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17.02.01 Der Balkan: Die politische Geographie eines alten Konfliktraumes

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Februar 2001


Lektionen für die Politiker von heute
Der Balkan: Die politische Geographie eines alten Konfliktraumes

Um es gleich vorwegzunehmen: Wer die bis heute andauernde Tragödie auf dem Balkan verstehen will, muß dieses Buch lesen, weil es Erkenntnisse liefert, die sonst nicht zu erhalten sind. Um was geht es? Der Balkan bündelt seit Jahrhunderten wie in einem Brennglas die schwierigsten Probleme europäischer Politik, herrührend aus dem Miteinander, Gegeneinander, Zusammenprall unterschiedlicher Völker, Religionen, Sprachen, Kulturen und – was besonders wichtig ist – Mythen. Über alle diese Problemkreise gibt es aus historischer und politischer Sicht aufschlußreiche Literatur. Was aber bisher fehlt, ist die Erkenntnis der Raumbezogenheit der Kriegsabläufe.

Der Verfasser, Universitätsprofessor im Fach Geographie in Berlin, hervorgetreten mit mehr als 45 Veröffentlichungen zur Wehr- und Militärgeographie und über die Fachgrenzen hinaus bekannt geworden mit seinen brillanten Studien über den "Nordafrikanisch-italienischen Kampfraum 1943/45" und "Die Schlußphase des Zweiten Weltkrieges im Westen 1944/45", hat mit seinem hier besprochenen Buch "Der Balkan" erstmalig die Balkankriege 1941/45 und 1991 bis 1999 aus politisch-geographischer Sicht analysiert und gedeutet. Nach sauberer methodischer Klärung der Grundbegriffe, notwendig angesichts der zeitweiligen Diskriminierung der Politischen Geographie in Deutschland, stellt er die militärischen Operationen im Raum-, Zeit- und Kräftegefüge der Kriegsparteien dar, erklärt sie und zieht Schlüsse daraus. Plastisch veranschaulicht im Raum durch 75 (!) Karten schlußfolgert er, warum ohne die Berücksichtigung der Geofaktoren alle Strategien im luftleeren Raum schweben und immer wieder zu Mißerfolgen und folgenschweren Niederlagen geführt haben – bis heute. Mennel beschreitet mit seiner Studie Neuland, weil er eben nicht der Versuchung anheimfällt, alte, hergebrachte Erklärungsmuster zu verwenden. Frappierend seine Diagnose der Operationen der Deutschen Wehrmacht nach dem Balkanfeldzug 1941: Nach den Anfangsfehlern in der Partisanenbekämpfung lernte die Wehrmachtsführung sehr rasch dazu und konnte, trotz ständig wachsender numerischer Unterlegenheit, das Feld zeitweise erstaunlich gut behaupten. So war es möglich, die Heeresgruppen "F" und "E" Ende 1944/Frühjahr 1945, aufs äußerste bedrängt von Sowjets, Bulgaren, den Tito-Partisanen und der RAF, unter optimaler Ausnutzung des Geländes bis zur Reichsgrenze zurückzuführen bei verhältnismäßig geringen Verlusten. Entscheidend sei dafür auch, trotz der sich abzeichnenden Niederlage des Reiches, die erstaunlich hohe Kampfkraft, Disziplin und vorbildliche Kameradschaft der Wehrmacht gewesen. Der Erfolg: Steiermark und Kärnten seien von Kommunismus, jugoslawischer Eroberung, Kriesgzerstörung, Vertreibung und wahrscheinlich Abtretung an Jugoslawien verschont geblieben und so dem deutschen Volk erhalten geblieben (S. 175).

Vor allem aber den gegenwärtigen Balkankrieg – leider nicht den Slowenienkrieg und den Kroatienkrieg 1991/93 – nimmt der Verfasser unter die Lupe und stellt Schlußfolgerungen an wie: "Der Westen wird sich für die Zukunft klarmachen müssen, daß eine vernünftige Trennung der Ethnien besser sein könnte als ein neuerlicher multiethnischer Mord und Totschlag: Entweder es gibt Demokratie, dann gibt es keine Einheit, oder man hat Einheit, dann gibt es keine Demokratie. Der offene Krieg ist vorbei, aber die großen Konflikte stehen in Bosnien noch bevor" (S. 203). Dahinter steht die bedrückende Erkenntnis, daß der Westen den modernen Islam in seiner religiös-politischen Totalität völlig unterschätzt, weil er ihn nicht versteht. Aber auch die "Gesetze des Raumes werden, wie bisher, von allen Verantwortlichen im Westen mißachtet" (S. 283), und fast ein wenig resigniert schließt er sein Werk ab mit der Erkenntnis: "Die Geschichte lehrt ständig, sie findet aber keine Schüler" (S. 292).

Ganz so pessimistisch sieht es der Rezensent allerdings nicht: Denn der Westen hat aus dem Partisanenkrieg 1941–1945 die Schlußfolgerung gezogen, unter allen Umständen Erdkämpfe deshalb zu vermeiden, weil er (welche Erkenntnis!) über keine Bodenverbände von der soldatischen Qualität der Wehrmacht verfügt, denn er hat Angst vor einem Partisanenkrieg und vor dem Mythos Tito, ohne zu erkennen, daß es heute diese Partisanen ebensowenig mehr gibt wie den deutschen Landser.

Da der Balkan aber weitere Lektionen für unsere Politiker und Militärs bereithalten wird, kann dieses erhellende Buch ihnen gar nicht wärmstens genug empfohlen werden. Sein ausgezeichnetes Literatur- und Abkürzungsverzeichnis und ein signifikanter Dokumentationsanhang, zudem der sorgfältige Nachweis der benutzten Quellen aus dem Militärarchiv in Freiburg machen es zur wichtigsten Neuerscheinung zum Thema "Balkan" des letzten Jahres. Kleine Fehler wie die Verwendung des Namens "Österreichs" auf den Weltkriegskarten (S. 37, 168, 179–182), als Österreich bekanntlich ein Teil des Deutschen Reiches war, sind leicht behebbar. Albrecht Jebens

Rainer Mennel: Der Balkan. Einfluß und Interessensphären. Eine Studie zur Geostrategie und Politischen Geographie eines alten Konfliktraumes, Biblio-Verlag, Osnabrück 1999, 354 Seiten, 75 Karten, 58 Mark, ISBN 3-7648-2521-9