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03.03.01 Die katholische Gemeinschaft "Lumen Christi" betreut elf soziale Projekte im nördlichen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. März 2001


Das "Babuschka"-Projekt
Die katholische Gemeinschaft "Lumen Christi" betreut elf soziale Projekte im nördlichen Ostpreußen

Schon neun Monate ist die 36jährige Petra Molzahn aus Trommetsheim bei Eichstätt im Sozialbüro der katholischen "Gemeinschaft Lumen Christi" in Königsberg beschäftigt. Die "Gemeinschaft Lumen Christi", die ihren Hauptsitz in Maihingen bei Nördlingen hat, dort ein Seminarhaus besitzt und hauptsächlich Schulungen zur Glaubensvertiefung und Seelsorge durchführt, betreibt dieses Sozialbüro seit rund fünf Jahren im nördlichen Ostpreußen. Entstanden ist die Idee aus einer "fliegenden Pfarrei" – ein katholischer Priester aus Litauen erhielt 1990 den Auftrag, in dieser ehemals rein evangelischen deutschen Provinz katholische Gläubige zu sammeln und eine Gemeinde zu gründen. Im Laufe der Jahre stellte die Stadt Königsberg ein Grundstück zur Verfügung, auf dem keine festen Bauwerke errichtet werden durften. Die ersten Gebäude waren und sind heute noch Container, dann wurde der wachsenden Pfarrei aus Sonthofen im Allgäu eine Fertigteilkirche angeboten, die nunmehr auf diesem Grundstück steht – und 1995 eröffnete die Gemeinschaft diese Sozialstation mit einer festen Belegschaft, die heute aus zwei Ehepaaren für die Sozialarbeit, einer Ärztin für die Krankenstation und einer Kraft für Büro, Verwaltung, Buchhaltung, Baustellenplanung und -betreuung – Petra Molzahn – besteht.

Zusammen mit dem Malteser-Hilfsdienst betreibt man eine Suppenküche, in der täglich rund 170 Mittagessen ausgegeben werden, für viele vermutlich die einzige Mahlzeit am Tag. In der angeschlossenen Ambulanz, die von der deutschen Ärztin geführt wird, werden bis zu zweihundert Personen in der Woche – hauptsächlich Obdachlose – hygienisch und medizinisch betreut.

Die wirtschaftliche Situation im Land macht es nach wie vor notwendig, humanitäre Hilfe zu leisten, da es eine kleine reiche Oberschicht gibt, während die restliche Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums lebt. Die staatlichen Sozialämter stehen dem machtlos gegenüber, da sie aus eigenen Mitteln so gut wie nichts zu verteilen haben. So erhalten diese sowie Behinderteneinrichtungen, Kinderheime und Gefängnisse wöchentlich bis zu 500 Kartons mit gebrauchter Kleidung aus Hilfslieferungen, die der alle drei Wochen von Maihingen aus verkehrende Lastzug nach Königsberg bringt.

Die wahre Not erkennt man jedoch bei den Menschen, die persönlich vorbeikommen: Strafentlassene, die außer ihren Papieren nur die Kleider am Körper besitzen; Mütter mit Kindern, die zum Schulanfang um Kleider bitten; Obdachlose, die ohne festen Wohnsitz keine Unterstützung bekommen; alte Frauen, die von ihrer minimalen Rente nicht überleben können, und vor allem auch Kinder, die schon auf der Straße leben, weil die alkoholabhängigen Eltern sich nicht mehr um sie kümmern. Wiewohl der Alkohol ein großes Problem bei den Armen im Lande ist – die Helfer sind nie sicher, daß der gerade abgeholte warme Mantel nicht zwei Straßen weiter in Wodka getauscht wird!

Elf Einrichtungen – Kinderheime, Übergangsheime und Schulinternate – erhalten derzeit eine direkte Hilfestellung, darunter auch die Schulspeisung in Tapiau, wo 160 Sonderschüler aus sozial schwachen Familien ein tägliches Mittagessen erhalten, oder das Schulinternat für tuberkulosekranke Kinder in Gerdauen, die allesamt zum großen Teil aus den Spenden der Sternsingeraktionen über das Kindermissionswerk finanziert werden.

