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13.01.01 Fächerübergreifende Forschungen über den Ostseeraum

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Januar 2001


"Alfried-Krupp-Kolleg" in Greifswald:
Hanseaten der Wissenschaft

Fächerübergreifende Forschungen über den Ostseeraum
– Deutschlands einziges Institut für Baltistik
(Martin Schmidt)

Der Pommer Berthold Beitz sprach vielen Greifswaldern aus dem Herzen mit seiner Vision, die er zur Grundsteinlegung des "Alfried-Krupp-Kollegs" am 20. Juni 2000 formulierte: "Ich stelle mir eine neue, gewissermaßen geistige Hanse vor, ein Netz wissenschaftlicher Verbindungen, in dem Greifswald ein wichtiger Knoten ist."

Auch persönlich ist Prof. Beitz am Knüpfen dieses Knotens beteiligt. Als Vorsitzender des Stiftungskuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung Essen sorgte er dafür, daß deren Fördermaßnahmen in Mitteldeutschland auf die vorpommersche Universitätsstadt konzentriert wurden. Angesichts der weitgestreuten Aktivitäten der aus Aktienanteilen der Thyssen Krupp AG finanzierten Stiftung, seit deren Einrichtung 1967 weltweit über 600 Millionen Mark ausgegeben wurden, war dies alles andere als selbstverständlich.

Beitz‘ Herkunft aus Kemmin in Vorpommern sowie die Erinnerung an die Jugend in Greifswald mit dem Abitur 1934 und anschließender Banklehre lenkten seine Aufmerksamkeit immer wiede auf die Region. Schon 1983 wurde er zum Ehrensenator der Ernst-Moritz-Arndt-Universität ernannt, und die Wiedervereinigung verschaffte dem Industriellen endlich die nötige Gestaltungsfreiheit.

Über 30 Millionen Mark an Stiftungsgeldern flossen bis dato in rund 70 Einzelprojekte. Angefangen hatte es zu DDR-Zeiten mit der Übernahme der Kosten für eine Fußbodenheizung im Dom St. Nikolai, nach der Wende folgten u. a. die Finanzierung einer Greifswalder Stadtmonographie, des Galerieführers zum Pommerschen Landesmuseum sowie eines deutschlandweit einmaligen Lexikonprojekts über Greifswalder Universitätsprofessoren zwischen 1775 und 1961. Daß Beitz 1995 zum Ehrenbürger ernannt wurde, war folgerichtig und findet im Großvorhaben "Krupp-Kolleg" eine erneute Bestätigung. Die Bemühungen der Greifswalder Universität um eine fächerübergreifende Erforschung des Ostseeraums dürften jedenfalls mit der für das Frühjahr 2002 geplanten Eröffnung des Zentrums im Herzen der Altstadt einen nachhaltigen Schub bekommen.

Das Kolleg soll als eigenständige Institution in Kooperation mit der Universität geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeiten über Zusammenhänge im Ostseeraum bündeln und ergänzende naturwissenschaftliche und medizinische Studien einbeziehen. Zu den Schwerpunkten gehört erklärtermaßen das Baltikum.

Vor allem jüngeren Wissenschaftlern und Forschergruppen aus den Ostseeanrainerstaaten will man Arbeits- und Tagungsräume und gegebenenfalls auch Wohnungen zur Verfügung stellen. Darüber hinaus ist dem Kolleg die Aufgabe zugedacht, mit öffentlichen Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerten zum Kulturleben Greifswalds beizutragen.

Zu diesen Zwecken entsteht zwischen Rathaus und Nikolaidom auf dem Gelände einer nach 1989 abgerissenen Wurstfabrik ein ca. 2000 qm großer Neubau nach den Plänen des Architekten Prof. Michael Gaenssler aus München. Der in seiner Kleinteiligkeit an die im Krieg unzerstörte Altstadt angepaßte Komplex umfaßt das Kolleggebäude in der Lappstraße (Tagungs- und Arbeitsräume, Bibliothek usw.) sowie das Wohngebäude in der Domstraße mit Räumen für bis zu 22 Gastwissenschaftler.

