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27.01.01 Polen beunruhigt über angebliche Atomwaffen-Stationierung um Königsberg

© Das Ostpreußenblatt  / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Januar 2001


"Redaktionsstuben hinter dem Ozean"
Polen beunruhigt über angebliche Atomwaffen-Stationierung um Königsberg 

Mit großer Beunruhigung reagiert man in Polen auf die Meldung der amerikanischen "Washington Times", Rußland habe Atomwaffen ins Königsberger Gebiet verlegt. Nach nicht genannten US-amerikanischen Geheimdienstquellen und Mitteilungen aus dem US-Verteidigungsministerium soll es sich um Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von etwa 70 Kilometern handeln.

Sowohl der neue Königsberger Gouverneur Jegorow als auch das Verteidigungsministerium in Moskau dementierten. Einen "Neujahrs-Scherz" nannte Jegorow den Bericht der "Washington Times" der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti gegenüber. Er unterstrich, der Ostseeraum und darunter auch das Königsberger Gebiet seien atomwaffenfreie Zone, daran halte man sich strikt.

Der Sprecher der Baltischen Flotte in Königsberg Anatolij Lobskij nannte den Bericht der französischen Nachrichtenagentur "Agence France Presse" (AFP) gegenüber eine politische Verleumdung: "Entweder", so Lobskij, "ist das eine politische Provokation oder inakkurater Journalismus". Insbesondere die USA scheint man russischerseits für diese Informationspolitik im Auge zu haben.

Sehr emotional reagierte währenddessen in einer Moskauer Pressekonferenz der russische Präsident Wladimir Putin auf die Vermutungen: "Ein absoluter Quatsch", so sagte der Präsident ostentativ in deutscher Sprache.

Der Pressesprecher der russischen Botschaft in Berlin, Viktor Koslikin, stellte gegenüber dem Ostpreußenblatt kategorisch jedwede Stationierung von Atomwaffen in Abrede. Diese Gerüchte seien "in manchen Redaktionsstuben hinter dem Ozean" entstanden – und spielte so offenbar auf einen US-amerikanischen Ursprung der Pressemeldungen an. Insbesondere in Polen habe man diese Falschinformationen begierig aufgegriffen.

Dennoch bleibt man in Polen mißtrauisch, der polnische Verteidigungsminister Bronislaw Komorowski fordert Aufklärung, Regierungssprecher Krzysztof Luft verlangte eine internationale Überprüfung der russischen Militäranlagen im Königsberger Bezirk und hofft auf russische Zustimmung, jedenfalls nähme die polnische Regierung die Angelegenheit durchaus ernst.

Bedroht fühle man sich in Polen nicht, stellte Ex-Außenminister Bronislaw Geremek in einem Radio-Interview fest, man sei Nato-Mitglied, aber es erweise sich wieder einmal, daß die russische Politik und etwaige Aufrüstungspläne Sicherheitsfragen seien, die man nicht aus dem Auge verlieren dürfe. Auch der derzeitige Außenminister Bartoszewski möchte die Angelegenheit erst in Ruhe mit den Russen und den Nato-Partnern klären und will die Ruhe bewahrt sehen. Bedroht würde man sich dann fühlen, wenn die Russen einer internationalen Inspektion nicht zustimmten, pflichtet dem Verteidigungsminister Bronislaw Komorowski bei, denn das Königsberger Gebiet sei ohnehin als "übermäßig" aufgerüstet zu betrachten. Ein Vertreter des US-Außenministeriums hält die Forderung Komorowskis allerdings für sinnlos, weil keinerlei Waffenkontrollvereinbarungen existierten, die eine solche Kontrolle erlaubten.

Besorgter als Warschau, ja aufgeschreckt reagierten die Menschen und Medien im Raum Allenstein, denn in Masuren würden die Raketen im Ernstfall einschlagen. Womit zielen die Russen da auf uns? (Czym celuja w nas Rosjanie?), fragt die Allensteiner Tageszeitung "Gazeta Olsztynska" mit einem Riesenaufmacher auf der Titelseite.

Die Berichterstattung gipfelte in einem Artikel über die angeblichen Stationierungsorte der Raketen im Königsberger Gebiet. Beweise für diese Behauptungen konnten bislang allerdings nirgendwo erbracht werden. Die Tendenz ist allerdings deutlich – die Bevölkerung im südlichen Ostpreußen glaubt eher, daß es dort wirklich Atomraketen gibt. Immer wieder wird dort auch daran erinnert, daß die Russen selbst für den Fall der mittlerweile erfolgten Nato-Osterweiterung mit der Verlegung von Atomwaffen ins Königsberger Gebiet gedroht hatten.

