20.04.2024

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03.02.01 Ein schwedischer Journalist auf der Suche nach dem alten Ostpreußen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Februar 2001


Das Schloß, das verschwand
Ein schwedischer Journalist auf der Suche nach dem alten Ostpreußen
Frithjof Hallman

Als 1991 das nördliche Ostpreußen "endlich seine Grenzen öffnete", berichtete vor einiger Zeit ein Korrespondent der größten Zeitschrift der Welt, "National Geographic Magazine" in Washington, "waren unter den ersten Omnibuslasten von Besuchern ,Nostalgie-Touristen‘ aus Deutschland, alte Königsberger, welche die Landschaften ihrer Kindheit besuchten. "Unter der neuen Ordnung waren sie und ihre deutschen D-Markscheine beide willkommen dort." Es war seltsam zu sehen, daß so ein großes über die ganze Welt verbreitetes Journal einen so ausführlichen Bildbericht über jenes im Vergleich zu den gigantischen Ausmaßen des Sowjetreiches kleines Gebiet publiziert hatte und betonte, daß immer noch "Gerüchte über eine Germanisierung" weiterlebten, obwohl das Gebiet zur damaligen Zeit nur noch 20 000 Deutsche zählte, von denen jedoch "viele Nachkommen der Wolgadeutschen" seien. "Die Russen und anderen, die nach dem Zweiten Weltkriege zu einem neuen Leben herkamen", betont das Journal, "zogen in einen Kern einer Nation, in deren Heime und Höfe, in die Möbel, zu den Töpfen und Bratpfannen anderer Menschen aus ihren eigenen verbrannten Dörfern, aus dem Gulag, aus Erdlöchern ein und hatten nichts dagegen einzuwenden die Deutschen zu ersetzen, während viele erstaunt waren über die Wassertoiletten und zweistöckigen Bauernhäuser und ihre Schafe und ihr Vieh in das erste Stockwerk steckten.

Wenn dann ein Ort unbewohnbar wurde, zogen sie, so der "National Geographic", in einen anderen, und Hunderte von Dörfern wurden übergeben, während das Land verfiel. Aber die "Siedler," wird dann abschließend hier betont, "überlebten, pflückten Beeren, lernten Kartoffeln in der verbrannten Erde zu pflanzen und zogen neue Generationen auf". Von den über zweihundert deutsch-russischen Familien, die so aus Kasachstan und Kirgistan zum Beispiel in die Umgebung von Insterburg kamen, wußten, wie es hier noch heißt, "viele nicht, daß dies ursprünglich ein deutsches Land gewesen war".

Wie im Falle des Verfassers des oben genannten Reiseberichtes über Königsberg, das seit 1946 von Stalin nach einem seiner Mitarbeiter, Michail Kalinin, getauft wurde, der gnadenlos seine eigene Ehefrau in einem sowjetischen Zwangsarbeitslager umkommen ließ, liegt in diesem Zusammenhang ein weiterer ausführlicherer Bericht eines schwedischen Besuchers im alten Ostpreußen vor. Per Landins Buch "Slottet som försvann" (Das Schloß, das verschwand), Bruno Östlings Verlag, Symposion, Stockholm, 1999, hätte es aufgrund seines reichen Inhalts verdient, auch einer deutschsprachigen Leserschaft präsentiert zu werden.

Um sich an Ort und Stelle, nach der damaligen Vernichtung Königsbergs, überhaupt orientieren zu können, bediente sich Landin, Redakteur der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter", eines alten deutschen Reiseführers von 1927. Hier war unter anderem von einem mächtigen Schloß aus dem Mittelalter die Rede, von zahlreichen inzwischen verschwundenen Brücken über den Pregel und von "Linden, die ihre Zweige in das spiegelblanke Wasser tauchten", wobei es jedoch heute "wirkt, als wäre es hoffnungslos, mit Hilfe der Phantasie oder mathematischer Gesetze den Versuch zu machen, sich zu denken, wie der mittelalterliche Stadtkern einst ausgesehen hat". Ein paar weitere Zitate mögen die Eindrücke des heutigen Besuchers näher darzustellen suchen.

"Je mehr ich versuche, an die alten Patrizierhäuser in der Kneiphöfschen Langgasse und die Emailleschilder der alten Handelshäuser zu denken", so Landin, "desto größer wurde der Abstand zwischen der Vergangenheit und der Zukunft." Für ihn war der siebenhundertjährige Dom "eine Reliquie des einst bewohnten Königsberg". Ja, diese damals zerschundene Domkirche, hinter der das Grab eines der mächstigsten Denkers des Abendlandes, Immanuel Kant, steht, erinnerte Landin geradezu an einen "Meteoriten eines anderen Planeten", so öde kam ihm jetzt alles hier vor.

