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13.01.01 Deutsche Wirtschaftskraft: Der Abstieg

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Januar 2001


Deutsche Wirtschaftskraft:
Der Abstieg
Immer neue, horrende finanzielle Lasten haben Deutschland aus der Spitzengruppe verdrängt - ungerecht hohe Zahlungen an die EU beschleunigen einen dauerhaften Niedergang
(Werner Obst)

Die sämtlichen vergangenen zehn Jahre wuchs die deutsche Wirtschaft weitaus langsamer als die US-Wirtschaft. Alle Euroländer, vormals wachstumsschwach, entwickelten sich gleichfalls deutlich schneller als wir, nur Japan hat noch größere Probleme.

Selbst unsere Prognose für 2001 ist erneut ziemlich mager, so daß wir im Wachstums-Konvoi der Industrie-Nationen weiterhin Schlußlicht bleiben. Greenspan und Bush haben Zins- und Steuer-Senkungen angekündigt, die Ölpreise geben nach, so daß die Amerikaner auf die eigene konjunkturelle Eintrübung schnell und effektiv reagieren können. Dann zieht sich die weiche US-Landung lediglich vom 3. Quartal 2000 bis zum 1. Quartal 2001 hin. In diesem Falle kommt es möglicherweise zum Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen USA und EU, was zwar den Euro stärkt, dennoch behalten wir selbst dann die Schluß-Laterne.

Zweifellos war unsere ökonomische Dynamik mit insgesamt 12,5 Prozent über acht Jahre hinweg dürftig bis mager mit jahresdurchschnittlich gerade 1,5 Prozent!

Aber lassen wir jetzt die Tal-Sohle hinter uns oder geht das so weiter? Das ist die Frage, das ist das Problem!

Fest steht jedenfalls: All jene Faktoren, die unser Wachstum bremsten, Wiedervereinigungs-Lasten wie überzogene, unfaire EU-Nettozahlungen, bestehen unvermindert fort.

Das läßt nur folgenden analytisch-logischen Schluß zu: Unsere Wachstumsschwäche war und ist nicht vorübergehender Natur, etwa eine zyklische Wachstums-Delle, sondern ein einschneidender konjunktureller Abschwung, der letztlich sogar als konjunktureller Abbau oder Einbruch definiert werden muß. Er ist von langer Dauer, deshalb hat er strategische Ausmaße!

Es kann demnach nicht nur darum gehen, Struktur-Reformen anzumahnen, so als wären wir nicht wettbewerbsfähig. Schließlich haben wir, wie eh und je, die höchste Stunden-Produktivität der Welt, vor Amerikanern, Japanern oder Schweizern – Westdeutschland ist hier, für sich genommen, einsame Spitze. Darüber hinaus werden wir jetzt zum drittenmal Export-Weltmeister, nicht etwa nur wegen des schwachen Euro, sondern dank überlegener Produktivität.

Keinesfalls sollten wir unsere Wachstums-Schwäche "schönreden" und weiterhin falsch interpretieren. Global gesehen bleiben selbst drei Prozent Wirtschaftswachstum schwach. Wir sollten deshalb ganz massiv in Brüssel die extrem überhöhten deutschen Nettozahlungen reduzieren zugunsten von Infrastruktur-Investitionen in den "Neuen Ländern".

Der frühere deutsche Aufstieg kippt zum Abstieg: Deutschlands überlegene wirtschaftliche Dynamik, die uns auf der Wohlstands-Rangliste der Nationen weit nach oben getragen hatte bis zur absoluten Weltspitze, ist verlorengegangen. Vormals ließen wir mit überdurchschnittlichem Wachstum fast mühelos eine Nation nach der anderen zurück, jetzt jedoch sind wir mittendrin im rasanten Abstieg vom 2. Rang 1990 bis herunter zum 14. Rang im Jahr 2000. Aber nicht nur das: Die meisten Hochrechnungen kündigen sogar an, daß wir bereits 2001 unter den EU-Durchschnitt zurückfallen werden wegen unseres unterdurchschnittlichen Wachstums bei zugleich höherem Wachstum in Euroland wie in der EU, das wir mit unseren Nettozahlungen begünstigten, ja geradezu angeschoben haben.

