweise allerdings weit zurückhaltender aus, als von Rother dargestellt. Und noch anläßlich der Hitler-Sequenzen läßt sich fragen, ob ein amerikanischer Präsident oder englischer König auf der Ehrentribüne des Stadions nicht ganz genauso ins Bild gebracht worden wäre.

Die Wirkung der Riefenstahl-Filme leitet sich für Rother aus den technischen Überwältigungseffekten her, die das Publikum "verführen". Riefenstahl, argumentiert er, sei es nicht darum gegangen, ein "persönliche Anliegen" mit einer "persönlichen Handschrift" zu verbinden, sondern "eine unpersönliche, rein handwerklich interpretierte Aufgabe zu lösen. ... Perfektion ohne Provokation ist das Resultat ..." Die Berühmtheit ihrer Filme sei deshalb "nur zum kleineren Teil Resultat formaler Qualitäten, zum größeren Teil aber den Anlässen, Produktionsumständen und Funktionen der Filme geschuldet". Sie werde nur "so lange als eine große Regisseurin gelten, wie sie auch den Nimbus des Berüchtigten behält".

Der ästhetische Mehrwert der Riefenstahl-Filme ist ihm entgangen. Riefenstahls Ingenium hatte in "Triumph des Willens" mit beängstigender Intensität erfaßt, wie stark der Parteitag 1934 einer verzweifelten, irrationalen, anachronistischen Disposition der Gesellschaft entsprach, und in welchem Maße Hitler untergründige, kollektive Sehnsüchte verkörperte. Es ist denkbar, daß Thomas Mann sich für den "Faustus"-Roman (1947), als er die "latente seelische Epidemie", den "Sankt-Veits-Tanz" und die "visionär-kommunistischen Predigten irgendeines ‚Hänselein‘ mit Scheiterhaufen der Weltlichkeit", das "mystische Herumziehen des Volkes" in Kaisersaschern beschrieb, von ihren Bildern inspirieren ließ. Riefenstahls Film bietet eine unübertroffene, vielleicht unübertreffbare Innenansicht aus dem Herzen des Nationalsozialismus. Ohne "Triumph des Willens" wüßte man weit weniger über die mentalen Strukturen Deutschlands.

Dieser "definitive Film des nationalsozialistischen Führerkults" (R. Rother) bietet das bis heute überzeugendste künstlerische Abbild Hitlers. Hitler ist hier tatsächlich der "Führer", an den die Menschen ihr Verlangen delegieren, der ihnen die Befreiung von existentieller Angst verbürgt; für den umgekehrt die Zustimmung, die ihm entgegenschlägt, das unverzichtbare Lebenselixier darstellt. An diesem Befund ändert nichts, daß sein Bild merkwürdig unkritisch erscheint, die Nachtseiten unsichtbar bleiben. Leni Reifenstahl hat ehrlich eingestanden, daß sie, wie so viele, dem zerstörerischen Charisma Hitlers, das sie so unvergleichlich schilderte, selber erlegen war.

Anders als der Buchtitel das ankündigt, ist dieser Zusammenhang zwischen Verführung und Verführtsein bei Leni Riefenstahl nur schwach herausgearbeitet. Rother hätte genauer aufzeigen müssen, inwiefern sie im Schnittpunkt politischer, geistiger, ästhetischer Diskussionen und Entscheidungen der bewegten 20er Jahre stand.

Ein Rezensent hatte 1923 im Berliner Tageblatt anläßlich eines Tanzauftritts Leni Riefenstahls notiert: "Es stolpert hier keine leichtsinnige Schöne die verworrenen Pfade zur Kunst empor; es grübelt in diesen Tänzen ein wahnsinniger Wille zur Erlösung von solchen Ketten des verwunschenen Leibes, es tastet in dieser Finsternis eine Demütige, es ringt ein Mensch mit dem Engel." Die Bedeutung dieses Satzes ist Rother entgangen. Er läßt an das ästhetische Programm von Isadora Duncan (1878–1927), Ahnherrin des modernen Ausdruckstanzes, denken, die in der Vorlesung "Tanz der Zukunft" (1903) eine umfassende, harmonische Erziehung von Körper, Geist und Seele durch Musik und Tanz gefordert und verkündet hatte: "Ja, sie wird kommen, die Tänzerin der Zukunft, sie wird kommen als ein freier Geist, der in dem Leibe des freien Weibes der Zukunft wohnen wird."

Als ein "freies Weib" dürfte Riefenstahl sich ohne weiteres betrachtet haben, und wovon sie "erlöst" werden wollte, zeigt ihr Spielfilm "Das blaue Licht" (1932), in dem sie außerdem das Mädchen Junta spielt. Ihre Zuflucht ist eine Berggrotte, deren Kristalle bei Vollmond ein rätselhaftes Licht ausstrahlen und zum Schluß zur okönomischen Verwertung abgebaut werden. Diese Art gesellschaftlichen Fortschritts nutzt der von den Dorfbewohnern als Hexe verfemten Junta gar nichts, durch die Entweihung ihrer Berggrotte verliert sie den Bezirk ihrer Freiheit und stirbt, indes die stupiden Dorfbewohner durch die Vernutzung des Wunderbaren wohlhabender, nicht aber klüger werden. Der Maler Vigo, der ihnen den Weg in die Grotte bahnte – auch, um sich Junta zu unterwerfen –, muß erkennen, daß er, statt das Höchste zu erringen, das Beste verloren hat. Auch Vigo ist ein Opfer der von männlicher Logik strukturierten Moderne geworden.