Bei einigem guten Willen hätten jedoch die neuen sowjetischen Machthaber, meint Landin, "etliche Gebäude, bei kleinem Unterhalt, hier stehenlassen können, aber die effektivste Weise, Menschen sich anpassen zu lassen, besteht ja darin, ihr Zeitgefühl zu untergraben. Man wollte zeigen, daß die Vergangenheit abgeschafft worden war", da, nach der offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung, Königsberg nie existiert habe und die Geschichte jener Stadt und des umliegenden Ostpreußen erst mit 1945 begonnen hatte. Daher habe es auch gegolten die Viertelmillion Deutsche loszuwerden, die übriggeblieben waren, wonach man "Hunderttausende von Russen zwangsweise aus den volkleeren Teilen Rußlands – Tataren von der Wolga und Fischer vom Kaspischen Meer, um den Ballast der Geschichte loszuwerden, hierher verpflanzte".

Nun zogen regelmäßig ganze Schwärme von deutschen Touristen mit alten Karten ausgerüstet umher und suchten vergebens nach Spuren des alten Kneiphofs, des Tivoli, des Bauerschen Gartens und des Börsengartens, die alle von britischen Bomben und sowjetischen Geschützsalven und Baggern ausradiert worden waren. Diese deutschen Nostalgie-Touristen, sagt der Verfasser, "erinnerten sich an Sonntagsausflüge am Oberteich, nach Cranz und Rauschen, an Menschen, die erschossen wurden. Kinder, die hungerten, Frauen, die vergewaltigt wurden, und die Kirche, die zu einem Weizenspeicher oder Puppentheater verwendet wurde". Daß der Verfasser bei seiner Lektüre von Hans Graf von Lehndorffs ergreifendem "Ostpreußischen Tagebuch" einen tiefen Einblick in die unbeschreibliche Not der Ostpreußen gewonnen hatte, läßt sich schon aus den genannten Zeilen ersehen. In Lehndorffs geradezu apokalyptischen und an Dantes Inferno erinnernden Zeilen hallt es wider "wie ein Schreien, das unaufhörlich zum Himmel aufsteigt". Hier hatte Lehndorff als Arzt 1945 bis 1947 immer wieder von Dystrophikern, Verhungerten, gesprochen, die überall in Massengräbern verscharrt wurden, "Menschen die oft gerade noch lebten, Skelette mit maskenhaften Gesichtern", wie der Graf dies anhand Königsbergs als Beispiel darstellte und die Frage aufwarf: "Wieviele von euch werden nun unter denen sein, die täglich hinausgekarrt werden durch dies finstere Hintertor, die paar Schritte bis zur Ruine der Altroßgärter Kirche, wo seit Juni nun schon fünftausend Insassen dieses Hauses in Massengräber beerdigt worden sind", und dieser davon berichtet, daß "seit einiger Zeit hier und da Menschenfleisch gegessen wird, während Ärzte "zur Begutachtung von Fleischstücken herangeholt wurden". Eine weitere Station von Landins Reisen in diesem Gebiete war Pillau, über das etwa eine Million Deutsche 1945 flohen, "die größte Evakuierung der Geschichte, aus Ostpreußen, eine deutsche Tragödie", wonach ein Besuch des Memellandes von Nemmersdorf, der Masuren und Danzig folgten.

"Ich wollte die Reste der alten deutschen Stadt Memel studieren", sagt Landin, die ein Kulturstreifen mit einer farbreichen baltischen Geschichte war. "Hier in Memel besuchte er einen alten deutschen Friedhof, "zerstört von Haß und Plünderungen", wobei "die deutschen Namen weggeschliffen und durch kyrillische ersetzt worden waren und an vielen Stellen die neuen Bewohner ihre Toten oberhalb der alten Gräber bestattet hatten und einige Steine zerschlagen waren". "Wie kann man so etwas tun? Ich konnte vor Wut ersticken über eine Respektlosigkeit, diese unmenschliche Rachegier, diesen Versuch buchstäblich die Erinnerung der Toten der verlierenden Macht auszuradieren." In Verbindung mit dem Besuch von Gotenhafen weist Landin dann auf eine weitere sowjetische Missetat höchsten Ranges, welche weitgehend, wie alles, was Ostpreußen anbelangt, in Schweden verschwiegen wurde, hin, "die größte Seekatastrophe der Geschichte", die Versenkung der 26 000tonnigen "Wilhelm Gustloff", gefolgt vom Untergang der "Steuben" und der "Goya" mit 6836 Menschen, mit Flüchtlingen und verwundeten Soldaten, die alle in der Tiefe der Ostsee versanken. Danzig selbst aufsuchend betont der Verfasser dann, daß dies einst "die größte Stadt Nordeuropas" unter der Hanse war, die 1919 mit 96 Prozent der deutschsprechenden Bevölkerung unter die Kontrolle des Völkerbundes kam, während Ostpreußen vom Reich durch einen polnischen Korridor abgeschnitten wurde, eine Freveltat, für die der greise britische Regierungschef David Lloyd George in seinen Erinnerungen die Weltgeschichte für seine Unterschrift unter das Versailler Diktat um Entschuldigung bat, da seines Erachtens von diesem Gebiet aus ein neuer blutiger Weltkrieg ausgehen würde, was ja dann auch der Fall war.