Über vierzig Jahre hinweg stiegen wir fast unaufhaltsam auf, nur die sozialliberale Koalition konnte uns bremsen. Seit 1991 belastet uns jedoch die Wiedervereinigung, so daß wir zurückfallen, zunächst nur allmählich, doch zuletzt verloren wir in nur vier Jahren acht Ranglisten-Plätze, weil zur Wiedervereinigung noch die Brüsseler Netto-Zahlungen hinzukamen. Beide außergewöhnlichen Lasten zusammengenommen belasten, drücken und reduzieren unser Wachstum.

Der wiedervereinigungsbedingte Transfer von Westdeutschland in die "Neuen Bundesländer" von jährlich rund 200 Milliarden Mark addiert sich seit zehn Jahren auf ca. 2000 Milliarden Mark, mindestens. Der aktuelle letzte Wert für 1999: 218 Milliarden D-Mark, netto, wohlgemerkt!

Die Mitteldeutschen schufen selbst ein Brutto-Inlansdprodukt von 452 Milliarden Mark, das "im Inland verwendete Brutto-Inlandsprodukt" betrug 670 Milliarden.

Im einzelnen überweisen Bund, Länder und Gemeinden rund 150 Milliarden Mark, den Löwenanteil davon der Bund, für Arbeitslosigkeit, Renten, Gesundheit und Soziales sowie für Personal- und Sachkosten der Öffentlichen Hand in den mitteldeutschen Ländern, aber auch für die Infrastruktur. Etwa 68 Milliarden Mark entfallen auf Investitionen westdeutscher Unternehmen, auf den Saldo im Warenverkehr und bei Dienstleistungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und den Neuen Ländern. Westdeutschland erarbeitete 1999 folglich ein Brutto-Inlandsprodukt von 3425 Milliarden Mark, die "im Inland verwendet" wurden – nicht nur in Westdeutschland freilich, sondern im gesamten Bundesgebiet.

Die deutsch-deutsche "Umverteilung" war für die beigetretenen Länder von Beginn an beabsichtigt, logisch und richtig, um innerhalb Deutschlands das krasse Produktivitäts-Gefälle abzubauen, als Grundlage ungefähr gleicher Lebensbedingungen. Für Westdeutschland allerdings war dies von vornherein wachstumshemmend – eben weil beträchtliche Teile der eigenen Leistung zu Hause nicht mehr zur Verfügung standen, also nicht mehr nachfragewirksam werden konnten. Insbesondere Infrastruktur-Investitionen wurden verkürzt bei Autobahnen, Straßen, Eisenbahn und kommunalen Einrichtungen, die ganz augenscheinlich deutlich sichtbar vernachlässigt werden mußten.

Aber genauso wurde der private Konsum beeinträchtigt, eben weil auch verkürzte westdeutsche Reallöhne die Nachfrage drosselten. Der Bund hatte keine finanziellen Spielräume mehr, um Einkommen- und Lohnsteuern zu senken, er mußte doch bekanntlich noch zusätzlich mehrere Male die westdeutschen Renten kürzen, zuletzt mit jährlich je zehn Milliarden D-Mark 1999 und 2000.

Seit elf Jahren überweist der Bund jahresdurchschnittlich etwa 20 Milliarden DM, um die mitteldeutschen Renten zu finanzieren, und die gleiche Summe fiel regelmäßig für die Arbeitslosigkeit in der Ex-DDR an.

Alle westdeutschen Arbeitnehmer unterstützten die Neuen Länder nicht nur mit jährlich etwa 20 Milliarden Mark Solidar-Beiträgen, sondern darüber hinaus mit gesunkenen Reallöhnen.

Wir wissen dies, aber weil dieses Solidar-Gefühl innerhalb der EU so nicht existiert, sei diese deutsche Solidarität hier noch einmal wiederholt: Noch nie in der Geschichte des deutschen Volkes hat ein Landesteil einem anderen, in Not geratenen Landesteil, derart massiv geholfen, wie die Westdeutschen seit nunmehr elf Jahren den Mitteldeutschen helfen!

