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20.01.01 Raoul Wallenberg – ein ungelöstes Rätsel

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Januar 2001


Zweiter Weltkrieg:
Raoul Wallenberg – ein ungelöstes Rätsel
Ein schwedischer Diplomat, der sich in den Netzen der Geheimdienste verfing
von Hans B. v. Sothen  

Bis heute umgibt ein Geheimnis den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges Zehntausende ungarischer Juden mit schwedischen Schutzpässen ausstattete. Die Sowjets verhafteten ihn 1945 und erklärten ihn einige Jahre später für tot. Erst kürzlich wurde er von der russischen Justiz rehabilitiert. Einige Mitglieder seiner Familie sind sich bis heute sicher, daß er noch lebt. Wer ist dieser Mann? Warum wurde er verhaftet? Welche Rolle spielen die Geheimdienste?

In den frühen Vormittagsstunden des 17. Januar 1945 betrat ein jüngerer, dunkelblonder Mann das Gebäude in der Budapester Benczurstraße. Begleitet wurde er von einer sowjetischen Eskorte. Aus dem Fenster hing eine schwedische Fahne, die das Gebäude als "Schutzhaus" kennzeichneten. Der Mann hieß Raoul Wallenberg und entstammte einer der reichsten und berühmtesten Familien Schwedens. Seine beiden Onkel Jacob und Marcus Wallenberg leiteten die Stockholmer "Enskilda-Bank". Während des Zweiten Weltkrieges übernahmen sie unter anderem die Verwaltung der Auslandsvermögen des deutschen Chemiegiganten IG-Farben und verwalteten für sie Tarnfirmen. Außerdem waren sie Mittelsmänner zwischen sowjetischen und britischen Regierungsstellen mit der mit dem Deutschen Reich verbündeten finnischen Regierung, halten Kontakt zur Reichsregierung in Berlin, aber auch mit dem Widerstandskreis um Carl Goerdeler.

Wallenbergs eigener Vater war bereits vor seiner Geburt gestorben. Raoul bekam eine gute Ausbildung, studierte ein wenig, unter anderem Architektur an der US-Universität von Michigan, konnte sich aber für keinen Beruf dauerhaft entschließen. Seit seiner Jugend reichten ihn die Verwandten herum und versuchten aus ihm einen guten Bankier zu machen. Vergeblich. Schließlich wurde er noch einmal 1936 nach Palästina zur "Holland-Bank" in Haifa geschickt, die sich im Besitz des Ungarn Kalman Lauer, einem Freund der Familie Wallenberg, befand. Dort lernte er zwar zionistische Emigranten aus Deutschland und der Sowjetunion kennen, war aber mit seiner Arbeit weiterhin kreuzunglücklich. "Ich fühle mich wirklich nicht als Bankmann", stöhnte er. Sein Zeugnis, das ihm Lauer am Ende seiner Dienstzeit ausstellte, kam zu keinem wesentlich anderen Ergebnis: "Für Bankgeschäfte ungeeignet", hieß es da.

Da traf es sich gut, daß Kalman Lauer 1939 für seine Im- und Exportgeschäfte einen sprachgewandten Kompagnon suchte, da er als Jude die meisten mitteleuropäischen Länder nicht mehr selbst bereisen konnte. Wallenberg hatte Erfolg und verdiente gut. Dennoch war er deprimiert. Seine Bestimmung, so meinte er, seien nicht die Geschäfte, er wollte etwas Sinnvolles tun. Die Gelegenheit dazu erhielt er im Sommer 1944. Die US-Regierung hatte im Januar 1944 auf Druck der amerikanischen jüdischen Bevölkerung den "War Refugee Board" (WRB / Kommission für Kriegsflüchtlinge) gegründet. Zusammen mit dem seit 1942 bestehenden Geheimdienst OSS (Office of Strategic Services), einem Vorgänger der CIA, sollte versucht werden, soviele Juden wie möglich aus Ungarn herauszubringen. Der Resident des amerikanischen Geheimdienstes in Stockholm, Iver Olsen, fragte Kalman Lauer nach einer geeigneten Persönlichkeit für diese Arbeit. Der nannte ihm den Namen von Raoul Wallenberg. Am 9. Juni 1944 kam es zum ersten Treffen zwischen Olsen und Wallenberg in Stockholm. Wallenberg war begeistert von seiner neuen Aufgabe. Als er jedoch gegenüber dem US-Botschafter in Stockholm, Herschel Johnson, um genaue Instruktionen für seine Tätigkeit sowie um adäquate finanzielle Unterstützung bat, reagierte Washington zurückhaltend. US-Außenminister Cordell Hull telegraphierte, daß Wallenberg "natürlich nicht als Vertreter des WRB auftreten" könne, noch so tun, als würde er in seinem Namen auftreten. Das Kriegsflüchtlingsamt – direkt Präsident Roosevelt unterstellt – stattete ihn jedoch mit 100 000 Dollar sowie mit einer Liste von korrupten ungarischen Paßbeamten aus.

Seit Juni 1944 war Wallenberg in Budapest. Wenige Wochen vor seiner Abreise, Ende April, Anfang Mai 1944 fand in Stockholm ein Kongreß des World Jewish Congress (WJC) statt, dessen Thema das Schicksal der Juden in Ungarn war. Es ist wahrscheinlich, daß auch Wallenberg daran teilnahm, vielleicht sogar auf seine Anregung dort getagt wurde.