Die Geschäftsleitung zieht in die historischen Räumlichkeiten der Alten Apotheke. Dieses zu DDR-Zeiten zur Ruine verkommene und dank der Krupp-Stiftung nun in Renovierung befindliche Gebäude in der Baderstraße ist mit seinen über 600 Jahren eines der ältesten Fachwerkhäuser Mecklenburg-Vorpommerns. Es vereint in einzigartiger Weise Stilelemente vom Mittelalter über Barock und Rokoko bis zum Klassizismus und zur Neogotik. Durch ein Treppenhaus wird die Apotheke mit den Neubauten des Kollegs verbunden.

Die Kosten beider Vorhaben belaufen sich auf bis zu 40 Millionen Mark. Träger ist die am 20. Juni letzten Jahres ins Leben gerufene "Stiftung Alfried Krupp-Kolleg Greifswald", an der die Krupp-Stiftung mit 32 Millionen sowie das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Universität Greifswald mit je vier Millionen Mark beteiligt sind.

Berthold Beitz nannte die Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Recht den vielleicht wichtigsten Standortfaktor im strukturschwachen Vorpommern. Die traditionsreiche Universität, die sich schon jetzt auf ihr 550. Gründungsjubiläum im Jahr 2006 vorbereitet, trägt somit eine gewaltige Verantwortung.

Um so erfreulicher ist es, daß zumindest in den Geisteswissenschaften durch die Anknüpfung ans hansische Erbe (die Stadt gehörte zu den Mitbegründern der Handelsunion) bemerkenswerte Strukturen vorhanden sind.

So besitzt die Universität mit ihren gut 6500 Studenten das einzige Institut für Baltistik in Deutschland, eine Professur für Hansegeschichte, deren Lehrstuhlinhaber Horst Wernicke eine "Ständige Konferenz der Historiker des Ostseeraums" initiierte, sowie seit 2000 eine Professur für Bürgerliches Recht, Rechtsvergleichung und Rechtsharmonisierung im Ostseeraum. Ebenfalls neu ist das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zuerkannte Graduiertenkolleg "Kontaktzone Mare Balticum: Fremdheit und Integration im Ostseeraum". Auch die meisten Partneruniversitäten liegen an der Ostsee: St. Petersburg, Dorpat, Riga, Memel, Königsberg, Stettin, Lund und Helsinki. Außerdem ist auf das im Mai 2000 im Zuge der 750-Jahr-Feiern Greifswalds eingeweihte Pommersche Landesmuseum hinzuweisen, das vor allem Bestände des früheren Städtischen Museums von Stettin zusammenfaßt. Während die Gemäldegalerie fertig ist, befinden sich der landesgeschichtliche und naturkundliche Bereich noch in Vorbereitung.

Getrübt wird die Bestandsaufnahme durch ein Ärgernis, das in Mitteldeutschland zwar häufig ist, bei Besuchern aus anderen Landesteilen und dem Ausland indes Kopfschütteln verursacht: Denn so anerkennenswert die Benennung der Universität, der Stadtbibliothek "Hans Fallada" oder die Existenz einer Caspar-David-Friedrich- oder einer Fritz-Reuter-Schule sind, so unverständlich erscheinen die bis heute das Stadtbild prägenden kommunistischen Namen.

Nicht genug, daß man auf einen Karl-Liebknecht- und einen Ernst-Thälmann-Ring stößt sowie auf einen Thälmannplatz. Greifswalder Kindern wird obendrein der Besuch einer Friedrich-Engels- und einer Karl-Marx-Schule zugemutet – so, als ob es den Unterdrückungsapparat und die katastrophale Mißwirtschaft des DDR-Regimes nie gegeben hätte.