Selbst die sprichwörtlich fleißigen Sachsen, Thüringer, Preußen und Mecklenburger könnten ihre Heimat nicht aus eigener Kraft wieder aufbauen; denn selbst mit allergrößten Anstrengungen wären sie nie in der Lage gewesen, jene 2000 Milliarden D-Mark zu akkumulieren, die aus Westdeutschland kamen.

Neben eigener harter Arbeit, Fleiß und Entbehrungen brauchen die Neuen Länder nach wie vor westdeutsche Hilfe, die modernstes Know how transferiert. All dies existiert und funktioniert ja auch, aber dieser Vorgang entzieht eben den westdeutschen Regionen Kaufkraft und Nachfrage, beeinträchtigt dort das Wachstum.

Deutlich erkennen wir in der Tabelle rechts den westdeutschen Wiedervereinigungs-Boom mit zwei "amerikanischen" Wachstums-Raten, aber noch drastischer fällt die tief einschneidende Rezession in den Neuen Ländern 1990/91 ins Auge.

Danach schrumpfte das westdeutsche Wachstum infolge Transfer und Nachfrage-Ausfall, das im Osten ein mehrfach höheres Wachstum ausgelöst hat, allerdings nur bis 1996. Doch bis dahin holte Mitteldeutschland auf!

Seither ist das nicht mehr der Fall, aber nicht nur das: Die Neuen Länder wurden gar noch wachstumsschwächer als das ohnehin wachstumsschwache Westdeutschland.

Dieses Szenario war ursprünglich konzeptionell nicht einmal ansatzweise angedacht worden – denn es verschiebt das wirtschaftliche "Heranholen" der Neuen Länder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, verlängert die westdeutsche Transferzahlungen.

Brüssel behandelt die Mitteldeutschen stiefmütterlich.

Bis 1996 kamen die Neuen Länder bis auf 57 Prozent des westdeutschen Brutto-Inlandsprokdukts je Einwohner heran, seither jedoch fielen sie wieder zurück bis auf 54 Prozent des westdeutschen Niveaus, 2001 stehen höchstwahrscheinlich nur 53 Prozent an, weil alle Prognosen dem Westen erneut mehr Wachstum voraussagen als Mitteldeutschland.

Dieser Trend steht unseren nationalen Interessen, aber auch unseren selbst gesteckten Zielen nicht nur diametral entgegen, sondern dieser Vorgang ist genauso auch für alle Westeuropäer ein Warnzeichen allerhöchsten Grades ein Menetekel für die EU-Osterweiterung! Denn der mitteldeutsche Wiederaufbau ist eigentlich eine vorweggenommene EU-Osterweiterung, die alle Westeuropäer mit Blick auf Osteuropa hellwach machen müßte, was Aufgaben, Finanzen und Zeiträume betrifft – zumal beispielsweise Paris wie Madrid weder fähig noch bereit sind, ihren Osterweiterungs-Anteil zu zahlen!

Brüssel hätte wegen der riesigen deutschen Wiedervereinigungs-Lasten längst die ohnehin extrem überhöhten deutschen Netto-Zahlungen absenken müssen, statt diese ausgerechnet noch von 1991 an stark aufzustocken, und die Mehrheit der EU-Staats-Chefs im EU-Ministerrat ist davon überzeugt, daß die Deutschen über die derzeitigen Netto-Zahlungen hinaus auch noch den Löwen-Anteil der Osterweiterung finanzieren sollten, obwohl wir durch die unfairen Brüsseler Beitrags-Modalitäten bereits jetzt vom Wachstums-Tempo aller anderen EU-Mitglieder abgekoppelt wurden.

Denn während der Transfer von Westdeutschland nach Mitteldeutschland im deutschen Binnenmarkt bleibt, senkt der Transfer nach Brüssel die westdeutsche Kaufkraft zusätzlich ab, nämlich noch einmal über den Kaufkraft-Verlust hinaus, den die Wiedervereinigung sowieso verursacht. Unsere Netto-Zahlungen an Brüssel werden folglich absolut nachfragewirksam, und zwar negativ als Kaufkraft-Verlust.