Wallenberg entwarf und druckte ein Papier mit dem schwedischen Hoheitszeichen, das Ungarn nach einigem Zögern anerkannte. Statt der vereinbarten 5000 Stück gab Wallenberg jedoch mindestens doppelt soviele aus. Die Regierungen der Schweiz, Portugals und Spaniens folgten übrigens Wallenbergs Beispiel und gaben insgesamt 40 000 eigene Schutzpässe heraus, so die "Herald Tribune" im Jahre 1981, was heute weitgehend vergessen scheint.

Wallenberg unterhandelte mit den Deutschen, unter anderen mit Adolf Eichmann. Ungarische und Deutsche Stellen warnten Wallenberg wiederholt, er solle seine freizügige Paßausgabe beenden. Angeblich auf Eichmanns Befehl, so 1996 das US-Nachrichtenmagazin "US News and World Report", inszenierte Eichmann einen als Unfall getarnten Anschlag, der Wallenbergs amerikanische Studebaker-Limousine in einen Haufen Schrott verwandelte. Eine Warnung; Wallenberg saß nicht im Auto. Nach einem anderen US-Geheimbericht verschaffte Wallenberg einer kleinen jüdischen Widerstandsgruppe in Budapest sogar Waffen. Die Washingtoner OSS-Zentrale war höchst zufrieden mit Wallenberg. Sie telegraphierte nach Stockholm, daß Ungarn der erste von vielen künftigen Zusammenschlüssen von US-Geheimdienst und Flüchtlingskommission sein werde. Zwar nahm Wallenberg kein Geld direkt vom OSS und war nicht ihr Agent, jedoch war klar, daß der Dienst ihn für seine Zwecke instrumentalisierte.

Deutliche Hinweise für eine Zusammenarbeit Wallenbergs mit dem OSS wurden bereits 1949 publik, als der seinerzeitige Mitarbeiter der schwedischen Botschaft in Budapest, Lars Berg, eine Augenzeugenschilderung unter dem Titel "Was geschah in Budapest?" veröffentlichte. Darin konnte man deutliche Hinweise auf die fragwürdigen Tätigkeiten der Botschaft und die Hintergrundrolle des OSS bei Wallenbergs Mission nachlesen. Merkwürdigerweise wurde die gesamte Auflage des Buches aufgekauft und war verschwunden, noch bevor sie in die Buchhandlungen kam. Trotz des "Verkaufserfolges" wurde eine weitere Auflage nie gedruckt.

Immer wieder stand nach Kriegsende die Frage nach dem Verbleib Wallenbergs auf der internationalen Tagesordnung. Am 18. August 1947 hatte der stellvertretende sowjetische Außenminister Andrej Wyschinskij, der seinen zweifelhaften Ruhm durch seine Richtertätigkeit in den Moskauer Schauprozessen der 20er und 30er Jahre sowie als sowjetischer Ankläger in den Nürnberger Prozessen erlangt hatte, die erste offizielle Mitteilung über Wallenberg veröffentlicht: Es bleibe zu vermuten, daß der schwedische Diplomat während der Kämpfe in Budapest 1945 umgekommen sei, vermutlich durch faschistische ungarische Pfeilkreuzler. Noch wenig früher hatte derselbe Wyschinskij erklärt, ein Mann mit dem Namen Wallenberg sei der Sowjetregierung "völlig unbekannt". Erst nach und nach rückten die Sowjets mit der Tatsache heraus, daß Wallenberg 1947 in sowjetischer Gefangenschaft gestorben war, ohne jedoch irgendeine Verantwortung zu übernehmen.

Häftlinge wollten ihn noch Jahrzehnte später in sowjetischen Gefängnissen gesehen haben, darunter einige durchaus glaubwürdige Zeugen. Letztgültige Beweise blieben fraglich. Wie das Dokument von 1947, das weithin anerkanntermaßen seinen Tod belegt. Bereits am 19. Februar 1945, zwei Tage nach seinem Verschwinden in Budapest, wurde er auf Anweisung des stellvertretenden Volkskommissars Nikolai Bulganin verhaftet. Nachdem er sich weigerte, mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten, wurde nach stalinistischer Methode seine "Liquidierung" verlangt. Im April 1947 schlug Wyschinskij dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Wjatscheslaw Molotow vor: "Da der Fall Wallenberg bis heute zu keinem Ergebnis gekommen ist, bitte ich Sie (Geheimdienstchef) Abakumow anzuweisen, eine Zusammenfassung der wesentlichen Details des Falles zusammen mit Vorschlägen zu seiner Liquidierung vorzulegen." Drei Monate später meldete Gefängnisarzt Smolzow pflichtschuldigst den "Herztod" von Wallenberg. Tatsächlich wurde er vergiftet.

Über das widersprüchliche Verhalten der schwedischen Regierung, die lange Zeit um des lieben Friedens willen den Fall Wallenberg herunterspielte, wurden erst jüngst durch die deutsch-amerikanische Wissenschaftlerin Susanne Berger in der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" neue Enthüllungen veröffentlicht. Auch nach der erst vor kurzem erfolgten Veröffentlichung von Gutachten einer schwedisch-russischen historischen Kommission bleibt vieles rätselhaft. Und noch immer ist der Fall Wallenberg Grund für Geheimniskrämerei. Als 1996 die USA 600 Dokumente zum Fall Wallenberg an Schweden weitergaben, drückte Schweden davon allein 563 den Stempel "Geheim" auf. Eingeweihte vermuten Geheimdienst-Zusammenhänge.

Vor allem in den Vereinigten Staaten bleibt Wallenberg populär. Die USA haben Wallenberg 1981 mit der selten vergebenen Würde der Ehrenstaatsbürgerschaft ausgezeichnet. Das wurde vor ihm nur General Lafayette und Winston Churchill zuteil.