Gleiches gilt für das "Babuschka-Projekt", in dem gezielt zur Zeit hundert Großmütter finanziell unterstützt werden, die wegen Alkohol- und Drogenabhängigkeit der Eltern das Sorgerecht für ihre Enkel übertragen bekommen haben. Aufgebaut wurde inzwischen auch ein Bautrupp mit 35 Arbeitern, die regelmäßig Lohn erhalten, was für russische Verhältnisse keineswegs selbstverständlich ist.

Viele dieser Arbeiter sind in den entstandenen Werkstätten für Holz, Metall und Kraftfahrzeugreparatur sowie auf verschiedenen Baustellen beschäftigt. Dort übernehmen sie wie in Pregelswalde oder Heiligenbeil die Instandsetzung von Sanitär-, Wasser und Abwasserinstallation sowie Aus- und Umbauarbeiten am Gemeindehaus St. Josef in Tapiau. Dieses schon fast selbständige Sozialprojekt bietet 35 Familien ein relativ gesichertes Auskommen.

Petra Molzahn, seit zehn Jahren im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen ansässig, davon die letzten fünf Jahre in Trommetsheim, hat die Stelle in Königsberg natürlich nicht unvorbereitet angetreten. Zweimal war die gelernte Landschaftsarchitektin zuvor als Gast vor Ort, von wo sie stark beeindruckt ob der Leistung der Mitarbeiter der kirchlichen Gemeinschaft zurückkehrte. Diese Besuche kamen durch den katholischen Dorfpfarrer von Maihingen, Thaddäus Posielek, den Petra Molzahn als aktive Musikerin bei einem Trauungsgottesdienst in Treuchtlingen kennengelernt hatte, zustande. Mit ihrer Erfahrung aus den beiden Besuchen, die eigentlich kleine Hilfstransporte waren, mit dem Wissen, aus einem materiell reichen Land zu kommen und ihrer persönlichen Einstellung, mit den Armen der Welt zu teilen, hatte sie sich im letzten Jahr nach Abwägung ihrer beruflichen und privaten Interessen entschlossen, für ein Jahr auf der Sozialstation zu arbeiten.

Das Leben auf der Station gleicht allerdings einer westeuropäischen Insel inmitten einer heruntergekommenen Stadt. Die Gebäude bestehen aus gestapelten Containern, aber das ist nicht mehr sichtbar. Alles ist mit Holz verkleidet, tapeziert, mit Teppichen belegt und mit anständigen Möbeln ausgestattet – alles sehr einfach, aber praktisch. Die Heizung bereitet manchmal Probleme, man wartet auf die Genehmigung des Gasanschlusses. Bislang heizt man mit Strom, mit aus Deutschland exportierten (oder auch "entsorgten") Nachtspeicheröfen, mit denen es meist ausreichend warm wird – baubiologische Wohnwerte darf man dabei nicht berechnen!

Persönlich prägt sie vor allem das Schicksal der Kinder. Kinder, die oft kaum eine Perspektive haben, aus unvorstellbaren Familienverhältnissen kommen – sehr oft geprägt durch die Alkoholabhängigkeit der Eltern – und denen man es anmerkt, daß sie nicht unbeschwert aufwachsen können. In der Hand dieser Kinder liegt es aber, dieses kaputte Stück Land in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufzubauen. Manchmal fragt sich Petra Molzahn, wie das mit so wenig positiven Vorbildern gelingen kann. Noch "träumt" man auf der Sozialstation, einmal ein eigenes Kinderheim unter der Trägerschaft von "Lumen Christi" zu betreiben und "eigene" Kinder aufzunehmen.

Petra Molzahn weiß heute noch nicht, ob sie nach diesem Jahr schon nach Deutschland zurückkommen wird. Als Entwicklungsland im Umweltbewußtsein und bisher ohne jeglichen alternativen Energieeinsatz könnte ihr das Land um Königsberg mit einem neuen Projekt auch eine neue Aufgabe stellen, zumal sich nach ihrer Ansicht das wirtschaftliche Gefälle durch gewaltige Migrationsbewegungen – Flüchtlinge aus Tschetschenien, Kasachstan, Usbekistan und Kirgisien – der zwischen den EU-Beitrittskandidaten Litauen und Polen liegenden Enklave im Norden Ostpreußens in kurzer Zeit enorm vergrößern wird. mef

Informationen über die Projekte von "Lumen Christi" im nördlichen Ostpreußen über: "Gemeinschaft Lumen Christi" in D-86747 Maihingen, Klosterhof 5; Tele- fon 0 90 87/92 99 90; E-Mail: Gemeinschaft@LumenChristi.de