Die 22,5 Milliarden D-Mark, die wir beispielsweise 1997 an die EU (netto, also nach Abzug aller zurückgeflossenen EU-Gelder) überwiesen, machten – bezogen auf unser Brutto-Inlandsprodukt – 0,6 Prozent weniger Wachstum aus. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind diese Milliarden abzuziehen, weil sie bereits bei der "Verteilung" unseres Brutto-Inlandsprodukts nach Brüssel überwiesen werden. Sie stehen folglich bei der "Verwendung" unseres Brutto-Inlandsprodukts nicht mehr zur Verfügung und bewirken so den eigentlichen Kaufkraft-Verlust, der beim Wachstum ausfällt.

Dieser Vorgang trifft übrigens alle Deutschen: Unternehmer bei Umsatz und Gewinn, Arbeiter und Angestellte beim Nettolohn, der niedriger ausfällt wegen ausgebliebener oder nur magerer Lohn- und Einkommensteuer-Senkungen, Rentner und Arbeitslose, die sogar relativ stark betroffen werden.

An diesem Punkt aber scheiden sich bereits selbst die deutschen Geister. Manche meinen, daß doch der abgewertete, schwache Euro eigentlich Exporte, Beschäftigung und Wachstum begünstigt, was für sich genommen durchaus richtig ist. Aber tatsächlich kann der Euro den Wachstums-Ausfall durch unsere Netto-Zahlungen nicht kompensieren oder gar überkompensieren; denn, wie wir wissen, hat der schwache Euro zuletzt alle Importe aus Dollar-, Pfund- und Yen-Regionen derart verteuert, daß unser Außenhandels-Überschuß immer kleiner wurde, aber nur er wird im Brutto-Inlandsprodukt wachstumswirksam, nicht etwa alle Exporte, wie der Bundeskanzler vermutet oder uns einzureden versucht.

Selbstverständlich durchschauen mittlerweile viele das makabre Brüsseler Spiel mit gezinkten Karten. Theo Waigel hatte deshalb schon einmal Zahlungs-Verweigerung angedroht, so wie die Amerikaner gegenüber der UNO, um dort eine sparsamere Verwendung der enormen US-Beiträge durchzusetzen. Auch Gerhard Schröder hatte niedrigere deutsche Netto-Zahlungen auf die Tagesordnung des großen Berliner EU-Gipfels gesetzt, Ende März 1999, als er, wie Chirac in Nizza, selbst den Vorsitz hatte. Allerdings fegten mit Ausnahme von Niederländern und Schweden alle übrigen EU-Staatschefs dieses Thema bereits im Vorfeld rundweg vom Verhandlungstisch, seinerzeit in Berlin, jetzt in Nizza. Sie waren mehrheitlich entschlossen, die Finanzierung der Süderweiterung, die sie mehr oder weniger allesamt begünstigt, fortzuführen, solange dies nur irgendwie möglich ist.

Brutto-Inlandsprodukt

reales Wachstum in Prozent

      USA Euroland Japan Deutschland

1993 2,3 –1,0 0,3 –1,1

1994 3,5 2,6 0,6 2,3

1995 2,7 2,2 1,5 1,7

1996 3,6 1,4 5,1 0,8

1997 4,2 2,3 1,6 1,5

1998 4,3 2,8 -2,5 2,2

1999 4,2 2,3 0,2 1,5

2000* 3,3 3,4 1,4 3,0

1993 31,8 17,2 8,3 12,5

2000 3,0 3,5 1,7 2,7

2001*

(*Prognose)

 

Brutto-Inlandsprodukt

reales Wachstum in Prozent

Westd. Mitteld.

1990 5,7 –30,0

1991 5,0 -16,0

1992 1,8 7,8

1993 -2,0 9,3

1994 2,1 9,6

1995 0,9 4,4

1996 1,1 3,2

1997 2,3 1,7

1998 2,3 2,0

1999 1,6 0,9

2000* 3,7 1,6