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17.02.01 Die Neumark und das deutsche Bewußtsein

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Februar 2001


Gedanken aus Brandenburg:
Kollektiver Kulturhochmut
Die Neumark und das deutsche Bewußtsein
– Haben sich die Vertriebenen um die gesamtdeutsche Kultur gekümmert?
(Werner Bader)

Als die Neumark und die östliche Niederlausitz noch zu Brandenburg gehörten, hatten sie in ganz Deutschland im Bewußtsein der Menschen einen Platz ganz hinten.  Kaum jemand wußte, daß es Landsberg in unserem Land zweimal gab, einmal am Lech und einmal an der Warthe. Landsberg am Lech erlangte traurige Berühmtheit, weil Hitler hier in Festungshaft "Mein Kampf" geschrieben hatte, Landsberg an der Warthe hatte ähnlich Spektakuläres nicht zu bieten, obwohl es Hauptstadt der geschichtsträchtigen Neumark war.

Auch daß es Königsberg mehrmals gab, war kaum einem bewußt, und selbst das zweite Frankfurt, an der Oder, kannten längst nicht alle. Zorndorf, Kunersdorf oder Küstrin standen als Schicksalsorte Friedrichs des Großen zwar in Geschichtsbüchern, mehr aber auch nicht: Brandenburg führte ein Schattendasein, und die Neumark, die Grenzmark und die Niederlausitz blieben erst recht im dunkeln.

Man kann in der Tat viele Beispiele dafür anführen, daß es in Deutschland so etwas wie Kulturhochmut, ja Kulturarroganz gab und heute noch gibt. Sie wird im Westen gern gepflegt, sachliche Gründe dafür gibt es nicht. Umgekehrt wußten die ostwärts der Elbe und der Oder lebenden Deutschen natürlich auch längst nicht alles über den Westen des Landes, aber ihre geographischen und geschichtlichen Kenntnisse darüber waren umfangreicher.

"Warum ist es am Rhein so schön?" sang man auch in Pillkallen, der östlichsten deutschen Kreisstadt, und in Tirschtiegel, dem östlichsten Punkt an der brandenburgisch-polnischen Grenze. Und "In München steht ein Hofbräuhaus" hörte man auch in den Kneipen Oberschlesiens. Obwohl die Sänger niemals am Rhein oder in München gewesen waren. Aus Brandenburg hat es dagegen nur die "Märkische Heide" bis ins westdeutsche Liedgut geschafft, und daran hatte die Wehrmacht einen Löwenanteil.

Im Westen wurden nach 1945 die Nebel der Unkenntnis und des Desinteresses immer dichter, denn bei Helmstedt begann der russisch beherrschte Osten, "Dunkeldeutschland" genannt, mit Mauern, Stacheldraht und Minen bewehrt, von 80 000 Grenzsoldaten bewacht, ein Land, in dem auf Menschen geschossen wurde.

Von dort kam schaurige Kunde: daß in Bautzen und Cottbus politische Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen gefangengehalten wurden, daß sogar Nazi-KZs neu aktiviert worden waren. Dahin wollte niemand sein Interesse, auch nicht sein geistiges, wenden.

So kam es, daß die Mehrheit der Deutschen nicht mehr wußte, daß Dresden das "Elbflorenz" war mit Grünem Gewölbe, Zwinger und Semperscher Galerie einschließlich Sixtinischer Madonna oder daß Leipzig als die erste Messestadt in Deutschland galt und gleichzeitig als das Zentrum des deutschen Buchhandels.

Der Horizont vieler Westdeutscher endete an der "Zonengrenze". Nicht selten, so berichten ehemalige Grenzschutzbeamte, fragten Schüler, die klassenweise den "antifaschistischen Schutzwall" besichtigten, ob die da drüben denn auch Deutsch sprächen.

Das Gesichtsfeld derer "da drüben" wiederum wurde mit staatlicher List und Tücke oder offener Gewalt eingeengt. Selbst in Atlanten war westlich der Grenze oft nur ein weißes Feld zu sehen, das anzeigte: Hier endet die Welt.

Die alten deutschen Ostgebiete – Ostpreußen, Westpreußen, Danzig, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien – kamen überhaupt nicht vor oder wurden als urpolnisch dargestellt. Die jahrhundertealte deutsche Geschichte und Kultur wurde einfach unterschlagen. Und da die Kommunisten, vor allem die deutschen, alles gründlich machen, durften die Heimatvertriebenen hier nur "Umsiedler" heißen.

Westliche Ignoranz und östliches Diktat hatten beide dieselbe Wirkung: Der Osten im allgemeinen blieb unterbelichtet, Mitteldeutschland bis zur Oder und zur Neiße versank im Nebel der Unkenntnis, und der alte deutsche Osten wurde weitgehend ausgeblendet.

Wenn allerdings Sprecher der Vertriebenen zu Recht verkünden, die Kultur des deutschen Ostens sei ein Teil der gesamtdeutschen Kultur und deshalb müsse sich das gesamte deutsche Volk darum kümmern, dann ist auch die Gegenfrage zu stellen: Haben sich denn die Vertriebenen um die gesamtdeutsche Kultur, also auch um die Westdeutschlands, gekümmert? – Diese Frage kann meistens nicht bejaht werden. Im Gegenteil, sie haben sich oft nicht einmal um die Kultur der Regionen gekümmert, die ihren Heimatgebieten benachbart waren. Nach diesem Vorbild verhalten sich bis heute auch viele Heimatblätter. Hat das Zukunft?

So bleibt es selbst ein halbes Jahrhundert nach der Vertreibung dabei, daß die meisten Vertriebenen ihre eigene Heimat nicht erkunden, sondern höchstens dem eigenen Herkunftsort etwas Zeit widmen. Sie sind, was die Neumark betrifft, nicht einmal neugierig auf die Regionen, die sie früher wegen der Reisebeschränkungen nicht kennenlernen konnten, nicht auf die Schinkel-Kirche in Sonneburg oder auf die Holzkirche von Klemzig, nicht auf die barocke Perle des Klosters Paradies oder die eindrucksvolle Jakobi-Kirche in Drossen, nicht auf die Landschaft des Warthe- und des Netzebruchs oder den Gänseliesel-Brunnen in Berlinchen, nicht auf den Paukschbrunnen in Landsberg und auch nicht auf das zauberhafte Städtchen Lagow mit Burg und drei Seen.

Leicht von den Lippen geht ihnen aber die Erklärung, dies alles sei Sache des ganzen deutschen Volkes. Eingefaßt wird sie in die Klage, niemand im Westen wisse von ihrer ostdeutschen Heimat, ja niemand wolle überhaupt davon wissen. Kultur aber ist nicht, was man anderen abverlangt, sondern nur, was man selbst leistet.

Werner Bader war zwischen 1985 und 1999 Bundessprecher der Landsmannschaft Berlin – Mark Brandenburg.