In einem Interview sagte der Pressesprecher der polnischen Kriegsmarine Kapitän zur See Janusz Walczak der "Gazeta Olsztynska", er sähe im Inhalt der amerikanischen Berichte keine Sensation, es sei nur sonderbar, daß diese Informationen gerade jetzt kämen, die Waffenbasen an der Ostsee seien ja alle bekannt. Auch Regierungssprecher Krzysztof Luft bestätigt den polnischen Kenntnisstand, der sich aus der nebenstehenden Originalgrafik der "Gazeta Olsztynska" verdeutlicht.

Demnach befinden sich in der Gegend von Insterburg 18 Abschußrampen für Lenkraketen des Typs "Totschka" (Nato-Bezeichnung SS-21) mit einer Reichweite von je nach Sprengkopfart 70 bis maximal 120 Kilometern. Diese Raketen können Gefechtsköpfe mit einer Sprengkraft von zehn bis hundert Kilogramm TNT transportieren und werden von mobilen Startrampen abgeschossen, die auf Transportern des Typs S/L-375 montiert sind. Ebenfalls im Insterburger Raum sollen angeblich 64 Flugzeuge des Typs NBJ Su-24 stehen, die mit taktischen Atomwaffen bestückt werden können und je nach Flugprofil einen Aktionsradius von bis zu 850 Kilometern haben.

Die Kurzstreckenraketen würden, sollten die amerikanischen Angaben nicht aus der Luft gegriffen sein, also beispielsweise Goldap vernichten können, Lötzen, das Gebiet um die großen Masurischen Seen oder Bartenstein. Natürlich könnten sie in entgegengesetzter Richtung auch das Memelland zum Ziel haben. Die Litauer allerdings halten eine heimliche Verlegung von Atomwaffen ins Königsberger Gebiet zumindest auf dem Landwege über von Litauen kontrollierten Transitwegen für unwahrscheinlich, erklärte Linas Linkevicius, der litauische Verteidigungsminister. Er äußerte in seiner Stellungnahme, man wisse nicht, ob es wahr sei oder nicht, er sähe allerdings keinen Grund, warum die Russen die Situation in die Eskalation treiben sollten. Im Hinblick auf die teilweise sehr aufgeregten polnischen Reaktionen mahnte er zur Ruhe. Dieses Thema, so Linkevicius, solle nicht zu exzessiv diskutiert werden, da sonst Nato-Befürworter in der Region "verängstigt" werden könnten.

Zum weiteren im Königsberger Gebiet konzentrierten Militärpotential gehören nach polnischen Erkenntnissen 52 000 Soldaten und Marinesoldaten, 36 Abschußrampen für S-300W-Raketen, 843 Panzerwagen, 924 Kampfpanzer und 50 Kampfhubschrauber. Szenarien, die bei vielen ein Gefühl der Bedrohung aufkommen lassen. Eine Telefonaktion der "Gazeta Olsztynska" machte das deutlich: Von hundert Befragten meinten immerhin 31, die Nato sollte taktische Atomwaffen nach Ermland und Masuren verlegen.

Eine weitere Frage taucht im Zuge der Berichte wieder auf: Was ist mit den aus russischen Kriegsschiffen der Baltischen Flotte entfernten Atomwaffen geworden? Amerikanische und polnische Geheimdienstler wollen seit gut zwei Jahren beobachtet haben, daß solche Waffen im Hauptquartier der Flotte gelagert würden. Wladimir Sliwjak von der Königsberger Umweltschutzorganisation "Ecodefense" bestätigt, daß, auch nachdem 1992 die Sowjetunion den Abzug aller taktischen Atomwaffen aus Europa bekanntgegeben hatte und die Erklärung der Ostsee zur atomwaffenfreien Zone erfolgt war, in Königsberg Atomwaffen gelagert würden. So fordern insbesondere die Polen Aufklärung darüber, ob die Baltische Flotte nur das Meer meint, wenn von atomwaffenfreier Zone die Rede ist, oder auch die Häfen und Königsberg.

Zwar müsse man offiziellen Dementis Glauben schenken, meint der Pressesprecher des polnischen Verteidigungsministeriums Eugeniusz Mleczak, stimmte aber dem auch in Rußland bekannten Sprichwort zu, wonach Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Nachdenklich machen muß immerhin, daß es sich bei den US-amerikanischen Quellen, der "Washington Times", im Gegensatz zur "Washington Post" oder der "New York Times" nicht um ein ausgesprochenes Produkt des amerikanischen Spitzenjournalismus handelt, sondern um ein Blatt, das dafür bekannt ist, auch schon einmal als Sprachrohr für Geheimdienst und Pentagon zu dienen. Jenseits aller Aufgeregtheiten sollte die politische Zukunft der Region so gestaltet werden, daß sich keine der beteiligten Parteien bedroht fühlen muß. BJD / HBvS