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03.03.01 Frankreich: Aufwind für die Regionen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. März 2001


Frankreich:
Aufwind für die Regionen
Paris und seine Probleme mit den Korsen
von Pierre Campguilhem

Angesichts der völligen Unbeweglichkeit, in welche die Innenpolitik Frankreichs geraten ist, da nächstes Jahr die Präsidentschaftswahl stattfindet, ist es nicht erstaunlich, daß auch das geringste Problem in der Kohabitation zwischen Chirac und Jospin die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. Das letzte Beispiel war das Korsika-Dossier und die Tatsache, daß der Staatspräsident sich geweigert hatte, eine die Insel betreffende Vorlage vom Ministerrat (dem er vorsteht) prüfen zu lassen. Je nach Couleur der Zeitungen und der Politiker wurde dieses Vorgehen des Staatschefs entweder scharf kritisiert oder gebilligt.

Anlaß der wiederholten Stellungnahmen Jacques Chiracs war die Tatsache, daß der Staatsrat, das heißt das höchste Verwaltungsgericht des Staates, das alle Gesetzesvorlagen zu beurteilen hat, mehrere Vorbehalte gegenüber dem Gesetz bezüglich Korsikas, das ihm von der Regierung zugeleitet worden war, geäußert hatte. Die Beurteilungen des Staatsrats sind zwar nicht bindend, jedoch wegweisend.

Nach kurzem Widerstand hat Chirac nachgegeben, allerdings auch seinen Unmut ausgedrückt. Als Staatschef ist er dazu verpflichtet, für die Einheit der Republik zu sorgen, während die Regierung verfassungsmäßig "die Politik der Nation bestimmt und leitet". Der Staatsrat hatte die Gesetzesvorlage über Korsika in drei Punkten getadelt: wirtschaftlich, kulturell und institutionell. Das Gesetz, das Ende April beziehungsweise Anfang Mai in der Nationalversammlung diskutiert und verabschiedet werden soll, sieht unter anderem vor, daß das Lehren der korsischen Sprache in Korsika obligatorisch wird, und erweitert die Machtbefugnisse der korsischen Regionalversammlung, die gesetzgeberisch tätig werden sollte. Das Gesetz, das Jospin und sein eher farbloser neuer Innenminister vorschlagen, ist das Ergebnis von einjährigen Verhandlungen zwischen den Pariser und den korsischen Behörden, darunter auch den korsischen Nationalisten, und soll im Jahre 2004 in einem Volksentscheid in ganz Frankreich abgesegnet werden, falls bis dahin die Gewalt aufhört (was eine andere Frage ist).

Nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Le Point", das unlängst "dem schmutzigen Geld der Nationalisten" eine Reportage widmete, verfügen die korsischen Nationalisten über eine Menge Geldmittel, die sie oft durch Erpressung erwerben. Zudem werden sie von Tarnfirmen finanziert und von Reiseveranstaltern unterstützt, die unbekümmert auf der Insel investieren. Insofern kann man sich fragen, ob das politische Leben in Korsika nicht ein Doppelgesicht hat: einerseits die höflichen Gespräche im Rahmen der Regionalversammlung, andererseits kriminelle Machenschaften, deren Unterbindung die Kräfte oder die Befugnisse der staatlichen Justiz- und Polizeibehörden übersteigt.

Der ehemalige Innenminister Jospins, Jean-Pierre Chevènement, der zurückgetreten war, um die Gesetzesvorlage über Korsika im Parlament nicht vorlegen zu müssen, fürchtet in einem dem konservativen "Figaro" gewährten Interview, die Lage in Korsika könnte sich entwickeln wie seinerzeit in Neukaledonien oder Algerien. Der nationale Konsens, den Frankreich vor zwanzig Monaten nach der Ermordung des Präfekten Claude Erignac erlebt habe, sei erschüttert, und seit jenem Mord behandeln die Linken und die Rechten das Korsika-Dossier allein unter dem Aspekt der nächsten Wahl zum Elyséepalast.

Insgesamt sollten die Lage in Korsika und die vorhersehbaren Debatten über Korsika neue Gruppierungen ins französische politische Leben bringen. Die Sozialisten, die diesbetreffend mit der Opposition der Neo-Gaullisten und der Freunde Chevènements ("Mouvement des Citoyens") zu rechnen haben, werden sicherlich versuchen, ihre parlamentarische Mehrheit um Kräfte, die stark für eine Dezentralisierung eintreten, zu erweitern. Deshalb könnte man in Frankreich bald von einer stärkeren Rolle der Regionen reden.