Die Kraft einer Frau allein, das hatte Juntas Schicksal gezeigt, reichte nicht aus, um ihr ehernes Gesetz zu durchbrechen. Dazu mußte sie sich mit dem Meta-Mann verbünden. Den hat Leni Riefenstahl in Hitler gesehen und ihn deshalb zum Helden ihres ästhetischen Programms  gemacht. Daß sie dabei mitten hinein in die Politik geriet und NS-Propaganda vom Feinsten lieferte, war eine unvermeidliche Folge, aber, von ihr aus gesehen, keine politische Absicht.

Im übrigen könnte man ketzerisch fragen, ob der spezifische Blick der großen Riefenstahl-Filme nicht schon per se eine "Provokation" darstellt, weil er tradierte Erwartungszusammenhänge radikal durchbricht und, im Sinne einer "Ästhetik des Schreckens", blitzartig einen neuen Modus des Sehens evoziert, der neuartige, unbekannte oder verdrängte Realitäts- und Lebenszusammenhänge erkennbar macht.

Der häufig gehörte Vorwurf der Stilisierung, der Monumentalisierung, der Ausblendung von Zufälligkeiten und Anstrengungen in den Riefenstahl-Filmen fällt bei genauerem Hinsehen in sich zusammen: Die Bewegungen der Hoch- und Stabhochspringer in "Olympia" wirken auf den heutigen Betrachter beinahe ungelenk, und einige Marathon-Läufer brechen vor Erschöpfung zusammen. Den Sportlern wird ihre individuelle Physiognomie nicht nur belassen, sie wird durch die Kameraführung sogar noch verstärkt. Der am häufigsten und durch und durch symathisch gezeigte Sportler ist übrigens der Afroamerikaner Jesse Owen, der alles andere als einen Kronzeugen der NS-Rassenideologie darstellt! Man fragt sich, ob die meisten Kritiker überhaupt kennen, worüber sie so souverän urteilen.

Die Schönheit der Sportler in "Olympia" ist keinesfalls das Ergebnis antikisierender Stilisierungen. Die Sportler arbeiten sie, im Zusammenwirken mit der Kamera, aus sich selber heraus! Die Antike-Zitate fordern nicht zum Rückfall in die Vergangenheit auf, sondern sind Ansporn, sich dem verlorengegangenen Zustand der Grazie im sportlichen Kampf und im Zeichen jenes "unendlichen" Bewußtseins wieder anzunähern, das Kleist im Aufsatz "Über das Marionettentheater" erwähnt. Das Bewußtsein, welches dem Zuschauer zum Beispiel aus dem Gesicht der Diskuswerferin Gisela Mauermeyer entgegenstrahlt, ist ein nahezu unendliches. Leni Riefenstahl hat ihren Figuren in "Olympia" die volle personale Würde belassen und sie gleichzeitig so dicht an die Grenze zur Vollendung geführt, wie nur möglich. Das ist ihr bleibender Beitrag zur Weltkunst!

Verstärkt greifen Künstler auf Elemente der körperbetonten "Riefenstahl-Ästhetik" zurück, um eine brachliegende Semantik neu zu besetzen. Die stets "engagierten", sich mit den Zeichen einer diffus-linken Protestkultur schmückenden Großstadtindianer hatte Pasolini bereits vor dreißig Jahren als Reflexbündel der Konsumgesellschaft und "Huren einer ungerechten Bilderwelt" verabschiedet. Den neuen, unpolitischen Heroen des Computerzeitalters kommt indes der Unterleib abhanden. Die von ihr inspirierten Werke mögen noch randständig sein: von der Peripherie aus zielen sie auf zentrale Leerstellen der Gegenwart.

Das amerikanische Time Magazine hat sie zu den hundert bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gezählt. Wer den  Taschen-Bildband durchblättert, weiß auch, warum: Leni Riefenstahl dürfte immer noch als eine der größten Regisseurinnen gelten, die das Treiben der Welt filmkünstlerisch überragend zu gestalten wußte.

Rainer Rother: Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents. Henschel Verlag, Berlin 2000, 288 S., s/w Abb. 39,90 DM

Angelika Taschen (Hg.): Leni Riefenstahl. Fünf Leben. Taschen Verlag Köln, Bildband (s/w und Farbe), Großformat, 336 S., 69,95 DM

Hinterließ während der Olympischen Spiele in Berlin auch wegen der aufwendigen technischen Apparatur für erhebliches Aufsehen: Leni Riefenstahl während der Dreharbeiten für ihren meisterhaften dokumentarischen Film "Olympia" im eigens für das "Sportfest der Völker" errichtetem Stadion in der deutschen Hauptstadt. Die häufig aus politischen Gründen erhobenen Vorwürfe monumentaler Stilisierungen verfingen in der Fachwelt kaum.