Auch die Greuel von Nemmersdorf spricht der schwedische Journalist an. Schreckliche Erlebnisbilder, die an die Erinnerungen eines der Okkupanten, von Alexander Solschenizyn, in "Ostpreußische Nächte" gemahnen und heute weitgehend in Ost wie West totgeschwiegen werden. Erstaunlicherweise weist jedoch Landin hierbei auf Ilja Ehrenburg hin, dessen in Millionen gedruckte Flugblätter die Soldaten der Roten Armee aufgerufen hatten alle Deutschen zu ermorden, da, wie Landin sagt, nach Ansicht Ehrenburgs "die Deutschen keine Menschen waren", wobei Ehrenburg betonte: "Nicht reden, sondern töten", und es seiner Ansicht nach "nichts Spaßigeres, als deutsche Leichen" gab und Ehrenburg hier etwa an die Missetaten eines Bela Kun im Räte-Ungarn von 1919 erinnern kann.

Daß die offiziöse "Sowjetenzyklopädie", die Landin unter den russischen Dokumenten in bezug auf Ostpreußen herausgreift, kein Wort von dem Massaker und den Missetaten der Roten Armee in Nemmersdorf, das "in einem Malstrom der Angstschreie unterging", verlautbaren ließ, läßt sich denken. Aber auch "neutrale schwedische Beobachter, die nach Nemmersdorf kamen", schwiegen damals, als die Regierung in unserem Lande genug damit zu tun hatte, alles deutsche Leben auf schwedischem Boden wegzufegen und mit amerikanischem Leben zu ersetzen", aber nicht alle gingen so weit wie der Korrespondent der "Dagens Nyheter" (der größten Tageszeitung Schwedens, Anm. F. H.), der nicht wußte, ob er sich freuen oder beklagen sollte über die Qual des Anblicks der an Hunger sterbenden deutschen Kinder. Die Politik folgte in den Spuren der Schwerter und des Geldes".

Neben Thomas Mann, dem wiederholt nach Nidden zur Erholung reisenden Dichter, erwähnt Landin hier ebenfalls Agnes Miegel, deren Gedichte heute in Königsberg auch auf Russisch zitiert werden. Sie schrieb, wie der Verfasser betont, "mehrere Jahre lang eine Chronik" in einer Königsberger Zeitung und wurde 1927 von der "New York Times", schon damals eines der größten Blätter der Welt, als "die größte deutsche Dichterin unserer Zeit" genannt. "Von seiten der vertriebenen Ostpreußen hatte sie bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Rang einer unsterblichen Mutter Ostpreußens erhalten." Ihr Haus in der Königsberger Hornstraße beschreibt Landin eindrücklich, bevor sich der Journalist schließlich noch der Schloßruine von Lubowitz zuwandte, der Heimat des schlesischen Dichters Joseph von Eichendorff, der, wie auch Agnes Miegel, bei den Russen wie bei Polen gleichermaßen beliebt ist.

Von den deutschen Heimatvertriebenen in ihrer Gesamtheit sprechend unterstreicht Per Landin dann: "Es ist heute nicht leicht zu verstehen, warum das Wort ,Vertriebene‘ nach Willy Brandts Kniefall in deutschen Schulbüchern nicht mehr vorkommen sollte. Von politischer Seite her hielt man dies aus Furcht vor angeblichem Nationalismus für ungeeignet: dies bringe jedoch mit sich, daß man in der Bundesrepublik einen wichtigen Teil der deutschen Geschichte der Gegenwart verdrängt und verborgen habe. Anstatt den Schulkindern zu erzählen, daß vierzehn Millionen Deutsche – jeder fünfte Deutsche – am Kriegsende und danach mit Gewalt in einer der umfassendsten ,ethnischen Reinigungsaktionen‘ der Geschichte vertrieben worden war, versuchte man der Schuljugend zu erzählen, daß es sich um eine Umsiedlung, eine freiwillige Umplazierung eines Volkes handelte."

Seinen in vielem zu begrüßenden Reisebericht, der eine deutsche Fassung durchaus verdient hätte, abschließend, zitiert Per Landin ein Wort Albert Schweitzers, der 1954 den Nobelpreis für Frieden erhielt, über die ethnische Reinigung Ostpreußens: "Man vergeht sich auf das Gröbste gegen historisch gegebene Gerechtigkeit und jegliches menschliche Recht, wenn man einem Volk das Recht zu dem Land raubt, das es bewohnt. Daß die Siegermächte nach dem Zweiten Weltkriege sich dazu entschlossen, Hunderttausende von Menschen diesem Schicksal anheimfallen zu lassen, zeigt, wie wenig sie ihrer Aufgabe bewußt waren, das Leben auf eine einigermaßen gerechte Weise zu ordnen."